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Philippinen: Kann Verhütung Sünde sein?

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Philippinen: Kann Verhütung Sünde sein? | Bild: BR

Die Wehen haben begonnen. Mariane ist 32 Jahre alt und neunfache Mutter. Heute wird sie ihr zehntes Kind gebären. Ein Kind, so überraschend ungeplant, wie alle anderen zuvor.

"Jedes Mal, wenn ich schwanger im Krankenhaus bin, frage ich mich, wie ich all das bezahlen soll." Mariane Roca

Die Hände einer Frau auf ihrem Bauch
Die Hände einer Frau auf ihrem Bauch | Bild: BR

Mariane hat kein Geld für die Verhütung und keines für die Entbindung. Dabei will das Krankenhaus, wenn überhaupt, nur eine symbolische Summe: 100 Pesos vielleicht, zwei Euro. Manchmal werden die Mütter dafür noch mit dem Krankenwagen nach Hause chauffiert. Das Fabella-Hospital bügelt aus, was katastrophal schief gegangen ist auf den Philippinen.

"Die meisten Frauen hier haben schon mindestens vier Kinder, und häufig von zwei oder drei Männern. Das ist wie ein Wettbewerb. Die Männer wollen sich gegenseitig übertrumpfen."
Engrid Pepino, Hebamme

Frauen in einem Krankensaal
Frauen in einem Krankensaal | Bild: BR

Wer in Manila geboren wird, macht seinen ersten Atemzug ziemlich wahrscheinlich in Fabella. Das Hospital ist die Mutter aller Geburtskliniken. Die größte auf den Philippinen, die größte in Südostasien, vielleicht die größte der Welt. 1000 Mütter und mehr werden hier stationär behandelt, ein bis 200 Babys täglich geboren. Think big in Fabella

"Die Philippinen sind ein sehr katholisches Land. Die Religion lehrt uns, Kinder zu kriegen. Sie sind die Quelle unseres Glücks. Aber Gott sei Dank hat die Regierung endlich eingesehen, dass wir bei der Familienplanung verantwortlicher sein müssen."
Antoinette Pacapac, Ärztin

Mit einem neuen Gesetz will die Regierung die Kinderflut stoppen. Darin geht es nicht um kontroverse Fragen wie die Abtreibung. Es geht einzig und allein um Verhütung. Darf der Staat zukünftig kostenlos Kondome an die ärmsten der Armen verteilen? Und darf es umfassende Sexualaufklärung in den Schulen geben?

Priester Jerry Orbos
Priester Jerry Orbos | Bild: BR

Die Gegner sitzen hier: in den Kathedralen Manilas. 15 Jahre lang haben die erzkonservativen Bischöfe das Gesetz blockiert. Sie führen einen geradezu mittelalterlichen Kampf gegen Pille und Kondom: Die Wirbelstürme über den Philippinen zeigten deutlich Gottes Zorn über das neue Gesetz, so einer der Bischöfe. Ein anderer nennt die Kondom-Befürworter Terroristen. Und trotz unbefleckter Empfängnis, heißt es: Jesus wär vielleicht nie geboren, hätte es damals Kondome gegeben.

"Wir wollen das Recht des Ungeborenen schützen. Außerdem finden wir: Verhütung fördert den Vielsex. Alles löst sich auf, die Unantastbarkeit der Ehe, die Familie, einfach alles."
Jerry Orbos, Priester

Der schönste Moment des Lebens – hier wird er mit Beklemmung erwartet. Mariane wird gleich entbinden.

Die Frage der Verhütung – sie ist auf den Philippinen seit jeher auch eine Glaubensfrage. Viele junge Frauen, die sich an die Kirchenmoral halten und nicht verhüten, treiben später verzweifelt ab, illegal bei obskuren Ärzte oder mit selbstgemixten Flüssigkeiten. Viele Mütter töten so das Kind – und manchmal sich selbst.

Ärztin Ana Apruebo
Ärztin Ana Apruebo | Bild: BR

Mariane dagegen hat sich auch für ihr zehntes Kind entschieden. Die Geburt dauert nur Minuten, ein Sohn, James Mark. Kind Nummer 16 heute im Fabella-Hospital, der Kinderfabrik.

"Das Gebären ist für die Mütter ja so einfach. Das ist wie Niesen: Hatschi! Und dann kommt das Baby schon raus."
Ana Apruebo Ärztin

Ärzte und Schwestern in Fabella kommen kaum hinterher. Ein Bett für vier Menschen: zwei Mütter, zwei Babys. Die Sterblichkeitsrate ist hoch: Von 1000 Babys sterben 70. In dieser Abteilung liegen die Zu-Früh-Kommer: Die jüngsten hier kamen mit gerade 27 Wochen zur Welt, zwei Monate zu früh. Inkubatoren gibt es nicht.

Auch manche Mütter sind irgendwie Frühchen: Gerade mal 16 oder weit darunter. Sexualaufklärung haben diese Kinder-Mütter nie bekommen. Es widerspricht der Moral der Kirche.

"Es gibt einfach keine Grenzen hier, keinerlei Familienplanung. Deswegen haben wir so viele Kinder. Der liebe Gott sagt: 'Geht raus in die Welt und vermehret euch!'"

"Jesus hat immer Recht" plakatiert die katholische Kirche in Manila. Mariane, die junge Mutter, fährt nach Haus.

Ihr Ehemann hatte keine Zeit, sie abzuholen. Er verkauft Fisch auf der Straße, für 200 Pesos am Tag. Vier Euro müssen reichen für die nun zwölfköpfige Familie.

"Ich freue mich, zurück zu kommen zu meinen anderen Kindern, denn auch um sie muss ich mich wieder kümmern."
Mariane Roca, Mutter

Gasse im Slum
Gasse im Slum | Bild: BR

Pandacan, ein Slum in Manila City. Hier lebt Mariane. Die meisten Familien hier haben acht, zehn oder zwölf Kinder, aber sonst von allem zu wenig: Kein Geld, kein fließend Wasser, wenig Essen, der Strom irgendwo abgeknapst. Kaum jemand hier hat jemals eine Schule besucht.

Die zehn Kinder, Mutter und Vater teilen sich ein einziges Zimmer. Auch Marianes Großmutter ist da. Sie allein hat dutzende, vielleicht sogar hunderte Urenkel. Nicht mal sie selbst kann es noch überprüfen.

"Ich habe bei 30 oder 40 den Überblick verloren. Es sind einfach zu viele."
Großmutter von Mariane

Pille und Kondom – kostenlos für die Armen. Das neue Gesetz ist ein großer Schritt für die Philippinen. Aber es wird Jahre brauchen, um irgendetwas zu bewirken. Die jungen Frauen nämlich kämpfen einen doppelten Kampf gegen die Bischöfe und gegen ihre eigenen Männer. Auch die wehren sich gegen Kondome aus Motiven allerdings, die sich ganz und gar nicht speisen aus tiefer Frömmigkeit.

Autor: Philipp Abresch / ARD Tokio

Video: Kleine Fluchten vom anstrengend Arbeitsalltag und vom Stress im Hospital – Das Krankenhauspersonal probt einen Tanz für die Weihnachtsfeier

Stand: 22.04.2014 14:13 Uhr

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