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USA: Die Toten in der Wüste

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USA: Die Toten in der Wüste  | Bild: SWR

Mehr als 40 Grad im Schatten. Die Landschaft staubig, trocken, fast menschenleer. Mexiko ist nicht weit entfernt. Wenn Rancher Presnall Cage sein Land abfährt, muss er jederzeit damit rechnen, einen Toten zu finden. Jedes Jahr sind es fast ein Dutzend Leichen, allein auf seiner Ranch. Menschen, die illegal die Grenze überquert hatten. Und in diesen endlosen Weiten verdurstet sind.

Presnall Cage erzählt: "Einer lag genau hier, hatte wohl etwas Schatten gesucht. Er hatte sogar Wasser dabei, aber entweder hat er es nicht mehr geschafft zu trinken oder es war einfach zu heiß geworden. Er hatte ein blaues Hemd an und eine schwarze Hose. Aber viel konnte man nicht mehr erkennen, die Aasfresser hatten sich schon über ihn her gemacht. Ein grausiger Anblick. Und der Geruch erst, der Geruch war einfach fürchterlich." Die Gegend ist eine Todesfalle. Es gibt kaum Orientierung, viele irren dann im Kreis umher. "Sie tun mir unendlich leid", sagt Farmer Presnall Cage. "Ich wünschte, jemand würde sie besser informieren, wie gefährlich es hier ist."

Das Tragische: diese Verzweifelten aus Latein-Amerika, die in den USA eine Zukunft suchen, haben ihr Zielland hier bereits erreicht. Manche aber nur, um auf amerikanischem Boden elendig zu sterben. Weil in Süd-Texas der Rio Grande alles andere als ein großer Grenzfluss ist, können Schlepper die "Crosser", wie sie genannt werden, hier relativ leicht in die USA schmuggeln. Dort ziehen sie dann mit zu wenig Wasser und zu Nahrung los, ohne Vorstellung wie weit die Distanzen sind.

Edi, ein Jugendlicher, sitzt am Straßenrand in den USA.
Edi, 18 Jahre alt, ist vor der Bandenkriminalität in seiner Heimat Guatemala geflohen. | Bild: SWR

Wir fahren auf dem Highway, als wir plötzlich jemanden am Straßenrand in der Böschung kauern sehen. Der völlig verstörte Junge heißt Edi, gerade mal 18. Seit zwei Tagen hat er nichts mehr getrunken. Seit Wochen ist er schon unterwegs, geflohen vor der Armut und der Banden-Kriminalität in seiner Heimat Guatemala.

"Ein Banden-Mitglied hat mich bedroht und gesagt, wenn ich nicht bei ihnen mitmache, dann töten sie meine Mutter", schildert Edi. "Also hab ich so getan, als würde ich mich ihnen anschließen und bin dann abgehauen." Ob er sich bewusst ist, dass er hier sein Leben riskiert, frage ich ihn. "Ich bin durchs Gelände gelaufen und konnte nicht mehr, hatte Angst ohnmächtig zu werden. Wegen der Hitze und weil ich nichts getrunken hatte. Plötzlich habe ich einen fürchterlichen Gestank wahrgenommen, und dann hab ich auch schon eine verweste Leiche gesehen, nicht weit von hier. Und dann bin ich nur noch weggerannt. Ich hatte Angst." Er wolle bis nach Los Angeles, sagt er. Und hat offensichtlich keine Ahnung, wie weit weg das noch ist. Wir geben Edi alles Wasser, das wir dabei haben, auch etwas zu Essen.Aber wir dürfen ihn nicht mitnehmen, wir würden uns nach US-Recht strafbar machen.

Im nächstgelegenen Städtchen Falfurrias bin ich mit Sheriff Benny Martinez verabredet. Ich erzähle ihm dann doch von der Begegnung mit Edi. Und bin irgendwie erleichtert, als er zum Hörer greift und die Grenzer anfunkt, um nach dem verirrten Jungen zu schauen. Denn das Risiko, dass er in diesem Ordner landet, ist einfach zu groß. Hier sind die Leichenfunde der Gegend allein von diesem Jahr gesammelt. 33 bisher. Und das Jahr ist erst halb rum.

