Interview mit dem Regisseur Jaco Van Dormael

Die deutsche Übersetzung zum Interview:

V.D.: Gott in Brüssel – nun, ich habe eine katholische Erziehung, ich glaube nicht an Gott, und es war hier, wo ich mit meinem Freund Thomas Gunzig im Wesentlichen die Geschichte aufschrieb. Wir waren einen Sommer lang im Garten damit beschäftigt. Ich denke, deshalb ist es eine Komödie geworden, weil wir versucht haben, uns gegenseitig zum Lachen zu bringen. Die erste Idee war, Gott existiert, er wohnt in Brüssel, nicht in Venedig oder New York. Nein, Brüssel, wo es regnet, mies ist, kalt. Keine schöne Stadt, aber eben sein Paradies für die Menschen: Nicht sehr einladend. Und die zweite Idee war, dass er eine Frau und eine Tochter hat, von der noch nie die Rede war. Und tatsächlich war das das Interessanteste für eine solche Erzählung, die sich stark an religiösen Motiven orientiert, dass es hier um Frauen geht, die im Zusammenhang mit Religionen eher durch Abwesenheit glänzen, zuweilen auch in der Gesellschaft.

Sie zeigen Gott nicht sehr sympathisch, um es genau zu sagen, er ist ein Arsch. Haben Sie da nie Probleme mit den Zuschauern gehabt, hat nie jemand das blasphemisch gefunden?

V.D.: Bis jetzt bin ich noch nicht von zwölf Nonnen entführt worden, was ich übrigens toll fände. Nein, der Film ist erstaunlich offen angenommen worden. Hier in Belgien hat die Kirche sogar auf ihrer offiziellen Website den Film empfohlen, weil er interessante Debatten anstößt über die Rolle der Frau in der Kirche oder ob es ein Leben nach dem Tod gibt. Aber für mich ist das kein Film, in dem es um Religion geht. Ich benutze die Motive nur, erzähle in einem Stil, den alle wiedererkennen, aber die Geschichte selbst ist viel fantastischer, verrückter…. Mich interessiert bei alledem in erster Linie die Rolle der Frau und des Mädchens.

Sind Frauen die besseren Götter? Weil sie es ja ist die den Planeten rettet.

V.D.: Jaja. Wir haben uns gefragt, ob und was sich an der Geschichte ändert, wenn wir eine Frau an Gottes Seite stellen. Ich weiß nicht recht, aber wenn man Jesus eine kleine Schwester gibt, ein Mädchen von zehn Jahren, die rebellisch ist, so wie er rebellisch war, die rebellisch gegen ihren Vater ist, das eröffnet sehr viele Möglichkeiten… Alle Personen, die sie trifft, leben in einer Schachtel. Der menschliche Geist tendiert zur Schachtel, sich selbst so ein kleines Gefängnis zu schaffen. Dass man sagt, so soll mein Leben sein und nicht anders. Und die sechs Apostel, die sie findet, sind sechs großartige Verlierer, die glauben, ihr Leben sei gelaufen, vorbei! Leben sei eben nur das, was in der Schachtel ist, und sie, Gottes Tochter, zeigt ihnen, wie sie darüber hinauswachsen können. Sie öffnet die Schachtel und sagt, es gibt vieles darüber hinaus, unwahrscheinliche Liebesgeschichten, keine Liebe aus dem Ikea-Katalog, aus irgendeinem Katalog, unglaubliche Treffen, Liebe! Es ist doch auch ein wenig Aufgabe des Kinos, des Films, des Theaters, Schachteln zu öffnen und ein Leben jenseits der kleinen Schachtel zu zeigen….

Glauben Sie, dass es ein Vorteil ist, sein Todesdatum zu kennen?

