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Japan: Sechs Jahre nach Fukushima – Rückkehr der Evakuierten?

PlayHiroshi Kanno mit seinen Enkeln
Japan: Sechs Jahre nach Fukushima | Bild: Bild: BR
Ballen mit verstrahlter Erde
Ballen mit verstrahlter Erde | Bild: Bild: BR

Hausbegehung mit Hiroshi Kanno. Hier stimmt was nicht - das verrät ihm nicht die Wünschelrute, sondern das Dosimeter. Oben, neben dem alten Klavier seiner Tochter, strahlt es noch immer mit dem Sechsfachen des staatlichen Grenzwertes: "Wir haben bewaldete Hügel hinterm Haus, die sind nicht dekontaminiert. Von da kommt immer was nach, ich fürchte, noch für Jahrzehnte."

Das abrupte Ende von Iitate

Hiroshi Kanno
Hiroshi Kanno | Bild: Bild: BR

Bis zum Atomunglück von Fukushima lebt der 68-Jährige hier in Iitate, 40 Kilometer vom AKW entfernt. Dann kommt die radioaktive Wolke, die 6000 Bewohner müssen weg. Doch nun endet die Evakuierungsorder für weite Teile Iitates. Die Behörden sagen, es sei wieder sicher, die Menschen sollen zurück. Für Kanno aber ist nur sicher, dass nichts sicher ist: "Ich habe beschlossen, das Haus aufzugeben. Es ist traurig und eine große Enttäuschung. Ich bin in Iitate geboren, ich habe dieses Haus gebaut und fast 50 Jahre lang hier drin gelebt."

Bürgertreff 30 Kilometer westwärts, Fukushima-Stadt. Viele Heimatlose wollen wissen: Kann man tatsächlich zurück? Was ist mit Obst und Gemüse? Und wie steht’s um die Gesundheit der Kinder? Die Menschen hier sind sehr heimatverbunden, deshalb ist Herrn Shigihara auch zum Heulen. Denn sein Haus liegt noch in der roten Sperrzone. Für ihn gibt es keine Wahl und kein Zurück.

Nur wenige wollen zurück

Hiroshi Kanno kommt heute etwas später. Als ehemaliger Nachbarschaftschef hat er durchgezählt und kann verkünden, dass von seinen einst 45 Haushalten nur zehn zurück wollen nach Iitate. Wiederaufbau und Rückkehr nach der Kernschmelze sind zarte Pflänzchen: Wer lebt auch schon gern mit Millionen schwarzer Säcke voll verstrahlter Erde direkt vor der Haustür?

Fukushima. Die Stadt kommt 2011 glimpflich davon. Hier leben die Kannos jetzt. Entschädigungen finanzierten ein neues Häuschen, aber heimisch sind sie hier nicht. Erinnerungen an unverstrahlte Zeiten: Natur, Familie und Nachbarn gaben Kraft und Sicherheit. Und jetzt?

Fumiko Kanno
Fumiko Kanno | Bild: Bild: BR

Ehefrau Fumiko Kanno: "Alles, was wir uns Tag für Tag aufgebaut haben, ist verloren. Alle Nachbarn: weg. Wir wissen zwar, wo sie sind, aber wir treffen uns nur ein-, zweimal im Jahr. Und dann fehlt auch immer jemand. Es ist sehr traurig."

Die Vergangenheit lässt nicht los

Das drückt aufs Gemüt. Doch bevor es ihn erdrückt, streift der Pensionär den Blaumann über. Gleich neben dem neuen Zuhause geht Kanno seiner großen Leidenschaft nach: gärtnern und ackern. Frau Hososugi hilft mit, eine gute Bekannte aus Iitate. Sie riskiert es, dorthin zurückzukehren: "Mein Mann und ich kehren heim nach Iitate. Es ist auch das Zuhause unserer Kinder. Sie und die Enkelkinder kommen sicher auch irgendwann zurück. Darauf freue ich mich."

Es gibt die Heimkehrer; es gibt die, die wollen, aber nicht dürfen; und die, die könnten, aber nicht wollen. Kanno will nicht mehr.

In Iitate möbeln sie die Schule neu auf, schöner und größer als je zuvor. Doch Eltern mit Kindern werden die letzten sein, die zurückkommen.

Rückkehr nach Iitate?

Hiroshi Kanno
Hiroshi Kanno | Bild: Bild: BR

Noch kann Kanno nicht loslassen. Einmal die Woche quält er sich nach Iitate, um nach dem Rechten zu sehen: Das Haus, die Heimat, 39 Jahre in der Gemeindeverwaltung - Iitate ist ein Teil von ihm: "Ich rede mir ein, dass ich mein Haus instandhalten muss, obwohl ich es aufgeben werde. Und weil ich so denke, komm’ ich immer wieder her."

Freundin Hososugi ist auch gerade in Iitate und läutet im frisch dekontaminierten Vorgarten die Rückkehr ein. Der Kuhstall aber bleibt außer Betrieb, der wird Lagerraum. Von den Nachbarn, sagt die 61-Jährige, käme nur jeder fünfte zurück.

Mit Behördenerlaubnis durfte sie hier schon übernachten, "Vorbereitungswohnen". Es sei einsam abends und dunkel. Sie mache dann immer alle Lichter an, sagt sie, und den Fernseher.

An der Durchgangsstraße bauen sie für sechs Millionen Euro eine Luxusraststätte - für, ja, wen eigentlich? Kanno bringt das auf die Palme: "Wenn Leute zurückkommen, dann sind es doch die Alten. Für die brauchen wir hier funktionierende Einrichtungen. Seniorenheime zum Beispiel wären nötig."

Glück mit den Enkeln

Die Enkelkinder
Die Enkelkinder | Bild: Bild: BR

Zurück in Fukushima-Stadt sind nach der Schule die Enkel da, Kannos Glück im Unglück. Sie leben mit ihren Eltern nur 200 Meter entfernt. Über das, was 2011 geschah, werde im Unterricht aber nicht gesprochen: "Es war schön in Iitate. Aber dann kam der Tsunami und die Strahlung. Da mussten wir weg. Ich konnte das nicht so richtig verstehen."

Die Nähe zu den Kindern tut gut. Die Familie hält zusammen, denn auch Kannos Tochter wird der Aufforderung der Regierung nicht folgen: "Bis die Kinder groß sind, bleiben wir hier in Fukushima. Wir gehen nicht zurück nach Iitate, auch wenn die Evakuierungsorder jetzt fällt."

Kanno kann nichts ungeschehen machen. Doch vorm Küchenschrein sagt er den Göttern Dank, dass ihm und seiner Familie nicht noch Schlimmeres widerfahren ist.

Autor: Uwe Schwering, ARD Tokio

Stand: 14.07.2019 01:53 Uhr

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