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Frankreich: Wie Rechtsaußen salonfähig wird

PlayJordan Bardella und Fabrice Leggeri geben Interview
Frankreich: Wie Rechtsaußen salonfähig wird | Bild: IMAGO / PanoramiC

Marine Le Pen ist seit Jahren die Ikone der französischen Rechten. Beim Europawahlkampf hält sie sich erstaunlich zurück. Stattdessen dominieren zwei andere Kandidaten die politische Bühne der französischen Rechten – und bescheren der Rechtsaußenpartei Rassemblement National in den aktuellen Umfragen unglaubliche Werte. Schon zwei Mal war der Rassemblement National bei Europawahlen die stärkste Partei, aber dieses Mal könnte sie mehr erreichen denn je. Die Rechten liegen mit über 30 Prozent vor allen anderen. Das Lager von Präsident Macron liegt in Umfragen mehr als 15 Punkte dahinter.

Jordan Bardella: Selfies als Markenzeichen

Die Flugblätter sind bereit, der Frühlings-Markt in der Kleinstadt Sens kann beginnen. Alain Joly macht Wahlkampf für den Rassemblement National. So gut wie jetzt lief es für seine Partei noch nie. "Er kommt gleich an." Heute ist für Alain ein großer Tag. Spitzenkandidat Jordan Bardella kommt zu Besuch in seine Heimat im Burgund. "Er weiß, wovon er spricht. Er ist absolut überzeugend, weil er so dynamisch ist. Er will Frankreich wieder groß machen." Und dann kommt er, mehr Popstar als Politiker. "Jordan, Jordan…" Seine Fans stimmen die Nationalhymne an. Wo Bardella auftaucht, gibt es kein Durchkommen mehr, nicht mal für ihn selbst. "Hier müssen wir uns ganz schön durchschlängeln, damit wir einen Weg finden."

Jordan Bardella macht Selfie mit Anhängern
Jordan Bardella: Spitzenkandidat des Rassemblement National | Bild: SWR

Bardella ist 28, jung, smart. Sein Lächeln hat er sich mit einem Coach mühsam antrainiert. Jetzt hört er gar nicht mehr auf damit – und macht Selfies im Sekundentakt. Sein Markenzeichen. Seit eineinhalb Jahren ist Bardella Parteivorsitzender, tritt zum zweiten Mal als Spitzenkandidat bei den Europawahlen an. Er hat der Rechtsaußen-Partei ein junges, modernes Image verpasst, sie mehr in der Gesellschaft verankert. Alain unterstützt den Rassemblement National seit Jahren, bei Bardella wird auch er jetzt regelrecht zum Groupie. "Da sieht man doch, wie populär er ist", meint Alain Joly. "Egal was kommt, der muss nach ganz oben."

Das Ziel: die Mitte der Gesellschaft

Bardella zieht nicht nur bei den Jungen. Auch bei den Älteren kommt er gut an. Da hatte es seine Partei es bisher immer schwer. Bei ihnen ist die Wahlbeteiligung besonders hoch. Seit Monaten tingelt Bardella von Ort zu Ort, anders als seine Konkurrenten. Ein Wahlkampf, nah an den Menschen. Bardella kommt selbst aus einer schwierigen Vorstadt nahe Paris, ist Sohn italienischer Einwanderer. Seine Herkunft macht ihn wählbar für die, die seine Partei vorher für rassistisch gehalten haben. "Gut aussehender Typ, Charismatisch", sagt einer der Händler auf dem Markt.

