Faktencheck zu "maischberger"

Sendung vom 14.05.2024

Faktencheck

Die Gäste (v.l.n.r.): Sonja Zekri, Kai Diekmann, Anja Kohl, Salman Rushdie, Rachel Eliza Griffiths
Die Gäste (v.l.n.r.): Sonja Zekri, Kai Diekmann, Anja Kohl, Salman Rushdie, Rachel Eliza Griffiths | Bild: WDR / Oliver Ziebe

Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.

Und das schauen wir uns an:

  • Was bedeutete die Fatwa gegen Salman Rushdie?

Was bedeutete die Fatwa gegen Salman Rushdie?

Mit dem Schriftsteller Salman Rushdie sprach Sandra Maischberger u.a. über die Fatwa, die das damalige geistliche Oberhaupt des Irans, Revolutionsführer Ayatollah Khomeini, am 14.02.1989 gegen Rushdie verhängte.

Fatwa gegen Salman Rushdie: Welche Konsequenzen hatte das? | Video verfügbar bis 14.05.2025

Maischberger: "Wir müssen einen Schritt zurück machen in die Geschichte, denn Sie kannten die Gefahr. Sie haben 1988 dieses Buch geschrieben, 'Die satanischen Verse', und es gab wütende Proteste. Wir haben ein paar Bilder aus dieser Zeit, damit man sich daran erinnert. Es wurde ihr Tod gefordert. Die Fatwa, also die Aufforderung, Sie zu töten, kam aus dem Iran. Es gab Tote bei diesen ganzen Unruhen, und es gab auch einen toten Übersetzer. Das heißt, Sie haben die Gefahr gekannt. Haben Sie eigentlich je bereut, dieses Buch geschrieben zu haben?"

Rushdie: "Nein. Ich bedauere diese Bedrohung, die daraus entstanden ist und die Folgen. Aber die Menschen, die das Buch angegriffen haben – beginnend mit Khomeini selbst – haben das Buch ja nie gelesen. Also, in gewisser Weise haben sie ein Buch angegriffen, was nicht existierte. Das war ein fiktionales, ein vorgestelltes Buch, das sie als Vorwand genutzt haben, um Ärger zu machen. Also, nein, ich bedauere überhaupt nicht, das Buch geschrieben zu haben. Ich glaube, viele der Menschen, die es gelesen haben und jetzt weiter lesen, mögen das Buch, und ihre Meinung ist genauso wichtig."

(…)

Einspieler Khomeini: "Ich setze das stolze Volk der Muslime in aller Welt davon in Kenntnis, dass der Autor des Buches 'Die satanischen Verse', das sich gegen den Islam, den Propheten und den Koran richtet, und alle an seiner Publikation Beteiligten zum Tode verurteilt sind."

Maischberger: "War Ihnen in diesem Moment klar, dass sich Ihr Leben für immer verändern wird?"

Rushdie: "Es wurde mir klar, dass es sehr gefährlich werden würde, denn Khomeini, neben allem anderen, hatte zu seiner Verfügung ja einen Staatsapparat. Und die große Gefahr für mich seinerzeit ging nicht von Individuen aus, sondern von staatlich gefördertem Terrorismus, von professionellen Killern. Und das hat fast neun Jahre gedauert. Und dann gab es irgendwann eine Vereinbarung zwischen den Briten und den Iranern, die die Drohung verringert haben."

Maischberger: "Ja, ich erinnere mich. Wir haben uns getroffen in der Zeit, in der sie untergetaucht waren. Sie waren zehn Jahre im Untergrund. Sie mussten immer Verstecke wechseln. Es gab eine Belohnung auf ihren Kopf. Die war mal 1 Millionen US-Dollar. Am Ende war sie 4 Millionen US-Dollar. Wann haben Sie eigentlich aufgehört, diese Bedrohung zu empfinden? Wann haben Sie sich entschlossen, wieder rauszugehen aus diesem Käfig?"

Rushdie: "Wie schon gesagt, teilweise gab es eine politische Vereinbarung auf Regierungsebene zwischen dem Vereinigten Königreich und dem Iran, und dadurch wurde die Gefahr geringer. Aber letzten Endes muss man ja selber entscheiden. Wenn man darauf wartet, dass irgendjemand sagt, jetzt ist die Welt perfekt und sicher, dann wird das nie mehr jemand sagen."

