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China: Eine Landärztin macht Mut

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China: Eine Landärztin macht Mut | Bild: BR

Li Juhong ist Landärztin im Süden Chinas und kümmert sich um 1000 Patienten. Viele kommen aus den Dörfern der Region in die Praxis von Frau Li. Wer zu krank ist, wird von ihr zu Hause besucht trotz weiter Wege. Diese zu bewältigen ist für die 37-jährige Medizinerin nicht leicht, denn sie ist schwerbehindert. Im Kindesalter wurden ihr nach einem Unfall beide Beine amputiert. Mit ein Grund damals: die schlechte ärztliche Versorgung auf dem Land.

In der Praxis von Frau Li ist immer was los. In ihrem Heimatdorf im Süden Chinas ist sie die Landärztin. Ihr Traumberuf. Das Leben hat es ihr selbst nicht leicht gemacht. Sie verlor ihre Beine bei einem Verkehrsunfall. Da war sie vier und auf dem Weg nach Hause vom Kindergarten. Mit kleinen für sie angefertigten Hockern bewegt sie sich durch ihre Praxis. Für ihre Patienten hat sie immer ein Lächeln, um die Patienten etwas glücklicher zu machen: "Du bist tapfer. Du bist ein guter Junge."

Zur Selbständigkeit erzogen

Landärztin Li Juhong erzählt stolz: "Seit meiner Kindheit bis heute habe ich weder Mitleid noch Almosen von anderen gebraucht. Ich führe ein selbständiges würdevolles Leben und bin voller Zuversicht."

Li Juhong stammt aus einer Bauernfamilie. Für Prothesen hatten sie kein Geld und auf dem Land auch nicht die medizinischen Möglichkeiten. So musste sie ihre eigene Technik entwickeln, um durchs Leben zu kommen.

In ihrer Praxis erreicht sie jede Schublade. Auch heute wären ihr Prothesen noch zu teuer und bei ihrer Behinderung schwierig herzustellen. Und sie will nicht noch einmal laufen lernen, denn so kommt sie gut klar: "Nach dem Unfall war ich zu klein, um etwas zu verstehen. Ich bin einfach gekrabbelt. Aber meine Sachen waren immer schmutzig, die Hände, der ganze Körper. Dann fing ich mit Sechs an, mit den Hockern zu üben, wie ein Baby, das laufen lernt und nach jedem Schritt hinfällt. Dann habe ich mich wieder aufgerichtet, bin ein paar Schritte gegangen und wieder hingefallen."

Gegenüber der Praxis hat die Familie Maisfelder und eine Fischzucht. Die Mutter bewirtschaftet sie, der Vater ist schon gestorben. Das Leben der Tochter hätte nach dem Unfall auch anders verlaufen können, ohne Perspektive, besonders auf dem Land, doch das wollten die Eltern nicht hinnehmen.

Familiärer Rückhalt

Mutter Ron Shunqun
Mutter Ron Shunqun | Bild: Bild: BR

Mutter Ron Shunqun erinnert sich: "Wir haben sie ermutigt, in der Schule viel zu lernen. Als sie dann mit Medizin anfing und Ärztin wurde, haben wir ihr gesagt: 'Sei fleißig und versuche dich selbst zu ernähren, wie wir es auch gemacht haben'; sich nicht von anderen abhängig machen, sondern auf sich selbst verlassen."

Wer gut zu Fuß ist, kommt in die Praxis. Wer das nicht mehr kann, zu dem kommt sie. Für 1000 Menschen ist sie zuständig, und bei den Hausbesuchen sind sie und ihr Mann Liu Xingyan ein eingespieltes Team. Viele in dem Dorf sind alt, die Jüngeren leben meist in den Städten. Wo das Paar auftaucht, gibt es freudige Begrüßungen: "Kommt doch kurz rein!" "Heute leider nicht, keine Zeit!", sagt Landärztin Li.

Beschwerliche Wege, doch seit sie hier ihre Praxis hat, ist vieles besser geworden. Die Bewohner müssen nicht mehr wegen jeder Sache den weiten Weg in die Krankenhäuser auf sich nehmen, und nichts kann Li Juhong davon abhalten, zu ihren Patienten zu kommen.

