Trotz Lieferkettengesetz: Prekäre Arbeitsbedingungen im Tourismus

Hotelangestellte in Urlaubsregionen leiden Recherchen von REPORT MAINZ zufolge unter prekären Arbeitsbedingungen. Dabei soll das neue Lieferkettengesetz dies eigentlich verhindern. Es verpflichtet Unternehmen, auf der gesamten Lieferkette, für die Einhaltung von Menschenrechten und Arbeitsschutzstandards zu sorgen.

Doch Gewerkschaften und viele Hotelmitarbeiter in Spanien und Griechenland berichten von unbezahlten Überstunden, hoher Arbeitslast, fehlenden Pausen. Viele Mitarbeiter müssten tagelang ohne Ruhetag durcharbeiten. Besonders schlimm sei die Lage auf der Trauminsel Santorini. 

Text des Beitrags:

Einfach mal ausspannen. Urlauber, die ihre Zeit und den Blick aufs Meer genießen. Viele Deutsche machen sich jetzt wieder auf den Weg in den Süden.

Urlauber:
„Ich hab lange auf Urlaub verzichtet und hab’s jetzt bitter nötig.“
„Das ist super dort.“
„Wird auch Zeit, schön!“
„Jetzt geht’s endlich los, oder?“

So sieht es aus, wenn ein Zimmermädchen im Urlaubsparadies endlich Feierabend hat. Eine riesige Kiste voller Schmerzmittel. Eine Frau, am Rande ihrer Kraft.

Julia (Name geändert), Zimmermädchen, Stimme nachgesprochen:
“Diese Schmerzen - sie sind immer da, sie hören nicht auf. Ich habe sie in den Armen, im Rücken, in den Beinen. Es ist so schlimm, dass ich nachts davon aufwache. Und ich frage mich, wie lange ich das noch aushalten kann. Bis zur Rente? Nein. Sicher nicht.”

Das sagt eine Frau, gerade einmal Mitte 30. Sichtlich gezeichnet auch von den Folgen der Schmerzmedikamente: Paracetamol, Antalgin, Ibuprofen. Alles nimmt sie durcheinander. Immer weiter. Jeden Tag.

Julia (Name geändert), Zimmermädchen, Stimme nachgesprochen:
“Ich weiß, dass das nicht gut ist. Aber es geht nicht anders. Die viele Arbeit hat mich kaputt gemacht.”

„Überstunden und fehlende Pausen“

Julia, so nennen wir die Frau, arbeitet ganzjährig in einem Hotel auf Teneriffa. Sie will unerkannt bleiben, trägt deshalb Kopfbedeckung. Sie hat Angst ihren Job zu verlieren. Die Frau wirft ihrem Arbeitgeber vor, Arbeitsschutzgesetze zu brechen, sich nicht an Tarifverträge zu halten. Hat ihre Aussagen eidesstattlich versichert:

Denn mehrmals in der Woche müsse sie Überstunden machen, unbezahlt, ohne jeden Ausgleich, kriege zu viele Zimmer zugeteilt. An manchen Tagen müsse sie deshalb pausenlos durcharbeiten.

Und das auf einer Insel, die eigentlich für das Gegenteil steht: Erholung, Entspannung, einfach mal die Seele baumeln lassen. Teneriffa, eines der Lieblingsziele Deutscher Touristen.

Wir haben mit mehreren Zimmermädchen auf den kanarischen Inseln gesprochen. Immer wieder ähnliches gehört wie bei Julia.

„Las Kellys“ kritisieren Arbeitsbedingungen

Wir treffen sie zusammen mit María Noel wieder. Sie ist im Vorstand eines Arbeitnehmervereins für Zimmermädchen auf Teneriffa. Sie nennen sich selbst “Kellys”.

Was Julia erzähle - sagt María Noel - gebe es auf Teneriffa fast überall. Überlastung, keine Pausen, Schmerzmittel. Doch kaum ein Zimmermädchen sei bereit sich zu wehren - zu groß sei die Angst.

