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Brasilien: Das Schiff der Gerechtigkeit

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Brasilien: Das Schiff der Gerechtigkeit | Bild: WDR

Abschied von der Familie. Leinen los im Auftrag der Justiz.

Eine ganz normale Dienstreise für Richter Luciano Assis auf dem wasserreichsten Fluss der Erde, dem Amazonas.

Dienstreise auf dem Amazonas
Dienstreise auf dem Amazonas

Luciano Assis, Richter:

»Es geht in abgelegenen Regionen, wo es sehr oft Konfusion und Probleme mit dem sozialen Frieden gibt. Da gibt es keine öffentlichen Institutionen. Uns als Gericht wird  aber Respekt entgegengebracht. Und in den Gemeinden kehrt dann mit unserer Anwesenheit erst einmal wieder Normalität und Ruhe ein.«

Für den Kapitän ist diese mehrtägige Dienstreise einer kompletten Behörde  Routine.

der schwimmende Justizpalast
der schwimmende Justizpalast

5 Mal im Jahr ist der schwimmende Justizpalast so unterwegs. Auch mitten in der Regenzeit.

Das ist das erste Ziel, nach 12 Stunden Fahrt auf dem Amazonas, erreicht das hohe Gericht die Gemeinde Vila Progreso.

4 Tage wollen sie hier bleiben, es gibt einiges zu schlichten und zu verhandeln.

Vorbereitungen für die ersten Prozesse. Die Amtsstuben auf dem "Schiff der Gerechtigkeit" werden eingerichtet.

Die Kundschaft kann es kaum abwarten. Kläger, Angeklagte, Menschen, die Rat suchen – es hat sich offenbar viel aufgestaut.

54 Behördenvertreter, der Richter, Sachbearbeiter, Anwälte, Polizisten, sind mit an Bord.

Schiff der Gerechtigkeit
54 Behördenvertreter sind mit an Bord

Und sie legen gleich los. Es geht meist um Grundstücksstreitigkeiten, kleinere Gewaltverbrechen und um Familienangelegenheiten.

Eigentlich wollte sich dieses Paar scheiden lassen. Aber soweit kommt es nun doch nicht. Richter Luciano konnte diese Ehe vorläufig retten.

Wagner dos Santos, Ehemann:

»Wir versuchen es noch mal. Sie muss mir halt mehr Liebe entgegenbringen. Es dürfen aber weder Stress noch hitzige Dispute entstehen, sonst, so hat es der Richter gesagt, muss ich das Haus verlassen.«

Joseli dos Santos, Ehefrau :

»Naja, bei diesem Wetter gehen wir jetzt eben ein wenig kuscheln.«

Luciano Assis, Richter:

»Wir versuchen eine schnelle Lösung zu finden. Wir sind weit weg von den Städten. Deswegen müssen die Prozesse hier anders laufen, als in den Ortschaften mit ihren Institutionen, wo alles sehr zeitaufwendig ist. Hier muss sofort gehandelt und entschieden werden.«

Der Richter legt Wert darauf, dass seine Entscheidungen befolgt und seine Urteile von Streithähnen nicht ignoriert werden. Deswegen geht er auch kontrollieren. Auch wenn seine Excellenz, der Richter abenteuerliche Fahrten an den Rand des Dschungels auf sich nehmen muss.

Luciano Assis, Richter:

»Ich kehre an die Orte der Konflikte zurück, schaue nach, in Anwesenheit aller Betroffenen, ob sich alle an meine Entscheidungen gehalten haben.«

Bei seinem letzten Besuch vor ein paar Monaten musste Luciano hier einen Streit um Grundstücksgrenzen schlichten.

Der beklagte Nachbar will noch mal nach verhandeln, fühlt sich benachteiligt. Er musste nach der richterlichen Entscheidung Zäune versetzen und hat so ein wenig Land verloren. Das schmerzt, ist aber so von der Justiz besiegelt, er muss es akzeptieren.

Alltag einer mobilen Behörde.

Alltag in einer mobilen Behörde
Alltag in einer mobilen Behörde

Herausforderungen, die oft ans Herz gehen. Hier trifft Evelyn, die Bordpsychologin Menschen, die nicht einmal eine Geburtsurkunde haben, also offiziell gar nicht existieren. Und es geht immer wieder um sexuelle Gewalt, vor allem gegen Kinder.

Es gibt viele solcher Fälle und es ist schwer zu helfen.

Evelyn Carvalho, Psychologin:

»Wenn Kinder Opfer von sexuellem Missbrauch wurden, sind sie meist verstört und antworten nicht, wenn sie zum Thema Sex befragt werden. Andere reagieren genau gegensätzlich und sind für ihr Alter außergewöhnlich interessiert.«

10 Fälle hat Evelyn, die Psychologin hier in der Region zu bearbeiten. Den von Jurassa beispielsweise, ein 13-jähriges Mädchen, das mit ihren vielen Geschwistern in ihrem Elternhaus am Amazonas lebt und dort vor zwei Jahren vom Freund ihres Vaters missbraucht wurde. Zum fünften Mal kommt Evelyn hier vorbei, um mit dem Mädchen zu sprechen und ihr zur Seite zu stehen.

Zurück an Bord des Justizschiffes.  Richter Luciano erteilt seinen Polizisten den Auftrag einen Täter von Kindesmissbrauch festzunehmen. Es gibt eine anonyme Anzeige gegen den Verdächtigen und entsprechende Aussagen des 14-jährigen mutmaßlichen Opfers.

Die Ordnungshüter fahren zum Zuhause des Beschuldigten, um ihn dort festzunehmen. Aber niemand will ihn gesehen haben. Spannung liegt in der Luft. Der Vater des Angeklagten sagt, er wisse auch nicht, wo sein Sohn sei. Man merkt aber, hier stimmt was nicht.

Unverrichteter Dinge rücken die Polizisten wieder ab und berichten Richter Luciano über die Situation.

Luciano Assis, Richter:

»Das Wichtigste für uns ist im Moment alle Fakten und Beweise zu sammeln, um diese Person zu verhaften. Dann nämlich werden sich die Menschen öffnen und keine Hemmungen haben alles zu dem Fall zu erzählen. Nur so kommen wir mit unserer Arbeit voran.«

Gerade als der nächste Einsatz der Psychologin besprochen wird, gibt es eine unerwartete Überraschung auf dem Justizschiff.

Der flüchtige Tatverdächtige, den die Polizei zuhause nicht antreffen konnte, hat sich freiwillig gestellt.

Richter Luciano fackelt keinen Moment, der Haftbefehl war eh schon ausgestellt. Nun wird der 27-jährige zur Untersuchungshaft in die Hauptstadt des Bundesstaates Amapá gebracht. Ein anderes Schiff bringt ihn gleich dorthin.

Aber es gibt auch richtig schöne Momente auf dem Justizschiff, dann nämlich, wenn die Verliebten und Heiratswilligen mit ihren Familien an Bord kommen.

Und das sind diesmal wieder einige. Die Kulisse des mobilen Gerichtssaales verwandelt sich dann in die eines Standesamtes.

Trauungen, die liebste Arbeit von Richter Luciano und seinen Mitarbeitern. Ein Moment, den sie sehr genießen, denn morgen geht es hier schon wieder um ganz andere Fälle.

Autor: Michael Stocks/ARD Studio Rio de Janeiro

Stand: 11.05.2014 20:28 Uhr

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Westdeutscher Rundfunk
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