Bardella und seine Herkunft sind ein Coup in der Strategie des Rassemblement National: Weg vom rechtsextremen Image, rein in die Mitte der Gesellschaft. Auch hier glänzt der junge Spitzenkandidat. Bardellas Auftritte sind perfekt inszeniert. Der Rassemblement National hat in Paris zu einer Debatte über Immigration eingeladen. Bardella hat diese Wahl zu einer Abstimmung gegen Präsident Macron erklärt. Im Wahlkampf setzt er auf innenpolitische Themen, das ist populär. Über Kaufkraft und unkontrollierte Migration redet er am liebsten. "Sozialhilfe nur für Franzosen: Das ist unsere nationale Priorität, um unser Land weniger attraktiv für Immigration zu machen, um Arbeit zu fördern und unsere öffentlichen Finanzen unter Kontrolle zu bringen." Seine Forderung ist populistisch: Er will Vorteile der EU nutzen. Aber sobald irgendetwas ein Nachteil für Frankreich sein könnte, will er neu verhandeln. Wie das mit den europäischen Verträgen gehen soll, sagt er nicht. "Wir wollen die Freizügigkeit im Schengenraum auf europäische Bürger beschränken. Wir müssen die Kontrollen über unsere nationalen Grenzen zurückbekommen – und gleichzeitig gemeinsam unsere europäischen Außengrenzen schützen."

Fabrice Leggeri: Hardliner mit seriösem Anstrich

Die Kontrolle zurückgewinnen, das kommt bei der eigenen Klientel gut an. Daher hat sich der Rassemblement National hier Verstärkung geholt. Fabrice Leggeri, ehemaliger Chef der Europäischen Grenzschutzbehörde Frontex auf Listenplatz 3. Ein Hardliner mit seriösem Anstrich. "Sie haben ein Ansiedelungs-Programm in Europa. Man sagt Ihnen, dass Europa altert, dass wir diese Menschen alle brauchen, ob Ihnen das gefällt oder nicht. Es interessiert keinen, ob das legal ist."

Fabrice Leggeri auf Podium
Fabrice Leggeri: ehemaliger Frontex-Chef | Bild: SWR

Ein harter Grenzschutz, der auch über rechtsstaatliche Prinzipien hinausgeht, dafür steht Leggeri. Vor zwei Jahren trat er als Frontex Chef zurück, weil gegen ihn ermittelt wurde. Insbesondere wegen illegaler Zurückweisungen von Migranten im Mittelmeer. Für Leggeris neue Partei ist das kein Problem, sondern politisches Kapital. Fabrice Leggeri zu Besuch bei Vertretern des Rassemblement National in Abscon im Norden Frankreichs. Dass jemand mit so einer Behördenkarriere kandidiert, finden alle hier gut. So etwas hat es in der Partei noch nicht gegeben.

Werben um gebildete Wähler der Mittelschicht

Im Garten wird eine Pressekonferenz organisiert. Leggeri redet gerne mit Medien, gibt sich als Insider – und Opfer: Ein Frontex-Chef, der gehen musste, weil er hart durchgreifen wollte. "Ich weiß, wie die Bürokratie der EU-Kommission funktioniert, um Debatten zu unterdrücken und das Bewusstsein und ganze Regierungen zu betäuben." Trotz dieser kruden Aussagen: Leggeri soll seiner Partei einen seriösen Anstrich verpassen, auch gebildetere Wähler, die Mittelschicht überzeugen. Zwei Organisationen haben Anzeige gegen ihn erstattet. Wegen Beihilfe zur Folter und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Für seine Partei: kein Hindernis.

Handzettel mit Wahlwerbung
Der Rassemblement National liegt in Umfragen vorne

Zurück auf dem Frühlingsmarkt in Sens. Auch nach fast zwei Stunden fragen noch immer noch Menschen nach einem Selfie mit Jordan Bardella. Bei Alain hat es nicht geklappt. Es war zu viel los. "Ich musste da jetzt raus dem Gedränge, um zu atmen. Ich werde ihn ja hoffentlich bald wiedersehen, bei all den anderen Veranstaltungen." Nur wenige Gegendemonstranten sind nach Sens gekommen. "Kein Hass" steht auf ihrem Plakat. Gegenüber den Fans von Jordan Bardella sind sie deutlich in der Unterzahl.

Autorin: Friederike Hofmann, ARD-Studio Paris

Stand: 14.05.2024 09:07 Uhr

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