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Guantanamo: Besuch im Gefangenenlager

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Guantanamo: Besuch im Gefangenenlager | Bild: BR

Die Reise beginnt paradiesisch schön, mit einem Blick über karibische Inseln. Einmal die Woche fliegt eine Chartermaschine nach Guantanamo. Journalisten bekommen ein Ticket nur mit Spezialgenehmigung.

Menschen an Deck einer Fähre
Fähre zum Stützpunkt und zum Gefangenenlager | Bild: BR

Eine Fähre setzt über an die Nordseite der Bucht, Sitz des Armee-Stützpunktes und des berüchtigten Straflagers. Ab jetzt werden wir ständig begleitet. Die Regeln für unsere Pressetour sind streng: Nur wenige Bildmotive sind erlaubt, heißt es im Einführungsvortrag. Alles andere gefährde die nationale Sicherheit. Doch man wolle auch die Gefangenen schützen - vor uns:

Karin Dohr:

»Haben Sie gefragt, ob die Häftlinge Journalisten treffen wollen?«

Ein weiblicher Presseoffizier:

»Diese Frage ist nicht möglich. Sie zu stellen, ist nicht unsere Aufgabe. Die Gefangenen haben jedenfalls nicht ihre Zustimmung gegeben.«

Karin Dohr:

»Aber dafür müssten Sie sie doch erst fragen.«

Presseoffizier:

»Nein, wir fragen nicht.«

Eine Soldatin kontrolliert Dreharbeiten
Kamera unter Kontrolle | Bild: BR

Unsere Kamera steht immer unter Kontrolle. Der Blick auf die Bucht geht in Ordnung, doch schon die Autofahrt ins Lager ist tabu.

Hier ist ein Großteil der Gefangenen untergebracht, zurzeit 164 - bewacht von über 2000 Wärtern. Unsere Begleitung ist nervös: Die Angst vor Racheanschlägen durch Al-Kaida ist groß.

Man führt uns in leere Einzelzellen: Kleidung, Zahnbürste, Shampoo und eine Wärterin, die unerkannt bleiben will. Schuldig oder nicht, das sei hier keine Frage, versichert uns ihre Kollegin:

Eine Lagerwärterin in Guantanamo:

»Man könnte sich das fragen, aber man lässt es besser. Unser Leben hat mit ihrem nichts zu tun. Wir erfüllen hier einfach nur einen Auftrag.«

In dem einen Fernsehsessel pro Trakt dürfen Gefangene bei guter Führung bis zu vier Stunden pro Woche Platz nehmen – angekettet. Wer sich benimmt, darf auch in den Gemeinschaftsbereich oder zum Fußballspiel in den Hof. Als ich nach Problemen frage, heißt es denn auch:

»Manchmal schießen die Gefangenen den Fußball über den Zaun, dann müssen wir ihn wieder holen.«

David Remes
David Remes | Bild: BR

Wir zeigen unsere Bilder einem Anwalt in Washington. Er vertritt 14 der Häftlinge. Für die Aussagen ihrer Wärter hat er wenig Verständnis:

David Remes, Guantanamo-Anwalt:

»Die jüngste Beschwerde war, dass ein Wachmann einfach in eine Gruppe Fußballspielender geschossen hat, nur wegen eines kleinen Streits, als ein weiterer Gefangener in den Hof wollte. Zu behaupten, dass die größten Probleme Fußbälle sind, die über den Zaun gehen, ist eine absurde Täuschung.«

Unsere Tour nähert sich ihrem Höhepunkt, den maximal fünf Minuten, in denen man ausgewählte Gefangene beobachten darf. Das Licht wird gedimmt.

Karin Dohr:

»Es ist so dunkel, damit die Gefangenen uns durch die Fenster nicht sehen und auf uns reagieren können. Sehr gespenstisch!«

Wir sollen schweigen, um niemanden auf uns aufmerksam zu machen. Doch plötzlich kommt dennoch ein Gefangener auf uns zu, in der Hand einen Zettel. Bevor wir Details erkennen können, wird der Dreh hektisch abgebrochen. Die Wächter scheuchen uns um eine Ecke. Als man uns wieder ans Fenster lässt, ist der Gefangene weg. Keiner will uns erklären was passiert ist.

