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Südafrika: Selbstversuch im Township

Weiße Mittelklassefamilie will wissen, wie die schwarze Mehrheit lebt

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Südafrika: Selbstversuch im Township | Bild: Das Erste
Ena Hewitt beim Waschen
Ena Hewitt beim Waschen | Bild: BR

An den Gemeinschaftswasserhahn gewöhnte sich Julia am schnellsten. Der Vierjährigen fiel es nicht schwer, sich hier in der Welt der Weltblechhütten zurechtzufinden. Das neue Leben, für die Kinder ist es eher ein Abenteuer, für Ena und Julian dagegen harte Arbeit, in der Welt jenseits der Kühlschränke und Waschmaschinen.

»Viele dieser Dinge sind nicht sehr effektiv. Klar kann man Wäsche mit der Hand waschen oder mit einem Paraffinkocher kochen. Aber es braucht viel mehr Zeit und ist viel anstrengender. Wir haben unsere Arbeit auf Eis gelegt, aber viele der Menschen hier haben einen Ganztagsjob. Und das da braucht unheimlich viel Zeit.«

Ena Hewitt

Vier Wochen leben, wie der Großteil der Südafrikaner lebt, das wollten die Hewitts. Mitten drin im Township, in das Weiße sich nur selten vorwagen. Zu gefährlich, aber vor allem wohl zu fremd ist den meisten Menschen der weißen Mittelklasse diese Welt.

So wird der Selbstversuch auch ganz schnell zum Ereignis. Die Zeitungen berichten über die Hewitts und ihre neuen Nachbarn. Die fühlen sich geschmeichelt, sind aber auch verwundert über die plötzliche Aufmerksamkeit.

Überleben im Township heißt vor allem, sich auf das Nötigste zu beschränken: Zwei Äpfel, mehr können sie heute nicht einkaufen. Der kleine Eckladen ist viel teurer als der Supermarkt, aber zu dem kommt man nur mit dem Auto.

Abendessen für die Tochter
Abendessen für die Tochter | Bild: BR

Satt werden, das ist das wichtigste und warm bleiben. Jetzt im Winter kühlt es nachts schnell ab. Bei weniger als zehn Grad sind die Abende kurz. Im Bett ist es wärmer.

Julian Hewitt
Julian Hewitt | Bild: BR

Statistisch stehen einer schwarzen vierköpfigen Familie weniger als 20 Quadratmeter zur Verfügung. Größer ist die Hütte der Hewitts auch nicht. Ihr monatliches Budget: Umgerechnet 300 Euro. Davon zu überleben ist schwer: Nicht mal ein Bier in vier Wochen konnte sich Julian leisten - zu teuer.

»Ena und ich haben beide fünf Kilo abgenommen. Wegen unseres Budgets haben wir anders gegessen, weniger.«

Julian Hewitt

»Auf einem Level mit den Menschen hier zu sein, genauso zu kämpfen, die Kälte mit ihnen zu ertragen, da kommt keine Sekunde das Gefühl auf, besser zu sein als der andere. Für sie und für uns ist das das wichtigste, was wir mitnehmen.«

Ena Hewitt

Leah Nkambule
Leah Nkambule | Bild: BR

Wegen ihr sind die Hewitts hier: Leah, jetzt die Nachbarin. In der anderen Welt, der weißen von Pretoria, putzt Leah das Haus der Hewitts - ganz normaler Alltag, bis sie sahen, wie Leah wirklich wohnt. Da entstand die Idee.

»Ich war wirklich überrascht, als sie sagten, dass sie hier eine Zeit mit uns leben möchten. Da war ich schockiert! 'Wie wollt ihr mit uns leben? Ihr seid doch weiß!‘ Aber sie sagten: 'Für uns ist schwarz oder weiß zu sein das gleiche. Wir wollen leben, wie man hier lebt.‘«

Leah Nkambule

Vor allem der Kinder wegen: Sie sollten erfahren und selber spüren, wie hart das Leben in Südafrika sein kann, auch heute noch, über 20 Jahre nach dem Ende der Apartheid.