Hintergrund: Was bedeutete die Fatwa gegen Salman Rushdie?

Am 14.02.1989 rief der damalige iranische Revolutionsführer, Ayatollah Khomeini, in einer Fatwa zum Mord gegen den Schriftsteller Salman Rushdie auf. Auslöser war die Veröffentlichung von Rushdies Roman "Die satanischen Verse". Die Darstellung einzelner Aspekte des islamischen Glaubens in Rushdies Werk wurde von der iranischen Regierung als Gotteslästerung und Beleidigung des Islams bewertet. Verschiedene Passagen und Figuren wurden als Anspielungen auf die islamische Geschichte und das Leben des Propheten Mohammed gedeutet und sorgten für große Kritik.

Der Fall Salman Rushdie machte den Begriff der Fatwa auch in der westlichen Welt bekannt. In der medialen Berichterstattung wird dieser häufig mit einem Tötungsaufruf gleichgesetzt. Dies ist jedoch nicht richtig. Eine Fatwa bezeichnet im Islam ein Rechtsgutachten, das von einem islamischen Rechtsgelehrten (Mufti) erteilt werden kann. Eine verbindliche Regelung, wer ein solches Gutachten aussprechen darf, gibt es jedoch nicht. Nach gängiger Auslegung kann eine Fatwa erteilen, wer muslimischen Glaubens ist, die arabische Sprache beherrscht und über weitreichende Kenntnisse des islamischen Rechts verfügt, um ausgewogene Antworten auf religiöse und rechtliche Fragen geben zu können. Darüber hinaus können Fatwas auch dazu dienen, einfache Erklärungen und Handlungsanweisungen für Menschen muslimischen Glaubens zu liefern. Sie können Fragen des täglichen Lebens ebenso betreffen, wie Regelungen von gesellschaftlicher Relevanz. Auch Tötungsaufrufe können, wie im Fall Rushdie, per Fatwa ausgesprochen werden.

Im Islam existieren unterschiedliche Rechtsschulen – ein übergeordnetes, festgelegtes islamisches Recht gibt es nicht. Muftis formulieren Fatwas auf Grundlage der Rechtsschule, derer sie sich zugehörig fühlen. Ein zentraler Unterschied liegt hier in den beiden größten Strömungen des Islams, dem Sunniten- und Schiitentum. Im sunnitischen Islam haben Fatwas keine Rechtsverbindlichkeit. Es können diverse, sich widersprechende Fatwas gleichzeitig existieren, deren Befolgung oder Nichtbefolgung den Gläubigen überlassen wird. Im schiitischen Islam hingegen gelten Fatwas meist als rechtsverbindlich, und Gläubige sind dazu verpflichtet, ihnen Folge zu leisten.

Im Falle der Fatwa von Ayatollah Khomeini gegen Salman Rushdie war die Wirkmächtigkeit und Gefahr des Tötungsaufrufs besonders hoch. Da es sich beim Verfasser um das Staatsoberhaupt eines islamischen Landes handelte, kam die erteilte Fatwa einem staatlich verordneten Tötungsbefehl gleich. Khomeini galt zudem als ranghöchster Gelehrter der schiitischen Auslegung des Islams; seine Rechtsurteile waren deshalb auch religiös von herausragender Bedeutung und Relevanz.

Bereits kurz nach Veröffentlichung von "Die satanischen Verse" kam es zu Protesten und Morddrohungen gegen Rushdie. Die öffentlich ausgerufene Fatwa am 14.02.1989 erhöhte die Gefährdungslage für den Autor massiv. Eine Entschuldigung Rushdies kurz nach der Veröffentlichung der Fatwa wurde von Khomeini zurückgewiesen. Auch auf politischer Ebene konnte der Konflikt nicht beigelegt werden, was den Abbruch sämtlicher diplomatischer Beziehungen zwischen dem Iran und Großbritannien zur Folge hatte.

