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Israel: Ultraorthodoxe in die Armee

Wehrpflicht jetzt auch für die "Gottesfürchtigen"?

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Israel: Ultraorthodoxe in die Armee | Bild: BR

Eine fremde Welt, die sich für uns öffnet: als erstes Fernsehteam überhaupt dürfen wir hier drehen. In der Mir Jeshiva, einer der größten Talmudschulen in Israel, mitten im ultraorthodoxen Viertel Mea Shearim in Jerusalem.

Studenten einer Talmudschule
Studenten einer Talmudschule | Bild: BR

Junge Ultraorthodoxe lernen hier bis zu 14 Stunden täglich die heiligen Schriften des Judentums - ein Leben lang. Sie dienen Gott und nicht dem Staat. Rund 40.000 junge Männer leben so in Israel. Seit Staatsgründung sind sie befreit vom Militärdienst.

Der Grund: David Ben Gurion brauchte für die Gründung des Staates Israel den Zusammenhalt aller Juden. Und so kam er den Ultras entgegen, erlaubte, dass ihre Studenten nicht dienen müßten. Damals waren das gerade mal 400. Heute, wie gesagt, sind es 40.000.

Eine junge Frau
Eine junge Frau | Bild: BR

In die Armee zu gehen, das ist common sense in Israel. All diese ausgelassenen Israelis hier sind oder waren Soldaten. Sie feiern am ersten Freitag im Juli den Sommer. Dieses verrückte Wasserfest mitten in Tel Aviv ist ein großer Spaß. Keinen Spaß verstehen diese jungen Leute, wenn es um die Ultras geht, die nicht zur Armee wollen

»"Ich werde Truppenkommandeurin. Jeder muss dienen. Man muss dem Staat dienen und es ist auch ihr Staat. Sie leben hier auf Kosten des Staates, also müssen sie auch etwas zurückzahlen." Eine junge Frau«

»"Man muss die Ultras zwingen. Warum bin ich denn gezwungen? Ich hatte einen Freund, der wollte nicht zur Armee. Da kam die Militärpolizei und holte ihn. Warum kann man die Ultraorthodoxen nicht auch so holen?" Ein junger Mann«

Wir sind im Privathaus einer der wichtigsten Rabbiner der Haredim, der Gottesfürchtigen, wie sich die ultraorthodoxen Juden selbst nennen. Rabbi Shmuel Auerbach, ist einer der größten Gegner der Regierungspläne, Ultraorthodoxe einzuziehen. Auch diese Bilder sind einmalig. Noch nie durfte jemand seinen Talmudunterricht drehen, den er mit dünner Stimme für einen auserwählten Kreis hält. Direkt mit uns reden, das will er aber nicht.

Rabbi Yosef Petrov
Rabbi Yosef Petrov | Bild: BR

Um mehr zu erfahren, gehen wir in sein Lehrhaus nebenan. Dasselbe Bild: junge Männer, die den ganzen Tag studieren. So auch Rabbi Yossi Petrov, der engste Vertraute von Rabbi Auerbach. Er erklärt uns die Hintergründe für die Verweigerung der Haredim Militärdienst zu leisten.

»"Der Staat sagt es ja selbst: Um sich gegen unsere Feinde zu verteidigen, braucht er die Ultraorthodoxen nicht. Sie wollen, dass sich die Haredim in die israelische Gesellschaft integrieren. Aber das ist genau das, was wir nicht wollen. Wir wollen nicht Teil einer Gesellschaft werden, die die eigene Geschichte verleugnet, die eine jüdische Identität ablehnt und lediglich Teil der globalen Gesellschaft sein will. Wir möchten eine zutiefst jüdische Gesellschaft." Rabbi Yosef Petrov«

Unsere Frage: "Was antworten Sie einer säkularen israelischen Familie, die sagt: 'Warum soll unser Sohn sterben, aber eure Söhne nicht?'"

»"Das ist sehr hart und ich kann sie gut verstehen. Aber wir wissen doch: Ohne die Thora, die fünf Bücher Moses, gäbe es uns als Nation nicht. Unser Recht hier im Land Israel zu leben, kommt doch von der Thora, sie gibt uns Bedeutung. Ohne sie hätten wir keinerlei Existenzberechtigung im Land Israel." Rabbi Yosef Petrov«

Ein Trupp im Einsatz zur Terrorbekämpfung. Wir sind im Westjordanland, in der Nähe einer israelischen Siedlung. Dies ist im Moment nur eine Übung. Das Besondere: Diese Soldaten sind ultraorthodox. Denn es gibt sie: die Gottesfürchtigen, die sehr wohl dienen wollen. 2500 sind es derzeit. 2500, die sich als Teil der israelischen Gesellschaft verstanden wissen wollen.