V.D.: Nun, in diesem Fall…. Ich persönlich möchte mein Todesdatum nicht wissen. Selbst, wenn das ginge. Ich lebe ein bisschen so wie meine Filmfiguren, als wäre ich unsterblich, habe wenigstens zweihundert Jahre, und vergesse, dass das Leben doch sehr viel kürzer ist. In dieser Geschichte erfährt jeder Mensch über sein Smartphone sein Todesdatum. Für einige ändert das alles, für andere nicht viel, weil sie nichts ändern wollen. Aber die sechs Personen, denen wir folgen, die ändern sich, weil sie erkennen, dass es jetzt sein muss oder nie. Das ist genau das, was die kleine Rebellin, Gottes Tochter, ihnen sagen will: Das Paradies ist hier und jetzt. Es gibt kein anderes. Nach dem Tod kommt nichts mehr.

Nicht sehr katholisch…

V.D.: Nein. Was sie macht, ist gar nicht…Also, Religionen sind ja meistens maskulin. Eine Geschichte von Männern für Männer über Männer, basierend auf Angst und Gehorsam, Regeln. Und hier ist das Gegengewicht, ein Mädel von zehn Jahren, das die Regeln bricht, die mehr Raum gibt, die sagt: Liebe, wen Du willst, und mach, was dir gefällt.

Ich würde gerne darüber reden, wie urbelgisch dieser Film ist…

V.D.: Ja, wohl wahr…

Welche Rolle spielt Brüssel für sie?

V.D.: Brüssel ist die Stadt, in der ich lebe. Es ist eine Stadt, die ich sehr liebe, die ich ziemlich hässlich finde, aber mit dieser Art Hässlichkeit, die – je länger man sie betrachtet – schöner wird. Man muss sie sehr lange ansehen, um sie schön zu finden. Und je länger man schaut, umso mehr Details entdeckt man. Aber auf den ersten Blick finde ich sie hässlich. Aber es ist auch eine Stadt, die viel Freiheit gibt. Alle denken alles und das Gegenteil. Alles ist recht eigenwillig, es gibt nichts Einheitliches. Die Architektur eines Hauses passt gar nicht zum Nachbarhaus. Nichts funktioniert. Und das gibt eben Freiheit. Ich mag diese totale Mischung von Sprachen und Kulturen. Nichts dominiert.

Es gibt keine Eurokraten in diesem Film…

V.D.: Nein, es gibt keine…, hatte ich gar nicht dran gedacht, aber Freunde aus Portugal, Griechenland sahen den Film und sagten: Klar. Brüssel, wo all diese nervtötenden Gesetze gemacht werden.

Um trotzdem nochmal auf einen anderen Punkt zurückzukommen. Es reicht ja heute schon recht wenig, wenn man sich über Religionen lustig macht, Schlimmes auszulösen. So was könnte Terroristen, Mörder auf den Plan rufen. Hat es da keine Probleme bei der Finanzierung des Films gegeben? Hatte jemand Angst?

V.D.: Das ist der Grund, warum ich den Film selbst produziert habe und nicht delegiert habe. Ich wollte nicht, dass jemand mir Bemerkungen rausstreicht. Ich wollte keinen Produzenten, der Angst hat und mir sagt, ich soll was ändern. Deshalb habe ich selbst produziert und das hat mir alle Freiheiten gelassen. Aber ich finde den Film nicht provozierend, zumal ich nicht unbedingt provozieren will. Aber ich möchte es auch nicht bewusst vermeiden. Also, ich gehe davon aus, dass Leute, die an Gott glauben, keine Idioten sind. Die werden schon merken, dass das nicht ihr Gott ist. Der Papst, also zumindest dieser, würde sich über den Film bestimmt amüsieren.

Ich finde eigentlich, dass es nicht wirklich eine reine Komödie ist. Da gibt es auch lange Strecken, die eher philosophisch, poetisch sind, nicht wahr?