Infolge der Fatwa, die auch zur Tötung all derjenigen aufrief, die an der Publikation des Romans beteiligt waren, kam es zu zahlreichen Demonstrationen, Ausschreitungen, Bombenanschlägen und Attentaten. Der japanische Übersetzer des Buches, Hitoshi Igarashi, wurde im Juli 1991 bei einem Messerattentat getötet. Der italienische Übersetzer, Ettore Capriolo, wurde im Juli 1991 durch Stiche, der norwegische Verleger, William Nygaard, im Oktober 1993 durch Schüsse schwer verletzt. Im Sommer 1993 wurde im türkischen Sivas das Hotel in Brand gesetzt, in dem sich der türkische Übersetzer, Aziz Nesin, aufhielt. 37 Menschen – die meisten von ihnen Muslime – starben, Nesin überlebte unverletzt. Auch Gegner von Rushdies Werk kamen zu Tode. Bei Ausschreitungen während einer Demonstration in Mumbai wurden zwölf Teilnehmer von Sicherheitskräften erschossen, in Islamabad gab es bei Zusammenstößen mit der Polizei sechs Tote und hunderte Verletzte. Rushdie selbst lebte infolge der Fatwa über neun Jahre unter dem Pseudonym Joseph Anton an wechselnden Orten unter Polizeischutz.

1998 verkündete der Iran offiziell, dass er nicht mehr aktiv an einer Ermordung Rushdies arbeite. Laut des damaligen Außenministers Kamal Kharazi habe die Regierung der Islamischen Republik "weder die Absicht noch wird sie irgendetwas unternehmen, um das Leben des Autors der Satanischen Verse oder einer Person, die mit seinem Werk in Verbindung steht, zu bedrohen, noch wird sie jemanden dazu ermutigen oder dabei unterstützen, dies zu tun." Obwohl diese Aussage schon kurze Zeit später von anderen iranischen Stellen widerrufen wurde, kam es zu einer diplomatischen Annäherung zwischen Großbritannien und dem Iran. Auch Rushdie trat wieder öffentlich in Erscheinung. Seit 2000 lebte der Schriftsteller ohne Polizeischutz in New York City.

Offiziell aufgehoben wurde die Fatwa gegen Rushdie nie. Ayatollah Khomeini starb im Juni 1989, ohne die ausgesprochene Fatwa zurückgezogen zu haben. 2017 bekräftigte sein Nachfolger, Ayatollah Khamenei, die anhaltende Gültigkeit. Das Messerattentat auf Rushdie am 12.08.2022 rückte die jahrzehntealte Bedrohung erneut in den Fokus der Weltöffentlichkeit. Der Täter, der im US-Bundestaat New York inhaftiert ist und sich voraussichtlich in diesem Jahr vor einem US-Gericht verantworten muss, hatte unter anderem seine Wut über den Roman "Die satanischen Verse" von 1989 und Rushdies vermeintliche Beleidigung des Islams als Tatmotiv angeführt.

Fazit: Am 14.02.1989 verhängte der damalige iranische Revolutionsführer, Ayatollah Khomeini, wegen Gotteslästerung und Beleidigung des Islams eine Fatwa gegen Salman Rushdie. In dieser rief er zur Ermordung des Autors sowie aller an der Veröffentlichung von Rushdies Roman "Die satanischen Verse" Beteiligten auf. Eine Fatwa bezeichnet ein islamisches Rechtsgutachten, mit dessen Hilfe unter anderem Fragen des islamischen Rechts beantwortet werden sollen. Da Khomeini sowohl Staatsoberhaupt eines islamischen Landes als auch ranghöchster Gelehrter der schiitischen Auslegung des Islams war, erhielt seine Fatwa einen gesetzesähnlichen Status und wurde auch nach seinem Tod nicht aufgehoben. Der Mordaufruf befeuerte die Proteste gegen Rushdie und sein Werk. In den Folgejahren kam es zu zahlreichen Demonstrationen, Ausschreitungen, Anschlägen und Attentaten. Rushdie selbst lebte über neun Jahre unter Polizeischutz und falschem Namen, ehe er ab 1998 wieder öffentlich auftrat. Die am 12.08.2022 verübte Messerattacke, die Rushdie schwerverletzt überlebte, steht im Zusammenhang mit der vor mehr als 30 Jahre verhängten Fatwa.

Stand: 16.05.2024

Autor: Mitja Blümke