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Philippinen: Unter Wasser – Das Slum-Venedig von Manila

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Philippinen: Unter Wasser - Das Slum-Venedig von Manila | Bild: NDR

In Malabon wird gepaddelt statt zu Fuß gegangen. Das Fortbewegungsmittel der Wahl ist ein Floß. Denn ein Teil der Stadt liegt in einer Senke. Vor gut zehn Jahren wurde diese Senke überflutet, und das feuchte Nass blieb. Die Straßen stehen nun meterhoch unter Wasser. Die meisten Bewohner haben sich mit den Fluten arrangiert.

Belen Balisi passt auf, dass die Kasse stimmt. Die 51-Jährige steht an der Zapfsäule. Allerdings pumpt sie keinen Sprit – sie verkauft Wasser. Das ist schon paradox: Denn wenn es hier etwas gibt, dann ist es Wasser. "Es macht Spaß, auch wenn alles unter Wasser steht. Wir sind trotzdem glücklich, wir haben ja unsere Familien und unsere Nachbarn. Fällt mal ein Kind ins Wasser, und die Geschwister sind nicht da, dann rettet es der Nachbar", erzählt Belen Balisi.

Die Menschen hier sind arm. Ihre Arbeitersiedlung gehörte mal zu einer großen Textilfabrik. Doch die ging pleite. Da hörten dann auch alle Pumpen und Drainagen auf zu arbeiten. So füllte sich langsam die Mulde: mit Meerwasser, Grundwasser, Regenwasser – und sehr viel Treibgut. "Mein Telefon ist mal reingefallen. Anfangs hat es noch geleuchtet unter Wasser. Ich habe es rausgefischt, aber es schien nicht mehr zu funktionieren. Also habe ich es abtropfen lassen und dann in Reiskörner gesteckt. Nach drei Tagen ging es wieder“, erinnert sich Belen Balisi.

"Ohne Boot kommst Du nirgendwo hin"

Die Menschen, die in Artex geblieben sind, haben sich mit dem Wasser arrangiert. Sie sind meist sehr arm und sagen sich: Besser hier eine Wohnung  haben als obdachlos sein.
Die Menschen, die geblieben sind, sind meist sehr arm.  | Bild: Das Erste

150 Familien leben noch in dieser Wasserwelt. Die gute Stube in den Häusern liegt oben. Das ehemalige Wohnzimmer unten ist jetzt ein feuchter Keller. Ehemann, Söhne, Schwiegertochter, Enkelkind: alle da, alles gut - nur der Kinderspielplatz fehlt: "Ja, schade, dass unser Sohn nicht draußen herumtoben kann. Als ich noch bei meiner Mutter wohnte, da ging das. Aber hier: Ohne Boot kommst Du nirgendwo hin", sagt Schwiegertochter Rose Ann Balisi. Sohn Ochi Belisi ergänzt: "Wir haben uns dran gewöhnt, aber es kann nicht immer so weitergehen. Wir sind glücklich. Doch etwas mehr Komfort für unser Kind wäre auch nicht schlecht."
Zwecks Raumgewinnung wird vorgebaut oder draufgesattelt. Es gibt zwar Strom, aber kein fließendes Wasser, das war einmal. Das Abwasser funktioniere aber, schwört Belen, die Leitungen seien ja tief in der Erde.

Kiosk: "Es ist okay, wir machen kein Minus"

In all den Jahren haben die ehemaligen Textilarbeiter viel erlebt: Streiks, Stürme, verheerende Feuer. Doch die größte Gefahr ist wohl der Investor, der das Gelände samt Häusern nun gekauft hat. Auch die Balisis haben Angst, ihr Heim an ihn zu verlieren. Die Dorfgemeinschaft klagt gegen den Grundstücksdeal, denn sie fühlt sich hintergangen: "Ganz egal, was andere Leute auch unternehmen, um uns fertig zu machen: Wir stehen zusammen. Jede Familie hier kämpft um ihr Dach über dem Kopf. Solange, bis auch jeder sein kleines Stück Land bekommt", sagt Fernando Balisi, ehemaliger Mechaniker der Textilfabrik.

Belen paddelt zum Kiosk, die Hauptstraße runter. Ein Balanceakt. Weiter oben begrüßt sie Tante Emma, mit richtigem Namen Sarah. Das Geschäft könnte wie immer besser laufen, aber es gibt ja einen Rettungsanker: "Es ist okay, wir machen kein Minus. Ich verkaufe Alkohol, andere Läden nicht", sagt sich verschämt lächelnd. Im Auftrag der ganzen Nachbarschaft führt Belen die Wassertankstelle. Sie verdient damit drei Euro täglich. Schicht ist von morgens fünf bis abends um acht – zwei Wochen am Stück, dann kommt die Kollegin.

Auszeit am Festland

Manchmal macht die Mühsal Pause, dann ist – am sicheren Ufer – Fiesta: mit Spielen für die Kleinen und Karaoke für die Großen. Dann gönnt sich auch Belen eine Auszeit, frönt der Leichtigkeit des Seins – die da kommt mit festem Boden unter den Füßen. Das sind Festtage auf dem Tümpel: Mit Wettpaddeln statt Wasser gondeln, Spiel ohne Grenzen, Stoßverkehr im Häusermeer.

"Mir ist wichtig", sagt "Kapitänin" Belen, "dass mein Jüngster die Schule schafft. Wir Alten können nirgendwo hin, aber er wird hier sicher nicht bleiben wollen. Und wenn er etwas erreicht, dann hilft das auch uns. Das ist alles, mehr will ich gar nicht." Dann gleitet sie - ein letztes Mal für heute - die Hauptstraße entlang und kehrt zurück auf ihre Arche.

Autor: Uwe Schwering, ARD-Studio Tokio

Stand: 12.07.2019 05:15 Uhr

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