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Guadalcanal: Dschungelcamp - Japaner graben nach ihren 'Kriegshelden'

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Guadalcanal: Dschungelcamp - Japaner graben nach ihren 'Kriegshelden'  | Bild: Das Erste
Ein japanisches Schiffswrack aus dem Zweiten Weltkrieg vor der Küste Guadacanals.
Ein japanisches Schiffswrack aus dem Zweiten Weltkrieg vor der Küste Guadacanals. | Bild: picture-alliance / Bibliographisches Institut/ / Prof. Dr. H. Wilhelmy

Der Krieg gegen das Vergessen beginnt irgendwo zwischen Papageien, Bambushütten und einer Tasse Tee. Fremde in eigenartigen Uniformen sind in ein Dorf im dichten Urwald von Guadalcanal gekommen. Es sind Japaner aus Tokio. Gemeinsam mit ihren einheimischen Helfern wollen sie dem Dschungel etwas Kostbares entreißen: Die Überreste eines längst vergangenen Krieges.

"Japanische oder amerikanische Helme, alles Mögliche haben wir hier schon aus dem Wald geholt. Das meiste Zeug stammt von den toten japanischen Soldaten. Viele von denen liegen da bis heute", erzählt  Bürgermeister Willy Besi.

Japanische Flagge im Urwald

Der Suchtrupp wartet aufs Abendessen
Geschafft von der Arbeit: Der Suchtrupp wartet aufs Abendessen. | Bild: Weltspiegel / Philipp Abresch

Unterhalb des Dorfes haben die Japaner ihre Zelte aufgeschlagen. Und fast wie 1942 gleich die japanische Flagge gehisst. Zwei Welten treffen hier aufeinander: Die Welt der Wanderstiefel und die der Flip Flops. Die Japaner mit Bügelfalte, die Insulaner lässig in Boxershorts.

Priester Kankoh Sakitsu hat den Trip in den Urwald generalstabsmäßig vorbereitet. Studenten, frühere Soldaten und Priesterkollegen begleiten ihn - alles Freiwillige.

Seit in Tokio der konservative Premier Shinzo Abe regiert und die nationalen Gefühle hochfliegen, ist Japans umstrittener Pazifik-Krieg wieder populär. "Wer die Geschichte verstehen will, der muss hier hinkommen. Stell dir vor, hier in diesem Dschungel geht dein Leben zu Ende? Wie traurig. Deswegen wollen wir so viele Tote wie möglich finden", sagt Kankoh Sakitsu.

"Ohne einheimischen Helfer würden wir nichts finden"

Mit Flip Flops und Wanderstiefeln
Unterwegs mit Flip Flops und Wanderstiefeln. | Bild: Weltspiegel / Philipp Abresch

Vergangenheitsbegeistert ziehen sie in die Schlacht - fast wie damals. Der Regenwald ist heiß, feucht und es wimmelt von Moskitos. Die Japaner suchen an dem Standort eines ehemaligen japanisches Feldlazarett. Ein Ort zum Sterben: Wer gehen könnte, hatte mindestens 30 Tage zu leben, erzählen sich die Japaner. Wer im Liegen pinkeln könnte, hat noch drei Tage. Wer nur noch in den Himmel starrte, dem bleibt noch eine einzige Nacht.

Im Dickicht wird nun gewühlt, gehakt und gegraben.  Die Soldaten starben auf dem Waldboden liegend. Jetzt stecken die Kriegshelden von einst zwei Meter tief in der Erde. "Ohne unsere einheimischen Helfer würden wir nichts finden. Die stochern mit ihren Buschmessern in der Erde. Wenn die Machete glatt hinein geht, wie durch Humus, dann ist klar, da liegt eine Leiche", erklärt Kankoh Sakitsu.

Blutiger Dschungelkampf im Zweiten Weltkrieg

Stahlhelme und Granaten
Stahlhelme und Granaten: Bis heute ist der Dschungel voller Kriegsreste. | Bild: Weltspiegel / Philipp Abresch

Guadalcanal ist eine Insel wie aus dem Bilderbuch. Doch vor genau 70 Jahren tobte hier - mitten im Pazifik - eine der unbarmherzigsten Schlachten des Zweiten Weltkriegs. Die Insel galt als strategisch wichtig. Fast 100.0000 amerikanische Soldaten sollen sie von den Japanern erobern. Am Strand von Tetere erzählen bis heute die verrosteten Panzerwracks von erbitterten Gefechten. Ein monatelanger, blutiger Dschungelkampf - Mann gegen Mann.

Die grausamen Kämpfe lassen Junshiro Kanaizumi (94 Jahre) bis heute keine Ruhe. Der Kriegsveteran hat mit der japanischen Armee in China gekämpft, auch in Südostasien. Aber keine Schlacht war für ihn so brutal wie die auf Guadalcanal. "Die meisten sind nicht an einer Kugel gestorben, sondern an Malaria. Sie hatten so hohes Fieber. Sie haben sich die Kleider vom Körper gerissen." 

"Manchmal hören wir Stimmen"

Die Suche nach menschlichen Überresten im Urwald ist mühsam. Als Knochenreste zum Vorschein kommen, halten die Männer für einen namenlosen Soldaten einen Moment inne. "Wie sah der Tote aus, woran hat er geglaubt, was hat er gehofft oder gefürchtet? Alle hatten ihr eigenes Leben. Daran muss ich oft denken. Ich möchte diesen Männern einfach danke sagen. Deswegen bete ich für sie", sagt Priester Oju Ishikawa.

Manchmal hilft bei der Suche auch pures Glück: Bei der Wildschweinjagd finden Einheimische fünf große Kanonen -  drumherum  Stahlhelme, Gewehre und Gebeine. Als sei der Krieg erst gestern zu Ende gegangen.

"Immer wenn wir Knochen finden, nehmen wir sie mit ins Dorf. Manchmal hören wir dann Stimmen: 'Gebt die Knochen zurück.' Manchmal hörst Du einen Schuss und dann tut Dein Herz weh, als wäre die Kugel mitten durchgegangen. Aber ich habe keine Angst“, erzählt der Einheimische Hendry Davis.

Überreste von etwa 8.000 Soldaten liegen noch im Urwald

Ein verbogenes Maschinengewehr
Ein verbogenes Maschinengewehr. | Bild: Weltspiegel / Philipp Abresch

Die Knochen von etwa 8.000 japanischen Kämpfern liegen noch in den Wäldern von Guadalcanal. "Es ist in etwa so, als würden wir selbst die Last des Kriegs tragen, wenn wir uns um die Toten kümmern. Am Altar legen wir die Knochen ab und beten für sie.  Später nehmen wir sie mit zurück nach Japan“, sagt Oju Ishikawa.

 Es ist wohl schon immer so gewesen, wie hier auf Guadalcanal: Wer den Krieg verliert, wird seine Toten so schnell nicht vom Schlachtfeld bergen. So ist der Krieg im Pazifik, auch 70 Jahre danach, für viele Familien noch immer nicht vorüber.

Autor: Philipp Abresch, ARD-Studio Tokio

Stand: 15.04.2014 10:47 Uhr

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