Armes Land

Viele sind arm: sie leben vor allem von ihren Feldern oder von dem, was die Kinder aus den Städten nach Hause schicken. Die Landärztin kümmert sich um die Grundversorgung, erklärt die Medikamente, denn manche können auch nicht lesen. Und immer wieder ermahnt sie, die Tabletten auch zu nehmen.

Li Juhong
Li Juhong | Bild: Bild: BR

Die 37-Jährige wollte auch deshalb Ärztin werden, um die Gesundheitsversorgung auf dem Land zu verbessern, denn hier herrscht die größte Not, wie Li Juhong selber sagt: "Ich möchte mehr Patienten helfen, um die Qualen von Schmerzen und Krankheiten zu lindern. Ich habe das selbst durchgemacht, ich kenne die Schmerzen und wie grausam sie sich anfühlen. Auch wenn ich körperlich behindert bin: ich habe einen Rollstuhl, und mir geht es viel besser als ihnen."

Li Juhong auf dem Rücken ihres Mannes
Li Juhong auf dem Rücken ihres Mannes | Bild: Bild: BR

Sie hätte ihre Beine vermutlich noch, wenn die medizinische Versorgung damals besser gewesen wäre. So sagten die Ärzte ihren Eltern nur: Sterben oder Amputation. Und wenn sie heute einmal doch nicht weiterkommt, ist ihr Mann zur Stelle und trägt sie. Eine Dorfbewohnerin ist zufrieden: "Sie ist sofort da, wenn man sie braucht. Jeder mag sie. Und sie ist geduldig und tolerant."

Ein persönliches Verhältnis zu den Menschen

Bäuerin Deng Meiqiong ist blind, sie hat Diabetes, ein Sohn starb vor Jahren an Krebs, sie lebt hier mit ihrem Mann. Li Juhong kümmert sich um die 71-Jährige, als wäre es ihre eigene Schwiegermutter. Ihre Dankbarkeit fürs Kommen drücken die Patienten aus mit dem Wenigen, was sie haben – heute ein gekochter Maiskolben.

Gerade war das Ehepaar im fernen Peking, Li Juhong wurde ausgezeichnet mit einem Ärztepreis, ständig klingelte das Handy: die Patienten. Im Dorf wurde sie schon nach einem Tag schmerzlich vermisst. Dann kommt ein Mann aus einer kleinen Kohlemine nach Hause: "Wie du aussiehst, machst du mir Angst!", ruft ihm die Landärztin fröhlich hinterher.

Liu Xingyan
Liu Xingyan | Bild: Bild: BR

Seit 14 Jahren sind beide verheiratet und fast jeden Tag im Dorf unterwegs. Ihr Sohn kommt nur am Wochenende; seine Schule ist 30 Kilometer entfernt, deshalb schläft er dort. Oben wohnen sie, unten ist ihre Praxis. Nebenan hat Ehemann Xingyan einen kleinen Krämerladen, denn auch als Landärztin verdient sie nur ein paar hundert Euro im Monat. Gerne würde er in einer Fabrik etwas dazu verdienen, aber die Zeit ist nicht da. Er wird gebraucht. Ehemann Liu Xingyan: "Wenn sie alleine unterwegs ist, mache ich mir Sorgen. Aber heute ist vieles besser: die Straßen und Wege sind gut. Manchmal können wir unseren Minitransporter nehmen. Aber es gab Zeiten, da waren wir nur auf meinen Beinen unterwegs. Heute sieht man die alten Wege nicht mehr, aber da habe ich sie die ganze Zeit getragen."

In die Wohnung gehen sie nur zum Schlafen. Das Leben spielt sich in der Praxis ab, auch das Essen.

Vielleicht war der Fahrer damals zu schnell, vielleicht war sie nicht aufmerksam – was spiele das für eine Rolle, sagt sie, man müsse sich dem Leben und den Schwierigkeiten stellen: "Ich beklage mich über nichts und habe auch keinen Grund traurig zu sein. Wir müssen eine positive Einstellung zum Leben haben. Was bringt es, traurig oder negativ zu sein. Ich bin zufrieden! Ich kann Krankheiten heilen. Oder Leute kommen vorbei, um mit mir über ihren Alltag zu plaudern. Das alles kann viel Freude machen."

Wegziehen in die Stadt kommt für das Ehepaar nicht in Frage, denn hier wird Landärztin Li am meisten gebraucht.

Autor: Mario Schmidt, ARD Peking

Stand: 12.07.2019 07:42 Uhr

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