María Noel Nava Ramos
María Noel Nava Ramos | Bild: SWR

María Noel Nava Ramos, “Las Kellys” Teneriffa:
“Es gibt viele Frauen, die mit ihren Kindern allein sind und ihre Arbeit ist die einzige Einnahmequelle. Und genau das nutzen Hoteliers aus.”

Und das alles auf einer europäischen Insel - mit der auch deutsche Reiseveranstalter großes Geld verdienen. Wir finden sie überall. Vor allem den größten - TUI - über den jedes Jahr tausende Urlauber hierher reisen.

Auch in das Hotel von Julia - es ist ebenfalls über TUI buchbar. Und genau das könnte für den Reisekonzern ein Problem werden.

Neues Lieferkettengesetz in Deutschland

Denn seit Januar gilt in Deutschland ein neues Gesetz, mit langem Namen.
Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz.

Beschlossen noch von der Großen Koalition, verpflichtet es deutsche Konzerne ab 3000 Mitarbeitern für bessere Arbeitsbedingungen im Ausland zu sorgen. Ein Gesetz mit hohem Anspruch.

Hubertus Heil
Hubertus Heil | Bild: SWR

Hubertus Heil, Bundesarbeitsminister, 11. Juni 2021:
“Unseren Wohlstand können wir nicht dauerhaft auf der Ausbeutung von Menschen aufbauen.”

Stefan Altenschmidt ist Wirtschaftsanwalt, hat einen Ratgeber über das neue Gesetz geschrieben. Außerdem berät er große Firmen bei der Umsetzung. Er sagt: Das neue Gesetz sei ein Paradigmenwechsel.

Stefan Altenschmidt, Rechtsanwalt:
Früher hat die Bundesregierung an deutsche Unternehmen appelliert. Heute ist das eine gesetzliche Verpflichtung. Wird diese nicht umgesetzt, kommen auf die Unternehmen sehr hohe Bußgelder zu.”

Im schlimmsten Fall müssten große Tourismuskonzerne ihre Beziehung mit den Hotels beenden - in jedem Fall aber auch selbst unbewiesenen Vorwürfen nachgehen und ermitteln.

Und das bei einer Branche, die nicht gerade bekannt ist für gute Arbeitsbedingungen. Über die wir schon vergangenes Jahr berichtet haben, über Hotelangestellte in Griechenland, die bis zur Erschöpfung arbeiten müssen.

Und das alles auch in Hotels, die über deutsche Firmen buchbar sind. Viele reisten mit dem größten Konzern TUI. Damals galt das Lieferkettengesetz noch nicht. Wie sieht es jetzt aus?

Auch griechische Gewerkschaften üben Kritik

Wir sind nochmal in Griechenland, auf Santorini. Auch eine beliebte Urlaubsinsel. Massen an Touristen kommen hier jeden Tag an. Und auch TUI ist wieder mit dabei.

Die Insel ist bekannt für ihre Schönheit, ihre malerischen Orte, ihre Traumhotels mitten in den Klippen. Das Motiv zahlreicher Fotos in den sozialen Medien.

Aber es sei auch eine Insel mit zwei Gesichtern, hören wir immer wieder. Uns hat die örtliche Hotelgewerkschaft eingeladen. Nirgendwo in Griechenland sei es so schlimm wie hier.

Dimitris Katsalas, der Vizepräsident.
Er will uns zeigen, was sonst kaum jemand zur Kenntnis nimmt.

Dimitris Katsalas, Hotelgewerkschaft Santorini:
 “You mean here and there? Yeah. There's someone who lives there. Yeah, yeah, yeah. “Bleib mal stehen”.

Baucontainer - umfunktioniert als Sammelunterkünfte … offenbar auch für Mitarbeiter von Hotels. Mit Klimaanlage, Wasseranschluss.  Wir finden sie überall auf der Insel. In der Landschaft, hinter Zäunen.

Dimitris Katsalas
Dimitris Katsalas | Bild: SWR

Dimitris Katsalas, Hotelgewerkschaft Santorini:
“Exactly is like prison. Yes. And nobody talk, this is the problem, nobody talk.” (Ja, Das ist wie Gefängnis. Und niemand redet drüber, das ist das Problem. Niemand.)

