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Syrien - Wie Anwar radikal wurde

Und die Sehnsucht nach Normalität und Frieden

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Syrien - Wie Anwar radikal wurde | Bild: Das Erste
Anwar, er trägt eine Splitterschutzweste der Bundeswehr
Anwar, er trägt eine Splitterschutzweste der Bundeswehr, in einer zerstörten Schule im heftig umkämpften Viertel Salaheddin von Aleppo.

Eigentlich ist Anwar ein Kämpfer, doch heute will der 28-jährige Syrer das Grauen für ein paar Stunden verdrängen.

Anwar Mohamad

»Wir können doch nicht immer weinen oder traurig sein. Niemand kann das. Drei Jahre dauert dieser Krieg schon. Drei Jahre. Das ist nicht einfach.«

So feiern sie ausgelassen in einer Villa, die früher einem reichen Anhänger von Präsident Assad gehörte. Eine Insel der Normalität inmitten einer zerstörten Stadt. Scherzend bedanken sie sich bei den Amerikanern und Europäern für die gelieferten Wasser-Pumpguns.

Mit einer Kalashnikov verteidigt Anwar wenig später die Stützpunkte der syrischen Opposition mitten in Aleppo. Seit Monaten kämpft der ehemalige Lehrer nun schon mit den Rebellen.

Die 1303 erbaute Mihmandar-Moschee ist eines der vielen historischen Gebäude von Aleppo, die im Krieg zerstört oder beschädigt wurden
Die 1303 erbaute Mihmandar-Moschee ist eines der vielen historischen Gebäude von Aleppo, die im Krieg zerstört oder beschädigt wurden

Ganze Stadtteile haben sie mit ihrer Guerillataktik eingenommen. In Aleppo verliert das Regime Stück für Stück die Kontrolle über Teile der Wirtschaftsmetropole, während die Opposition in anderen Städten herbe Niederlagen einstecken muss.


Sein altes Viertel kennt Anwar kaum wieder. Hier hat er früher studiert. Kaum vorzustellen, dass er hier einmal unbeschwert in Cafes gesessen hat. Die Infrastruktur ist im Osten der Stadt fast völlig zerstört.

Was er erlebe, lasse ihm keine andere Wahl, sagt er. Gemeinsam mit anderen Männern und Kindern lebt er meist in Aleppo. So entschlossen sie alle auch sind, den Krieg zu gewinnen, sehnen sie sich nach Normalität und Frieden. Direkt hinter einer Frontlinie, einer Teppichstange, wo scharf geschossen wird, spielen Kinder im Planschbecken.

Anwar Mohamad

»Schaut, wie viele Seelen hier verloren gingen. Der Boden ist blutgetränkt. Die Menschen, die soviel gelitten haben, werden ihre Heimat bis zum letzten gegen das Regime verteidigen. Ich glaube, hier wird es noch viel Blutvergießen geben.«

 Anwar zeigt Bilder eines von Assads Schergen zu Tode gefolterten Oppositionellen
Anwar zeigt Bilder eines von Assads Schergen zu Tode gefolterten Oppositionellen

Anwar ist wütend. Eigentlich wollt er nur mit Bildern und Texten die Welt über das informieren, was in seiner Heimat passiert. Doch das, was er erlebt, hat ihn zum Kämpfer gemacht.

Trotzdem. Das Leben an der Front macht ihn mürbe. Anwar vermisst vor allem seine kleine Tochter. Einer der Kämpfer hat seinen Sohn direkt an die Front mitgenommen, samt Planschbecken. Zu Hause sei es zu unsicher für den fünfjährigen Hamsa, meinte er.

Vater

»Ich hatte meine Kinder zu Hause gelassen, da ich selbst kämpfte“, erzählt uns der Scharfschütze. „Doch dann wurde mein Haus von einer Rakete der Regierung getroffen. Meine Frau und Tochter wurden verwundet. Sollte es uns nicht gelingen, Assad zu erledigen, dann müssen das später Kinder wie Hamsa schaffen. Wir müssen Assad besiegen, auch wenn ihn seine Verbündeten Russland, Iran und Libanon unterstützen.«

Der kleine fünfjährige Hamsa ahnt noch nichts von den Plänen, die sein Vater für ihn hat.

