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Nigeria: Die schwimmende Schule von Lagos

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Nigeria: Die schwimmende Schule von Lagos | Bild: Das Erste

Slums sind hässlich, eine Schande für jede Stadt, egal in welchem Land der Welt. So weit so gut. Wie aber, wenn die Bewohner eines Slums darum kämpfen, dass ihre Hütten nicht abgerissen und sie selbst nicht umgesiedelt werden, weil sie ihre Heimat und ihre gewachsene Gemeinschaft nicht verlieren wollen. Genau das geschieht gerade in Lagos, der Hauptstadt von Nigeria. "Makoko" wird ein heruntergekommenes Viertel in der Lagune von Lagos genannt. Die meisten der ärmlichen Häuser sind illegal errichtet und stehen auf hölzernen Pfählen. Um sich gegen den drohenden Abriss zu wehren, wurde nun eine Vorzeigeschule gebaut. Sie schwimmt auf Fässern inmitten der Lagune, ist architektonisch atemberaubend und sie soll ein Beispiel für weitere Bauten sein. Das Ziel: Das Architekturprojekt soll zeigen, dass mit gutem Willen ein Slum sein Gesicht verändern kann. Von der Schmuddelecke zum Vorzeigeviertel. Eine Reportage von Shafagh Laghai, ARD Nairobi.

Lagos – Megacity und Wirtschaftsmetropole in Nigeria. Hier leben über 15 Millionen Menschen. Und die Stadt wächst. Nigeria hat Öl. Das lockt viele Investoren. Die Mietpreise sind mittlerweile höher als in New York. Die Regierung ist stolz auf diese Entwicklung. Sie will Lagos verschönern. Deshalb ist der Regierung das hier auch ein Dorn im Auge: Makoko. Ein ganz besonderer Slum. Er ist komplett ins Wasser gebaut. Ein „Venedig für Arme“, sagen die Bewohner halb stolz, halb bitter. Über 100.000 Menschen leben hier. Für sie es ihre Heimat. Hier spielt sich ihr ganzes Leben ab: Vom Telefonladen bis hin zur Bank, wo man ein Sparkonto anlegen kann – alles kommt auf Booten.

Slum Makoko in Lagos
Makoko ist komplett ins Wasser gebaut | Bild: SWR

Die Haupteinnahmequelle ist der Fischfang. Deshalb wollen die Menschen auch nicht irgendwohin aufs Land verfrachtet werden. Für die Regierung aber ist Makoko lediglich das Schmuddelkind der Stadt. Etwas, das man loswerden will. Noah Shemede ist eine Art Anführer in Makoko. Er hat miterlebt, wie das Zuhause von Tausenden seiner Nachbarn abgerissen wurde. Nur noch Holzstümpfe erinnern an die Hütten. "Hier hat die Regierung angefangen unsere Häuser zu zerstören. 300 Häuser haben sie abgerissen und die ganzen Familien haben sie obdachlos gemacht. Und da hinten, da haben sie einen unserer Leute getötet." Der hatte sich geweigert, sein Haus zu verlassen. Da hat die Polizei ihn erschossen. Mit Bulldozern und Sägen waren sie angerückt. Noah hat es mit seinem Handy gefilmt. Nach dem Vorfall hat die Stadtverwaltung den Abriss erst mal gestoppt. Doch keiner hier weiß, ob und wann sie wieder damit anfängt.

Lehrer Noah Shemede
Lehrer Noah Shemede ist einer der Initiatoren der "Schwimmenden Schule" | Bild: SWR

Um die Regierung zu überzeugen, dass es auch mit Makoko geht, ist das hier entstanden: Die „floating school“, eine schwimmende Schule. 10 Meter hoch ist sie und schwimmt auf 250 Plastikfässern. Entworfen von einem nigerianischen Architekten. Noch ist die Schule nicht in Betrieb, weil die Regierung sagt, sie sei ohne Genehmigung gebaut worden. Noah und die Gemeinschaft hier sind trotzdem wahnsinnig stolz auf das Gebäude. Für sie ist die Schule nicht nur wunderschön, sie sei ein Leuchtturm, sagt Noah. "Die Schule ist ein Prototyp. Wenn die Regierung sich auf unsere Idee einlässt, könnten wir hunderte solcher Gebäude bauen. Die ganze Front von Mokoko würden wir so gestalten. Dann müssten die Leute, die von der Brücke nach Lagos reinfahren, sich nicht die hässliche Fassade des Slums anschauen. Und wir könnten hier Krankenhäuser haben, Gemeindeplätze, Spielplätze." So soll die Front von Makoko dann aussehen. Das ist zumindest die Vision. Unrealistisch ist es nicht , denn der Bau kostet nicht viel und soll den Blick auf Makoko verschönern. Dafür, so hoffen die Menschen, dürften sie in ihrem Zuhause bleiben. Die Regierung scheint nicht abgeneigt zu sein.

Schüler
Bisher kann nur jedes 100. Kind in Makoko zum Unterricht gehen | Bild: SWR

Wie dringend Makoko die Schule aber auch ansonsten braucht, sieht man, wenn man die einzige Schule besucht, die Makoko bisher hat. Nur jedes 100. Kind kann hier zum Unterricht gehen. In dem winzigen Raum lernt die vierte Klasse gerade Mathe, auf der anderen Seite hat die fünfte Englisch. Noah ist hier selbst zur Schule gegangen, jetzt ist er Lehrer. Die Kinder lernen wie im Schichtdienst, sagt er. Vormittags die Kleinen. Nachmittags die Großen. Aber mehr als 300 Kinder würden sie einfach nicht unterkriegen. "Jedes Kind in Nigeria sollte lernen dürfen", sagt Noah. "Nur weil wir auf dem Wasser leben, heißt das doch nicht, dass wir kein Recht auf Bildung haben. Und ich finde, dass Kinder in ihrer natürlichen Umgebung zur Schule gehen sollten. Die Kinder hier sollten nicht gezwungen sein, weit zu fahren." Ein Appell, der seit Jahren ungehört bleibt.

Makoko bedeutet „Ort der Verstoßenen“. Doch so fühlen sich die Menschen hier gar nicht. Die Siedlung im Wasser gibt es schon seit 200 Jahren. Die meisten Bewohner sind hier geboren, wie ihre Mütter und Großmütter. Viele haben Makoko noch nie verlassen. Warum auch, sagen sie, hier hätten sie doch alles: Schwimmende Boutiquen, den Schreibwarenladen, den Supermarkt. "Die Waren kaufe ich auf dem Festland und verkaufe sie dann hier. Es läuft gut. Es reicht, um die Kinder zu ernähren", sagt eine Frau auf dem Boot. "In ganz Makoko gibt es kein Stromnetz. Alles läuft über Generatoren. Naja –  meistens läufts. Zum Beispiel beim Frisör. Makoko sei friedlicher als die Stadt, erzählt uns Adeyemi, der Ladenbesitzer. Hier gäbe es kaum Überfälle. Das läge auch daran, dass sich alle kennen würden. "Ich bin hier aufgewachsen und glücklich hier. Ich verdiene mein Geld als Fischer und als Frisör. Hier sind meine Kinder geboren. Ich will nicht woanders leben."

Auch Noah hofft, dass sie die Regierung mit der schwimmenden Schule überzeugen können, Makoko nicht abzureißen. Es ist eine simple Idee, aber vielleicht eine mit einer riesiger Wirkung. Eine, die Noahs Heimat retten würde.

Stand: 15.04.2014 10:35 Uhr

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