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Sierra Leone: Ein Flüchtling kehrt zurück

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Sierra Leone: Ein Flüchtling kehrt zurück | Bild: SWR

Im Mai dieses Jahres trafen wir Bilal in Mali. Ein Flüchtling wie viele andere auch, der sich auf den Weg nach Europa gemacht hatte. Er wurde von Schleppern ausgeraubt und misshandelt, er hungerte und ertrug schließlich die Strapazen der gefährlichen Flucht durch die algerische Wüste nicht länger.

Er kehrte um, zurück in seine Heimat Sierra Leone. Damals spendeten viele Weltspiegel-Zuschauer Geld, um Bilal eine Zukunft zu schenken. ARD-Korrespondentin Sabine Bohland hat Bilal erneut aufgesucht, der mittlerweile studiert und versucht, sich ein würdiges Leben aufzubauen. (Studio Nairobi).

Studieren mit Spenden aus Deutschland

Bilal ist nervös, fast jeden Tag schreibt er eine Klausur. Vordiplom am Journalismus-College von Freetown. Noch vor gut einem halben Jahr hätte Bilal Kamara nie geglaubt, dass er jemals wieder studieren würde. Ein Studium ist teuer in Sierra Leone, Bilal konnte es sich nicht leisten.

Bilal
Bilal studiert jetzt Journalismus.  | Bild: SWR

Kennengelernt hatten wir Bilal im April in Mali. Da war er sehr verzweifelt und auf dem Weg zurück in sein Heimatland. Einen gescheiterten Fluchtversuch in Richtung Europa hatte er hinter sich. "Nachdem Schlepper mir in Libyen mein ganzes Geld geklaut hatten, erzählte er uns damals, war ich todunglücklich. Dann habe ich auch noch die Nachrichten über die 700 Toten auf dem Mittelmeer gesehen. Das hat mein Herz gebrochen. Ich will nicht auf einem Boot sterben. All das hat mich entmutigt. Das Geld, das ich ausgegeben habe, hätte ich besser in mein Studium investiert." Auf der Rückreise nach Sierra Leone ahnte er noch nicht, dass er mit Hilfe von Spenden aus Deutschland sein Studium fortsetzen würde…

Die Familie ist zuversichtlich

Die Zwischenprüfung ist gut gelaufen, Bilal ist happy. "Mein Traum ist wahr geworden. Was ich mir immer gewünscht habe, wird gerade Wirklichkeit." Ein bisschen schämt er sich noch immer, dass er es nicht bis Europa geschafft hat, nur manchen seiner Freunde am College hat er von dem Fluchtversuch erzählt. "Ganz schön tough, echt", meint Ibrahim Bangura. "Aber gar nicht so überraschend, denn die meisten in Afrika denken, hier kann man es nicht schaffen, sondern nur in Europa."

Bilal mit einer seiner Schwestern
Die Familie ist froh, daß Bilal wieder zuhause ist.  | Bild: SWR

Seine Familie hatte Bilal nicht eingeweiht, aus Angst, sie könnten ihn von dem Fluchtplan abbringen. Die Mutter und 5 Schwestern leben auch in der Hauptstadt Freetown. Das Geld fehlt, seit die Mutter ihre Arbeit während der Ebola-Krise verloren hatte. Mit Hilfe von Bilals Spendengeld konnte sie ein kleines Geschäft mit selbstgebackenen Kuchen eröffnen. Das läuft ganz gut, und die Familie schaut wieder zuversichtlicher nach vorne, auch weil der Sohn und Bruder zurück ist. "Ich hatte damals keine Ahnung, wo Bilal sein könnte", erzählt Fatima Kamara, Bilals Mutter. Er hatte niemandem etwas erzählt. Er ist ja mitten während der Ebola-Epidemie verschwunden, ich dachte manchmal, er sei tot."

Bügeln ist in Sierra Leone Männersache, schon als kleiner Junge hat Bilal das gelernt. Jeden Sonntag bügelt er die Schuluniformen für seine Schwestern. "Europa stelle ich mir schön vor, ich kann verstehen, dass er weg wollte", sagt Mercy, Bilals Schwester. "Mit Menschen, die sich um einander kümmern und mit schönen Kleidern, Autos, Häusern, Zügen. "

Die meisten wollen weg aus Sierra Leone

In Sierra Leone hatte Bilal Anfang des Jahres keine Perspektive mehr für sich gesehen. Die Mutter konnte sein Studium nicht mehr bezahlen, also hing er rum, wie so viele andere. "Wenn man hier arm ist, wird man immer ärmer. Die Reichen werden immer reicher. Meine Familie war schon immer arm und daran hat sich in meinen 23 Lebensjahren nichts geändert."

Verschiedene Schiffe in Küstennähe
Viele wollen einfach nur weg. | Bild: SWR

Das Viertel Kobe, mitten in Freetown, ist auch so ein Ort, aus dem ALLE wegwollen. Oft sitzen sie hier und träumen gemeinsam von einem anderen Leben. "Wir haben in unserem Land einfach keine Jobs", klagt Samuel Walter. "Ich bin eigentlich Schneider, aber ich fege nur die Straße. Das würde ich lieber in Europa machen, da würde ich wenigstens Geld dafür bekommen." Und Ismael Touré meint: "Ich möchte unbedingt weg hier. Wir sind alle in die Schule gegangen – und dann? Ich schlachte Schweine, mehr nicht. Die Regierung tut nichts für uns. Ich würde woanders jeden Job machen, sogar Tote im Leichenhaus waschen. Wir sind einfach total enttäuscht von unserem Präsidenten."

Warnung vor der Flucht durch die Wüste

Sierra Leone ist eines der ärmsten Länder Afrikas, es hatte sich noch nicht von einem blutigen Bürgerkrieg erholt, als die Ebola-Epidemie den nächsten Rückschlag brachte. Bilal wohnt nun zum ersten Mal in seinem Leben alleine. ‚Das ist mein Zuhause…‘ Er genießt es zu lernen und ist dankbar für die finanzielle Unterstützung, die ihm eine Zukunft ermöglicht. Noch einmal würde er die Flucht nach Europa nicht wagen. "Wenn meine Freunde mir erzählen, dass sie auch weg wollen, rate ich ihnen davon ab. Wenn, dann sollten sie es mit einem Visum versuchen. Aber der Trip durch die Wüste ist zu gefährlich. Ich habe so viele Skelette und Leichen gesehen. Es ist einfach viel zu unsicher." Gegen Abend macht Bilal das gleiche wie junge Leute überall auf der Welt – er geht ins Fitnessstudio.

"Sierra Leone ist arm, aber die Leute sind glücklich und haben gerne Spaß. Aber das Land selbst? Da fällt mir nichts ein, was ich mag. Gar nichts?, möchte ich wissen. Es gibt keinen Strom, das Bildungssystem ist korrupt, Korruption überhaupt… Nein, ich mag nur die Menschen hier." Ob Sierra Leone oder ein anderes Land – Zweifel an einer Zukunft in Afrika, auf ihrem Kontinent, hegen hunderttausende junge Menschen. Für Bilal gab es ein unerwartetes Happy End. In seiner Heimat.

Stand: 10.07.2019 05:08 Uhr

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