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USA: Ursachenforschung in Boston

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Aus aktuellem Anlass ein Beitrag zu den Ereignissen in Boston. | Bild: SWR

In der Nacht zum Samstag wurde Dschochar Sarnajew der zweite mutmaßliche Bombenleger von Boston gefasst. Er liegt inzwischen in einem Bostoner Krankenhaus. Unsere Korrespondentin Marion Schmickler hat sich im Umfeld der beiden Brüder Sarnajew umgeschaut. Spurensuche und die Frage nach Motiv und Hintergrund.

Warum? Und warum ausgerechnet Boston? Überall in der Stadt treffen wir Menschen, die ihre Wut, ihre Hilflosigkeit los werden wollen. Teddys, Kerzen, Blumen. Auch an der Universität ist eine kleine Gedenkstätte entstanden – für den Wachmann, der bei der Schießerei ums Leben kam. „Es wird lange dauern, bis wir das alles verarbeitet haben“, sagt Anne de Koning. „Freunde von mir wurden schwer verletzt beim Marathon-Anschlag. Und einige wohnten sogar in derselben Straße wie einer der Verdächtigen.“

Die Norfolk Street in Cambridge. Hier hat die Polizei schon bald nach der Schießerei auf dem Campus wichtige Spuren gesichert – Rohrbomben, so heißt es, die der ältere der beiden Brüder gebaut haben soll. „Im obersten Stock hat er gewohnt“, zeigt uns Albrecht Amon. Ein Haus im Hinterhof, bewusst unauffällig? Der 26jährige scheint ins Raster der Terrorismusexperten zu passen – männlich, jung, erste Generation Einwanderer. Und: er soll sich extrem verändert haben in den vergangen Jahren, plötzlich sehr religiös geworden sein. „Er bezeichnete Amerika als Kolonialmacht, die Staaten militärisch angreift und das mit der Bibel begründet. Die US-Soldaten würden nur Unschuldige töten in Afghanistan, meinte er. Ich habe ihm gesagt, es ist ok, wenn Du den Koran für perfekt hältst, aber du musst auch andere Religionen respektieren. Es war eine heftige Diskussion.“ „War er aggressiv?“ „Leidenschaftlich würde ich sagen.“

Ablenken, diese furchtbare Woche vergessen. Hätte ich ihn nur gestoppt, wirft sich Gilberto Junior immer wieder vor. Der Automechaniker war einer der letzten, der Dschochar gesehen hat, vor der Schießerei auf dem Campus und vor der dramatischen Verfolgungsjagd. „Er kam am Dienstag, um seinen Mercedes abzuholen. Ich meinte, der ist noch gar nicht fertig. Aber er bestand darauf, ihn mitzunehmen. Mir fiel auf, dass er sehr aufgeregt war. Ich wünschte, ich hätte einen der Puzzlesteine, aber ich bin genauso überrascht wie alle anderen. Irgendetwas muss mit ihm passiert sein.“

Die Universität von Dartmouth – seit Freitag herrscht hier Ausnahmezustand, erzählt mir ein Polizist, der nicht vor der Kamera reden darf. Der Campus gesperrt, 5000 Studenten mussten raus. Auch hier wollen Kommilitonen den Verdächtigen noch in dieser Woche gesehen haben. Nach den Anschlägen. Die Uni ist riesig, wer will, kann hier völlig anonym leben, sagt Brian. „Hier studieren so viele Leute. Wer zurückhaltend ist, fällt nicht auf. Ich könnte Ihnen auch nicht jeden nennen, der in meinen Seminaren war.“

Ob Dschochar diese Anonymität gesucht hat? Wir fahren zu dem Hotel, in dem viele seiner Kommilitonen untergekommen sind. Doch das Misstrauen gegenüber den Medien ist groß – niemand will voreilige Schlüsse ziehen. „Als sein Foto raus kam, habe ich ihn sofort erkannt“, sagt Genevieve Twomey. „Wie war er?“ „Er war ein sehr ruhiger unauffälliger Typ, redete nur, wenn der Lehrer ihn aufrief. Aber sein Englisch war perfekt. Ich habe jetzt erst erfahren, dass er kein gebürtiger Amerikaner ist.“ Die letzten Minuten vor der Festnahme. Nur schwer verletzt überlebt der 19jährige den Showdown, von dem jetzt erste Bilder freigegeben worden sind. Die Ermittler hoffen, ihn so bald wie möglich befragen zu können. So lange Dschokhar nicht aussagt, können auch sie über Motive nur spekulieren.

Stand: 22.04.2014 13:47 Uhr

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