Viele dieser Männer sind wohl unschuldig. Nach mehreren Untersuchungen wurden ursprüngliche Anklagen fallen gelassen. Doch ihre Freilassung wird politisch verhindert. Im Lager gelten sie weiter als feindliche Kämpfer. Auch Selbstmorde unter Gefangenen dienen als Beleg dafür, erklärt uns Guantanamos sogenannter "kultureller Berater".

"Zaki", "Kulturberater" Guantanamo:

»Die Selbstmorde sind strategische Einsätze. Die Gefangenen befehlen einem unter ihnen, sich umzubringen. Die Hoffnung ist wohl, dass wir alle hier frei lassen, sobald es Selbstmorde gibt. Sie nutzen das also als Waffe. Es ist Teil ihrer Verhaltensregeln, sie sind dazu trainiert worden. Das gehört zu ihrem Kampf dazu, um den Feind schlecht dastehen zu lassen.«

Auch einer von David Remes‘ Klienten wurde vor einem Jahr tot aufgefunden. Er fällt ihm schwer, ruhig zu bleiben:

David Remes:

»Keiner will zugeben, dass Menschen an den Folgen von Misshandlung sterben, oder dass sie in tiefe Verzweiflung getrieben werden. Doch dass ihr Tod auch noch als Argument gegen sie genutzt wird, ist lächerlich. Was soll ich da noch sagen. Man kann es nicht überprüfen, man kann es nicht widerlegen, es ist einfach nur Propaganda.«

Käfige im Lager X-Ray
Käfige im Lager X-Ray | Bild: BR

Man zeigt uns das Lager "X-Ray", in dem die Gefangenen in den ersten Monaten gehalten wurden. Brütende Hitze schon am frühen Morgen und winzige Käfige ohne Schutz - nur der Eimer, der als Toilette diente, fehlt. Wie Sehenswürdigkeiten wird all das präsentiert.

Anschließend entscheidet sich, welche Bilder wir behalten dürfen. Die Zensur läuft routiniert ab, sogar freundlich - doch verhandelt wird nicht. Ohne Erklärung wird manches gelöscht, Protest zwecklos.

Nur Harmloses soll übrig bleiben: Frisches Gemüse in der Küche - die Botschaft ist klar: hier werden die Gefangenen vorbildlich verpflegt. Sogar Rosinenkekse gibt's zum Kosten.

Fast alle, die wir treffen, wollen anonym bleiben. Auch die Gefangenen kennen die Namen ihrer Wärter nicht. Auf den Uniformen stehen nur Tarnnamen: Figuren aus Shakespeare-Dramen etwa oder amerikanische Städte. Wir sind im Lagerkrankenhaus.

Hungerstreikende werden hier zwangsernährt. Mehr als 100 Gefangene verweigerten monatelang feste Nahrung, aus Protest. Derzeit seien es nur noch 18, heißt es. Dass das Einführen der Magensonde extrem schmerzhaft sei, davon will man in Guantanamo nichts wissen. Mit ein bisschen Olivenöl gehe das ganz gut, erklärt man uns, ein Pfleger geht sogar noch weiter:

Krankenpfleger "Leonato":

»Guantanamo wird ja immer als Schandfleck dargestellt, in Filmen ist das immer die schlimmste Drohung: "Du kommst nach Guantanamo.“ Aber ich finde, es ist überhaupt keine Drohung. Die Gefangenen werden respektvoll behandelt, behalten ihre Würde. Sie haben viel mehr Privilegien als zum Beispiel normale amerikanische Häftlinge.«

Für Anwalt Remes der reine Hohn. Er besucht regelmäßig die Familien seiner Klienten, zuletzt in Jemen. "Wann kommt er endlich frei?" fragen sie ihn, oder: "Wie ist er gestorben?" Doch die Antwort auf diese Fragen, so sagt er, werden wir vielleicht nie kennen.

Autorin: Karin Dohr / ARD Washington

Stand: 15.04.2014 11:01 Uhr

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