V.D.: Ja, das ist ein Film, der Komödie mit poetischen Passagen mischt. Ich finde auch viele Dialoge literarisch, keine Alltagsdialoge. Die Kinder sprechen oft wie aus einem Buch und blicken in die Kamera, frontal zur Kamera, symmetrisch wie in einer Kirche… Das schafft so eine poetische Distanz. Und die Komödie hat ihre Wurzeln immer in dem, was ein bisschen schmerzt. Es muss immer ein kleiner Stein im Schuh sein, der ständig schmerzt, und man lacht trotzdem. Und weil man darüber lachen kann, kann man weiter gehen bis hin zum Drama.

Sie haben eine gute Chance, den europäischen Filmpreis zu gewinnen?

V.D.: Das wäre großartig, aber wir werden sehen…

Er hat doch bereits einen europäischen Preis bekommen, für das beste Dekor.

V.D.: Ja, in der Tat. Für Sylvie Olivé, die das kreiert hat. Das war der Preis der Jury.

Das Dekor ist doch eigentlich Brüssel…

V.D.: Nein, es geht um die konstruierten Räume, die sehr frontal sind. Ich habe mit Sylvie vereinbart, alles frontal, symmetrisch zu bauen, wie in der Kirche, selbst wenn nichts Religiöses im Bild war. Und wir haben eher weggelassen, als hinzuerfunden. Es sollte so leer wie möglich aussehen. Vor allem für diese Filmfiguren, die so ein bisschen in das Leben hineinversetzt werden.

Der Film ist ja auch ganz außergewöhnlich fotografiert….

V.D.: Christophe Beaucarne war das. Ein sehr guter Freund, der für die Kamera verantwortlich war. Es ist zugleich weiches und hartes Licht. Und wir haben beschlossen, das Licht zu bewegen. Das heißt die Kamera bewegt sich nicht, aber das Licht. Dadurch gibt es immer so eine kleine Bewegung…

Als ich klein war, in meiner religiösen Erziehung, habe ich Gott als eifersüchtig kennengelernt, – er will keinen Gott neben sich –, er zerstört Städte, bittet einen Vater seinen Sohn umzubringen, um seine Loyalität zu beweisen; er hat seinen eigenen Sohn nicht gerettet, als er gekreuzigt wurde. Man nennt das wohl Prüfungen. Batman und Superman retten Menschenleben, aber Gott lässt Kinder an Krebs erkranken und sterben. Es hat mit Mangel an Glauben nichts zu tun. Aber ich hab an all das gedacht, als ich das Drehbuch schrieb. Gottes Sohn hat versucht, die Situation zu retten. Aber das hat für ihn kein gutes Ende genommen. Jetzt kommt die Tochter, die etwas weiter geht als ihr älterer Bruder, die die Situation jetzt rettet.

Ich denke, es gibt eine Gemeinsamkeit zwischen Kino und Religion. Deleuze hat das gesagt, dass nämlich beide dich glauben machen wollen, das Leben könnte einen Sinn haben. Diese Art von Illusion, es führe dich irgendwohin… Vielleicht erzählen wir Geschichten, um uns darüber hinwegzutrösten, dass wir nicht wissen, wohin es geht. Dasselbe gilt für die Religion. Jeder von uns erfährt dieses Mysterium, macht diese großartige Erfahrung, am Leben zu sein. Mysteriös: Wir sind auf einem Planeten, der um die Sonne kreist. Wir sterben. Aber selbst, wenn es keine Antwort gibt, finde ich die Frage nach dem Sinn großartig. Ich liebe den Zweifel. Ich liebe das Nichtwissen. Die Erfahrung ist jedenfalls fantastisch.

Also gibt es doch eine Botschaft im "brandneuen Testament". Das ist ja in sich eine Botschaft.

V.D.: Der Titel ist ja eher komisch, im Sinne von "Die brandneue Waschmaschine". Botschaften – ich weiß nicht. Fragen ganz sicher. Ich liebe Filme, die Fragen stellen und keine Antworten geben. Man kann Antworten selbst finden oder es lassen, so wie ich. Ich suche Fragen. Fragen überdauern länger als Antworten, finde ich.   

Das Interview führte Cornelia Kolden