Am Vormittag hatte Benny Martinez bereits eine weitere Leiche geborgen. Eine Frau. "Man fragt sich: warum lassen wir so etwas zu. Wir alle lassen das zu, ich irgendwie auch. Wir sind besser als das, in einem so großen Land wie den USA dürften wir so eine humanitäre Krise nicht zulassen. Es dürfte nicht passieren. Es ist eine Frage der Menschlichkeit." Wenn Gräser und Büsche hoch stehen, werden manche Opfer erst Monate später gefunden. Wenn überhaupt. “Die wirklichen Zahlen sind viel höher“, glaubt Sheriff Benny Martinez. "Ich schätze, wir finden gerade mal einen von fünf, vielleicht sogar nur einen von 10. Ich versichere Ihnen, da liegen noch eine ganze Menge unentdeckter Leichen da draußen."

Wenn eine Leiche aber gefunden wird, landet sie hier. In der Rechts-Medizin von Laredo, auf dem Autopsie-Tisch von Dr. Corinne Stern. Diesen Toten haben Benny Martinez‘ Kollegen in der Früh entdeckt. In seiner Kleidung ein Schüler-Ausweis und eine Geburtsurkunde. Dr. Stern traut solchen Papieren erst mal nie, oft sind sie gefälscht. Aber wenn diese stimmen, handelt es sich hier um einen gerade mal 16-Jährigen aus Mexiko. Wahrscheinlich verdurstet.

Dr. Stern wird die Leiche untersuchen, röntgen, DNA-Proben nehmen. Und mit dem mexikanischen Konsulat telefonieren, Hilfe bei der Identifizierung erbitten. Weil in der Kühlkammer kein Platz mehr war, hatte Dr. Stern vor vier Tage den Notstand ausgerufen. Bereits jetzt hat sie doppelt so viele Fälle wie zur gleichen Zeit im Vorjahr. Draußen stehen zwei Kühl-Anhänger, mobile Leichen-Häuser. Einer ist mit 24 Toten bereits voll. Dieser kam am Vortag dazu. "Wissen Sie, viele dieser Fälle lassen mich nicht los“, sagt die Pathologin. "Es ist hart. Aber ich schulde es ihren Familien, alles zu tun, um diese Toten zu identifizieren, damit sie nach Hause geschickt werden können."

Oft kommt sie sich mehr als Detektivin denn als Ärztin vor. Jedem Anhaltspunkt geht sie nach, telefoniert oft stundenlang mit Angehörigen. So wichtig es ihr ist, sie zu finden: Treffer – sagt sie, lassen sie immer mit gemischten Gefühlen zurück. "Das ist dann schön, aber auch bitter zugleich. Weil wir eben eine traurige Nachricht überbringen müssen, wenn wir jemanden identifizieren konnten, der vielleicht drei Jahre als verschollen galt. Immerhin können die Familien dann ihren Frieden finden. Aber wir zerstören auch die Hoffnung, die sie vielleicht hatten, ihr Angehöriger könnte noch leben."

Bislang wurden die nicht identifizierten Toten auf diesem Friedhof in Falfurrias bestattet. Sheriff Benny Martinez zeigt mir die schmucklosen Aluminium-Plaketten, die die Stellen markieren. "Aber wir haben keinen Platz mehr. Deshalb läuft nun ein neues Projekt, bei dem diese  Unbekannten exhumiert werden." Vor ein paar Wochen haben sie an dieser Stelle die Überreste von 50 Leichen ausgegraben. Sie lagern nun bei der Texas State University. Dort werden DNA-Proben entnommen, in der Hoffnung, die Toten identifizieren zu können.

"Das mit den sterbenden Einwanderern ist für viele hier in Texas  schon so alltäglich, dass sie abstumpfen, es lässt sie kalt. Das ist das Problem", sagt Benny Martinez. "Und in Washington müssen die Politiker sich endlich was einfallen lassen, um diese sinnlose Krise zu beenden. Es sterben einfach zu viele Menschen hier. Noch mal, das dürfte nicht passieren." Aber es wird passieren. Denn die heißesten Monate des Jahres stehen noch bevor. Sie werden weiter fast täglich Leichen bergen, in der Wildnis von Süd-Texas. Wenn sie sie denn finden.

Autor: Ingo Zamperoni / ARD-Studio Washington

Stand: 04.08.2014 12:57 Uhr

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