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Türkei: Geschundenes Kurdengebiet

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Türkei: Geschundenes Kurdengebiet | Bild: SWR

Weitermachen oder hinschmeißen? Diese Frage stellt sich die prokurdische HDP-Partei in der Türkei, seit ihre Parlamentsabgeordneten festgenommen werden, weil sie angeblich die terroristische PKK unterstützen. Ziya Pir ist türkischer und deutscher Staatsbürger, wohnhaft in Diyarbakir. Er ist für die HDP Abgeordneter im türkischen Parlament; und er kämpft einen schier aussichtslosen Kampf für ein friedliches Zusammenleben in der Türkei.

In diesen Tagen fährt er in kurdische Dörfer, um mit der Basis zu beraten, wie Politik unter "Sultan Erdogan" weitergehen könnte. Er trifft Menschen, die vor einem Jahr die Hoffnung hatten, dass es besser würde für die Kurden in der Türkei, und die nun mit immer neuen Anfeindungen und Ausgrenzungen zu kämpfen haben.

Die Kämpfe kommen näher

Tief im türkischen Kurdistan – eine Gegend mit Geschichte: Hier wurde vor fast vier Jahrzehnten die bewaffnete, im Untergrund tätige, kurdische Arbeiterpartei "PKK" gegründet. Inzwischen gilt sie als Terrororganisation. Lange war es friedlich im Dorf Tepecik, erzählen Abdül Basit Yasa und seine Mutter. Jetzt machen sie sich Sorgen. Denn: Der Kampf zwischen der türkischen Armee und der PKK kommt immer näher. "Gleich dort hinten gibt es immer wieder Ausgangssperren und das Militär führt Operationen durch. Bis hierher hört man die Bombardements! Das belastet nicht nur unsere Kinder psychisch sehr, sondern auch die Erwachsenen!"

Ziya Pir
Ziya Pir, Abgeordneter der prokurdischen Partei HDP. | Bild: SWR

Ziya Pir ist Abgeordneter der prokurdischen Partei HDP. Die im Parlament vertretene HDP ist massiv unter Druck. Mehrere Abgeordnete, die Partei-Chefs und zahlreiche Bürgermeister sitzen in Untersuchungshaft. Auch Pir wurde vorübergehend festgenommen. Der Vorwurf: Unterstützung der terroristischen PKK. Aus Protest gegen die Festnahmen hat die HDP ihre Parlamentsarbeit auf Eis gelegt. In Tepecik will Pir von seinen Wählern wissen, ob die HDP das Parlament endgültig verlassen soll? "Die sind alle sehr besonnen! Ich habe bis heute keinen erlebt, der gesagt hat: Lege das Mandat nieder!"

Verlängerter Arm der PKK ?

HDP-Politikerinnen umarmen PKK-Kämpfer
In einem Video von 2012: HDP-Politikerinnen umarmen PKK-Kämpfer. | Bild: SWR

Für Pirs Partei geht es in diesen Tagen um alles! Die wichtige Frage jetzt: Was ist dran an dem Vorwurf der Erdogan-Regierung, die HDP sei der verlängerte Arm der terroristischen PKK? Wir treffen den Abgeordneten im HDP Büro in der kurdisch geprägten Stadt Diyarbakir und fragen nach den Verbindungen. Auf diesem Foto aus dem Jahr 2013: Die HDP Vorsitzenden zusammen mit PKK Chefs. In einem Video von 2012 umarmen HDP Politikerinnen PKK Kämpfer. Aus Sicht regierungsnaher türkischer Medien Beweise für die Nähe von Partei und Terror. Ziya Pir widerspricht, die Aufnahmen seien aus einer Zeit, als Erdogans Regierung die HDP aufgefordert habe, mit der PKK einen Frieden auszuhandeln. "Jetzt packen die Bilder aus und sagen hier: Ihr wart da! Ihr seid mit denen zusammen! Ja natürlich waren die mit denen zusammen, weil die Regierung sie dorthin geschickt hat!"

Ein weiterer schwerwiegender Vorwurf. Im Januar 2015 soll ein HDP Abgeordneter bei einer von der Polizei verhinderten Übergabe von Kriegswaffen zugegen gewesen sein, so eine Anklageschrift der Staatsanwaltschaft. Pir sagt, es seien keine Waffen direkt bei dem Abgeordneten gefunden worden, deshalb sei dieser unschuldig. Hier bleiben Fragen offen. Seit Herbst 2015 liefern sich türkische Sicherheitskräfte und die PKK erneut einen blutigen Kampf. Bei Bombenanschlägen gegen Polizei und Armee kam es vermehrt auch zu zivilen Opfern. Dennoch weigert sich Pir die PKK als Terrororganisation zu bezeichnen. "Es ist eine ganz schwierige Sache: Man kann nicht einfach so, schwarz – weiß, sagen, dass ist eine Terrororganisation, und das ist keine! Es geht hier alles drunter und drüber! Und: Man muss da bei den Kategorisierungen vorsichtig sein!"

Wunsch nach Frieden

Drei Männer
Die Menschen in Tepecik wollen nur eins: Frieden!  | Bild: SWR

Der türkische Staat, die USA und Europa bezeichnen die PKK als Terrororganisation. Die meisten HDP Politiker sprechen lieber von einer Guerillagruppe und machen sich damit angreifbar. Seit Jahrzehnten kämpft die PKK gegen den türkischen Staat, und der Staat gegen die kurdische Organisation. Dabei wollen die Menschen in Tepecik nur eins: Frieden! Schuldzuweisungen interessieren die Dorfbewohner weniger. Die Angst vor weiteren Opfern ist groß. "Unser Dorf wurde 1991 von Militärs geräumt und nieder gebrannt", erzählt Abdül Basit Yasa. "Dann durften wir es mehr als zehn Jahre lang nicht betreten! Das ist unser Alptraum! Ein Alptraum, den ganz Kurdistan hat!" Beide Seiten, Staat und PKK sollten bald ihre Waffen niederlegen, so fordern sie in Tepecik. Die HDP könnte dabei eine wichtige Rolle spielen – sofern Staatspräsident Erdogan sie lässt.

Ein Film von Oliver Mayer-Rüth (ARD-Studio Istanbul).

Stand: 13.07.2019 05:58 Uhr

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