Seit fünf Jahren gebe es sie, sagt Dimitris. Es würden immer mehr und es gebe nicht nur Container.

Uns wird ein Video zugespielt. Es soll aus einem Hotel stammen. Ein Kellerzimmerchen, in dem mehrere Angestellte leben sollen. Kakerlake inklusive. Unser Kontakt nennt uns den Namen des vermeintlichen Hotels - es ist ebenfalls buchbar über TUI.

Und auch bei dieser Unterkunft führt die Spur zu einem Hotel mit einer TUI-Kooperation. Eine Angestellte beklagt sich nicht nur über die Wohnverhältnisse, sie sagt auch, sie müsse jeden Tag arbeiten. Sieben Tage in der Woche. Kann das wirklich sein? Es wäre laut Experten ein Verstoß gegen europäisches Arbeitsrecht.

Wir nehmen Kontakt auf zu Hotel-Mitarbeitern auf der ganzen Insel. Reden mit vielen Zimmermädchen, Kellnerinnen, Kofferträgern. Aber egal, wen wir treffen, wir hören immer das gleiche.

Hotelangestellte, Stimmen nachgesprochen:
“Ja, ich bin jeden Tag hier. Und das ist ziemlich anstrengend.”
“Ich arbeite 7 Tage in der Woche. Im letzten Jahr hatte ich 2-3 freie Tage in 4, 5 Monaten.”
“Eigentlich haben sie mir freie Tage versprochen, aber jetzt ist es schon der 20. Arbeitstag am Stück.”

TUI nehme Vorwürfe ernst

Alle Fälle, über die wir hier sprechen, sind Hotels mit Bezug zu TUI. Und alle Hotels haben auf unsere Bitte um Stellungnahme nicht reagiert. TUI sagt uns, solche Vorwürfe hätten sie bisher nicht erreicht. Man nehme sie ernst und bemühe sich um Klärung.

Komisch irgendwie. Denn Vorwürfe wie diese sind seit Monaten Thema in griechischen Medien. Sogar Demonstrationen vor Hotels hat es gegeben.

Und genau deshalb hätte der Touristik-Konzern längst tätig werden müssen, meint Stefan Altenschmidt.

Stefan Altenschmidt
Stefan Altenschmidt | Bild: SWR

Stefan Altenschmidt, Rechtsanwalt:
“Das deutsche Unternehmen darf sich nicht auf eine einfache Erklärung des Arbeitgebers verlassen, denn es ist ja naheliegend, dass der kaum einen Rechtsverstoß eingestehen wird. Daneben müssen in solchen Fällen zwingend Gespräche mit Gewerkschaften und mit anderen NGOs geführt werden.”

Hat TUI das gemacht? Wir haben bei den Gewerkschaften in Spanien und Griechenland nachgefragt. Doch die haben bis zu unserem Interview noch nie etwas davon gehört.

María Noel Nava Ramos, “Las Kellys” Teneriffa:
“No…” (Kopfschütteln)

Dimitris Katsalas, Hotelgewerkschaft Santorini:
“Wir werden sehen und warten, wir sind da. Wir haben ja eine Telefonnummer und eine Internetseite. Sie können uns jederzeit erreichen.”

Gerne sogar, gibt uns Dimitris Katsalas noch mit auf den Weg.

Hat TUI überhaupt mit Gewerkschaftern gesprochen? Der Konzern antwortet uns nicht darauf. Stattdessen nur ein allgemeiner Hinweis: Man komme den Verpflichtungen uneingeschränkt nach:

Stellungnahme TUI:
“Die Einhaltung von Standards (...) sind Teil unserer Geschäftsbedingungen. Diese müssen von allen Hotels akzeptiert werden.”

Genau das also, was laut unserem Experten eben nicht ausreicht. Laut dem neuen Gesetz, für das Bundesarbeitsminister Heil sonst immer große Worte findet. Doch jetzt wollen sich auf Nachfrage weder sein Ministerium noch die zuständige Kontrollbehörde zu unseren Recherchen äußern.

Stand: 21.06.2023 13:37 Uhr