Immer häufiger weht jetzt die Al-Kaida-Flagge mit dem weißen Kreis.

Auch Anwar hat sich den ultrareligiösen, den Islamisten angeschlossen.

Er hat erlebt, wie erfolgreich sie in anderen Orten kämpfen. Vor allem den 25-jährigen Abu Anas bewundert er - einen streng gläubigen Muslim. Sie sind besser organisiert als die gemäßigten Rebellen, meint Anwar. Sie sind finanziell besser gestellt, bekommen Unterstützung von frommen Muslimen aus den Nachbarländern.

Sie nennen sich selbst „Die Islamische Bewegung Freier Syrer“, und sie wollen aus Syrien einen Gottesstaat machen. Anwar folgt ihnen aus einem Grund: er will endlich wieder Ordnung in seiner Heimat.Und das versprechen die Islamisten.

»Die Revolution ist immer noch nicht am Ziel, und die Welt hat uns im Stich gelassen. Das ist der Hauptgrund, warum ich mich den Religiösen angeschlossen habe. Die Welt hat uns nicht geholfen.«

»Die streng Gläubigen verlassen sich nur auf sich selbst. An ihren Regeln können wir uns festhalten. Sie geben uns Rückhalt. Und das hilft uns auch an der Front, wo wir dann mit Entschlossenheit kämpfen können.«

Manchmal besucht Anwar seine Mutter, die sich auch um seine kleine Tochter kümmert. Die Mutter ist zwar religiös, doch der radikale Islam ist ihr suspekt -trotzdem bewundert sie ihren Sohn, weil er für ein freies Syrien kämpft.

Doch sie macht sich auch Sorgen und bangt um sein Leben. Jetzt, wo sich Anwar den Kämpfern angeschlossen hat.

Von ihren zwölf Kindern hat nur Anwar studiert.

Doch was wirklich zählt, ist die Meinung des Vaters.

Hier oben auf dem Dach züchtet der alte Herr Tauben, wie viele Syrer. Hier haben die beiden viele wichtige Entscheidungen besprochen. Bislang hat sich Anwars Vater von radikalen Muslimen ferngehalten, aber wenn der Krieg gegen Assad nur mit ihrer Hilfe gewonnen werden könne, dann sei das der richtige Schritt, meint der alte Mann

Juma Mohamad, Anwars Vater

»Mit Gottes Hilfe werden wir vor diesem Regime nie wieder Angst haben müssen. Wir fürchten uns nicht mehr vor Assad, wir fürchten uns vor niemandem. Mit Gottes Hilfe kriege wir dich, Assad.«

Im Stechschritt auf Postern von Präsident Assad. Für das Regime haben die Rebellen nur Hass und Spott. Der gemeinsame Gegner fördert den Zusammenhalt.

Protagonist Anwar Mohammed (r) im Gespräch mit einem Kaffeehändler in Aleppo.
Protagonist Anwar Mohammed (r) im Gespräch mit einem Kaffeehändler in Aleppo.

Der Basar von Aleppo. Einst verkauften hier syrische Händler Stoffe, Parfüm und Gewürze aus aller Welt.

Jetzt haben sich hier die Rebellen verschanzt. In den historischen Sälen der Omayaden Mosche kämpften sie bis vor kurzem noch gegen Regierungssoldaten.

Die USA haben den Rebellen Militärhilfe versprochen. Doch Anwar glaubt nicht mehr daran.

Anwar Mohamad

»Ich habe die Hoffnung aufgegeben, dass uns jemand hilft. Ich muss zusehen, wie das Regime Kinder, Frauen und wehrlose ältere Leute abschlachtet. Die Welt schaut einfach nur zu, wie wir sterben.«

„Wir wollen Freiheit“, singen sie. „Menschen sterben, aber das Land wird bleiben.“

Die Islamisten sind stark geworden in Syrien. Sie werden unterstützt aus Saudi Arabien, Qatar und Libyen Der Westen, sagt Anwar, habe einfach nur zugesehen.

Autoren: Kurt Pelda, Birgit Virnich

Stand: 15.04.2014 11:03 Uhr

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Westdeutscher Rundfunk
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