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China: Höher, größer, schneller – Die neue Megalopolis

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China: Höher, größer, schneller – Die neue Megalopolis | Bild: ARD

Peking erstickt im Smog, Peking ersäuft im Verkehr, Peking ist hoffnungslos überbevölkert. Um von einem Stadtteil in den anderen zu kommen oder von einer Behörde zur nächsten oder von einem Krankenhaus zu einer anderen Klinik, braucht man oft eine Ewigkeit. In der chinesischen Hauptstadt zu leben und zu arbeiten, zerrt an den Nerven der Menschen.

Was ist die Lösung? Eine neue urbane Superregion! Wie entfesselt lässt die chinesische Regierung gerade bauen: Den weltgrößten Flughafen, mehrere 100 Kilometer U-Bahn und High-Speed-Strecken, die ganze Stadtverwaltung muss umziehen. Vieles wird aus dem Zentrum an den Stadtrand verlegt. Entstehen soll eine Region von 130 Millionen Menschen, mit neuer Infrastruktur, in der alles mit allem intelligent vernetzt wird: Jingjinji heißt die neue Region, die die Hauptstadt wieder lebenswerter machen soll. ARD-Korrespondent Mario Schmidt (ARD Peking) über eines der ehrgeizigsten Infrastrukturprojekte der Welt.

Stadtteil mit vielen Hochhäusern
Von solchen Trabantenstädten aus pendeln täglich unzählige Arbeitnehmer ins Zentrum von Peking.  | Bild: SWR

Vor einigen Jahren war das noch ein Dorf weit außerhalb Pekings. Jetzt ist es eine gigantische Bettenburg direkt vor den Toren der chinesischen Hauptstadt. 300.000 Pendler setzen sich morgens in Bewegung Richtung Zentrum. Wer hier wohnt, muss dafür viel auf sich nehmen. Wu Fuhui braucht von seiner Wohnung bis zum Arbeitsplatz bei einer Software-Firma zwei Stunden und länger. Voller Bus, dann umsteigen in volle Bahnen, manchmal nimmt er das Auto, das ist etwas schneller, aber auch teurer. Hier draußen hat er sich eine Eigentumswohnung gekauft. In Peking wäre sie für ihn unerschwinglich. Er habe keine Wahl, sagt Wu Fuhui. "Außerhalb von Peking sind die Gehälter zu niedrig. In Peking wird zwei- oder dreimal mehr bezahlt. Das Pendeln ist anstrengend, aber es lohnt sich."

Eine Region mit über 100 Millionen Einwohnern

Peking. 22 Millionen Einwohner, 5,6 Millionen Autos, der Smog an vielen Tagen im Jahr unerträglich. Die Stadt bei guter Sicht, längst stößt sie an ihre Grenzen und kann viele Probleme nicht mehr alleine lösen. Die Regierung will Peking daher entlasten startet ein gigantisches Projekt: Die Stadtplaner verlegen, was die Hauptstadt im Zentrum nicht zwingend braucht: Großmärkte, Fabriken, Universitäten. Um Peking zu entlasten, muss es mit dem Umland mehr verschmelzen – zu einer Metropolregion mit über 100 Millionen Einwohnern. "Wir entwickeln einen Ballungsraums, nicht einzelne Städte", sagt Planer Du Liqun. "Die ganze Jingjinji-Region hat im Vergleich mit westlichen Staaten die Größte eines Landes. Diese Zone besteht aus Städten unterschiedlicher Größe und ländlichen Gebieten."

Hochhäuser im Bau
Neubauten für die Stadtverwaltung Pekings im Außenbezirk Tongzhou.  | Bild: SWR

Jingjinji nimmt Formen an, zum Beispiel im Pekinger Randbezirk Tongzhou. Hier bekommt Pekings Stadtverwaltung gerade ihren neuen Sitz. Im nächsten Jahr sollen die ersten Beamten einziehen. Dann fließt weniger Verkehr ins Zentrum, wo nur noch die Staatsregierung mit ihren Ministerien bleiben darf. Die Umzüge lösen nicht überall nur Jubel aus. Doch dass in Peking etwas passieren muss, bestreitet kaum jemand. Herr Wu in der Mittagspause. Sein Leben besteht aus Arbeit, vier Stunden pendeln, Schlafen. Ihm bleibt kaum Zeit für die Tochter, seine Hobbies, oder mal einen Spaziergang mit seiner Frau. Manchmal wünscht er sich, weit weg von Peking zu leben. "Der Weg zur Arbeit ist das eine, damit komme ich klar. Aber der Smog ist intensiver geworden über die Jahre. An Tagen, wenn meine ganze Familie hustet, da frage ich mich schon, was ist das eigentlich für ein Leben hier."

Größer, Höher, Weiter

Jingjinji bekommt mehrere 100 Kilometer neuer Zugverbindungen, dazu Straßen, Buslinien, um die Fahrtzeiten deutlich zu verringern. Pekings U-Bahn-Netz wird auf 1.000 Kilometer verdoppelt in wenigen Jahren – London hat 400 Kilometer. Und: Peking hat schon den zweitgrößten Flughafen der Welt im Norden der Stadt, jetzt entsteht bis 2019 ein weiterer im Süden, im Herzen der drei Jingjinji-Region: Und wen wundert es noch: Es wird der größte der Welt.

In der Mega-Region soll alles miteinander vernetzt sein, und auch die bislang schlechter entwickelten Gegenden profitieren etwa durch Universitäten und Krankenhäuser. Eine moderne Klinik ist gerade eröffnet worden. Zig Millionen Menschen machen sich bisher jedes Jahr aus dem Umland auf den Weg ins Pekinger Stadtzentrum, wo die besten Krankenhäuser sind. Mit der neuen Klinik soll die Patientenkarawane nach Peking verkleinert und die Lebensqualität im Umland verbessert werden. "Nicht nur kleine Krankheiten, auch schwerere Fälle müssen nun nicht mehr nach Peking", erklärt Hou Yanning vom Yanda International Hospital in Yanjiao. "Patienten können auch hier mit guter Ausstattung und von Pekinger Ärzten behandelt werden. Sie müssen sich in Pekings Krankenhäusern nicht mehr in die langen Wartereihen quetschen."

Wu Fuhui
Wu Fuhui | Bild: SWR

An normalen Tagen kommt Wu Fuhui gegen halb acht erschöpft bei seiner Tochter Yiran an. Seine Frau Guifang hat einen Kiosk in der Nähe eröffnet, um nicht mehr pendeln zu müssen. Sie hoffen, dass Jingjinji auch ihr Leben in den nächsten Jahre erleichtern wird. "Jingjinji wird Veränderungen bringen. Aber ich glaube nicht an schnelle Lösungen für alle Probleme. Es wird Schritt für Schritt sein. Bei einigen Problemen halten wir auch noch durch, den Staus zum Beispiel. Nächstes Jahr sollen hier zwei neue Brücken eröffnet werden." Mehr Sorgen haben sie um ihre Tochter. Sie wird bald eingeschult. Doch die Klassen hier sind maßlos überfüllt. Jetzt muss Jingjinji noch für ausreichend Lehrer und Schulen sorgen – dann wäre das hier zwar immer noch nicht Peking – aber doch vielmehr als nur eine Bettenburg.

Stand: 07.03.2016 12:36 Uhr

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