Für vier Wochen leben sie so ohne Auto, ohne Strom. Eine Welt, in der sie sich nicht auskennen, in der sie auffallen, weil sie die einzigen Weißen sind.

Drei Wochen sind die Hewitts jetzt in Mamelodi: Am Samstag, bevor sie wieder nach Hause gehen, haben sie ihre Freunde eingeladen, die neuen und die alten. Nicht jeder ist entspannt. Seit Jahrzehnten sind die Südafrikaner daran gewöhnt, in getrennten Welten zu leben.

Hier treffen sie jetzt aufeinander. Schon das an sich ist bemerkenswert. Die Welt der Haushaltshilfe und die ihrer Arbeitgeber - dieses Mal kommen die Weißen zu den Schwarzen.

"Wenn ihr irgendwas braucht, Drinks oder Chips, dann ist da hinten ein kleiner Laden“, erklärt Julian den Neuankömmlingen in dieser Welt. "Unterstützt den, wenn ihr noch was braucht. Ihr habt bestimmt gemerkt, dass unsere Hütte frisch gestrichen ist. Das haben die Nachbarn für uns gemacht, als wir hierher kamen.“

Weiße und Schwarze beim Fest
Weiße und Schwarze beim Fest | Bild: BR

Die Miete im Monat beträgt 15 Euro. Allmählich verschwindet die anfängliche Unsicherheit ein wenig. Beim Grillen, und Maisbrei-Rühren kommt man sich näher. Für manch einen der Gäste ist es das erste Mal, dass sie in einem Township aussteigen und nicht nur daran vorbei fahren:

»Das ist eine sehr kurze Erfahrung, aber es ist erstaunlich, wie viel Neues du in so kurzer Zeit erfährst, Neues lernst über deine Umgebung.«

Ein weißer Mann

»Schwarze und Weiße, alle essen aus demselben Topf. Das freut mich. Das zu sehen, macht mich wirklich glücklich.«

Ein schwarzer Mann

Das Fest dauert noch bis in den Abend. Fleisch und Bier haben die Gäste beigesteuert, denn deren Einkommen übersteigt das der Menschen in den Wellblechhütten um das hundertfache – mindestens.

Eine Woche später sind die Hewitts zurück in ihrer alten, gewohnten Welt, gerade mal zehn Kilometer Luftlinie. Eine Mittelklassefamilie in Pretoria. Der Pool gehört selbstverständlich dazu. Die Eltern sind Diplomaten. Die ganze Welt haben sie schon gesehen.

Ena Hewitt
Ena Hewitt | Bild: BR

Sie haben es nicht nötig, sich den Erfahrungen des Townships auszusetzen, und trotzdem haben sie es getan, ganz für sich selbst und ein bisschen wohl auch als Anregung für andere.

»Wirklich gut fand ich, dass unserer Erfahrung jetzt zum Thema bei vielen beim Abendessen, beim Grillen oder bei der Arbeit wird. Sie reden darüber und das ist eigentlich genau das, was wir erreichen wollten, dass die Menschen sich mit unserer Erfahrung auseinandersetzen.«

Julian Hewitt

»Das war Teil einer Reise, auf der Julian und ich uns schon länger befinden: Wir waren vorher schon oft in den Townships. Aber das selber zu erleben, diese Lebensbedingungen selber zu erfahren, das ändert dich schon, macht aus einem theoretischen Wissen eine echte Erfahrung.«

Ena Hewitt

Sie wissen, dass sie als einzelne Familie nicht viel ändern können an den Lebensbedingungen der anderen. Aber darum ging es ja auch nicht. Ihnen ging es darum, Verständnis zu entwickeln für die jeweils andere Welt. Und das ist ihnen in jedem Fall gelungen.

Autor: Ulli Neuhoff / ARD Johannesburg

Stand: 15.04.2014 10:58 Uhr

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