Für sie schafft die Armee Extra-Kasernen und -Einheiten. Denn diese Soldaten leben weiterhin nach den Regeln der Thora. Das heißt zum Beispiel auch, dass weibliche Soldaten nicht im Camp sein dürfen.

Rabbi Yitzhak Bar Chaim
Rabbi Yitzhak Bar Chaim | Bild: ´BR

Rabbi Bar Chaim betreut diese jungen Männer. Er ist nationalistisch geprägt und erklärt daher den Soldaten, dass die Thora die Verteidigung des Volkes Israel anerkenne. Er muss ihnen immer wieder Mut machen, denn so manche wurden von ihren Eltern verstoßen, als sie sich für den Militärdienst entschieden.

»"Man muss die haredische Gemeinschaft verstehen. In einer haredischen Familie gibt es Töchter, die verheiratet werden müssen, einen Vater, der täglich in die Synagoge geht, Söhne, die beim Rebben lernen. Was wird der Rabbi sagen, was der Heiratsvermittler, dass einer der Brüder in der Armee ist?" Rabbi Yitzhak Bar Chaim«

Ein israelischer Checkpoint im Westjordanland. Auch diese Soldaten gehören zur ultraorthodoxen Einheit. Manche sind inzwischen ohne Bart, weil’s praktischer ist. Solche Zugeständnisse an das moderne Leben sind genau die Gründe, warum die Gottesfürchtigen das Militär ablehnen.

Wir begleiten eine Patrouille. Yossi traut sich als einziger mit uns zu reden. Er mochte das Thorastudium nicht, er wollte sein Volk lieber verteidigen.

»"Ich konnte zunächst nie heim. Meine Eltern sagten mir, ich sei ein verfaulter, verrotteter Apfel, der alles um ihn herum verderbe. Immerhin, inzwischen besuchen sie mich hier. Sie sind stolz, dass ich das jüdische Volk beschütze. Denn es ist ja eh alles Gottes Wille." Yossi Siton«

Rabbi Auerbach
Rabbi Auerbach | Bild: BR

Wir sind wieder in der Wohnung von Rabbi Auerbach. Er macht sich fertig für eine große Veranstaltung, um dort über die spirituellen Gefahren des Militärdienstes zu sprechen. Wie soll eigentlich die Zukunft Israels ausschauen, wenn diese Menschen, die pro Familie mindestens zehn Kinder haben, irgendwann die Mehrheit im Lande stellen? Auch diese Frage beantwortet nur sein Vertrauter:

»"Keine Frage: Wenn wir die Mehrheit sind, müssen wir uns mit des Verteidigung des Landes auseinandersetzen. Dann wird die Armee ultraorthodox sein. Wir ignorieren nicht die Sicherheitsinteressen des Staates und des jüdischen Volkes. Aber solange die Führer säkular sind und die jüdische Kultur untergraben, gehen wir lieber ins Gefängnis als Teil des Systems zu werden. Wir kämpfen für den Erhalt unserer jüdischen Identität." Rabbi Yosef Petrov«

Die große Versammlung der Haredim in der Kongresshalle Jerusalems. Tausende sind gekommen. Alle warten auf ihn: Rabbi Auerbach. Yosef Petrov gibt Signal, dass er kommt. Und dann tobt der Saal. Eine eindrucksvolle Demonstration der Verehrung aber auch des unbedingten Willens sich der säkularen Welt entgegenzustellen.

Rabbi Auerbach bei einer Rede
Rabbi Auerbach bei einer Rede | Bild: BR

Und dann spricht Rabbi Auerbach: Er spricht von den Gefahren dieser Entwicklung, von der Bedrohung der jüdischen Tradition durch die Zionisten und die Armee. Nur die Thora zähle.

Worüber hier keiner spricht: Falls das Gesetz tatsächlich verabschiedet würde, bekämen die Talmudschulen kaum noch Staatssubventionen. Jetzt bekommen sie Steuergelder entsprechend der Anzahl ihrer Studenten. Dies ist also ein Kulturkampf und ein Kampf ums Geld. Und die Haredim haben den Fehdehandschuh der Säkularen längst angenommen.

Autor: Richard C. Schneider / ARD Tel Aviv

Stand: 15.04.2014 11:09 Uhr

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