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Spanien – Die Lastfrauen von Melilla

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Spanien - Die Lastfrauen von Melilla | Bild: WDR

Melilla, eine kleine spanische Stadt an der nordafrikanischen Küste. Die Stadt hat zweifelhaften Ruhm erlangt. Fast wöchentlich versuchen Flüchtlinge aus Afrika, meist erfolglos, den 6 Meter hohen Grenzzaun zu überwinden. Sie wollen nach Europa.

Was kaum einer weiß: In der Gegenrichtung schleppen täglich marokkanische Frauen schwere Lasten von Europa nach Afrika. Alles zollfrei, ganz legal, da die Lasten als Handgepäck gelten. In einem eigens abgesperrten Fußweg am Grenzzaun schieben sich so täglich hunderte Menschen Richtung Grenze, eine lebensgefährliche Schufterei.

Immer wieder werden Menschen niedergetrampelt. Nur vier Stunden täglich ist dieser Weg geöffnet, für die Händler ein lohnendes Geschäft, denn so gelangen Waren wie Kleidung aber auch Alkohol preiswert von Europa nach Afrika.

Lastenträger mit Kleidung aus Europa und China, Reifen, Autozubehör
Lastenträger mit Kleidung aus Europa und China, Reifen, Autozubehör

40 Kilo hat Hakima jetzt auf dem Buckel – Kleider, Decken oder Lebensmittel – all das wird die 30jährige nun über die Grenze von Spanien nach Marokko schleppen. “So müssen wir Armen unser Geld verdienen, es ist gnadenlos. Jeder denkt nur an sich, die Arbeit ist eine einzige Folter.“ Hunderte drängen sich in einem eigens abgesperrten Grenzübergang - alte Frauen, junge Männer, sie alle verdingen sich als Träger von Waren – es gilt das Recht des Stärkeren. Und der Nachschub rollt unerbittlich. Weil die Behörden die Lasten als Handgepäck ansehen, müssen die Waren nicht verzollt werden – ein Abkommen der Grenzstädte Melilla und Nador macht das möglich. So sparen die Händler Steuern, für sie ein profitables Geschäft . 

Atempause. Die erschöpfte Hakima hat ihre Last für einen Moment abgelegt. Wer hier arbeitet, kommt aus dem benachbarten Nador in Marokko – dessen Einwohner brauchen kein Visum. Eine elende Schufterei für gerademal vier Euro am Tag sei das, sagt uns Hakima, dann verlieren wir sie erst einmal aus den Augen.

 Wir blicken auf die andere Seite der Grenze, Marokko, Afrika - hier wird umgeladen, darunter viel Schmuggelware wie Alkohol etwa. In der Innenstadt von Nador: im Schatten der Moschee türmen sich die Waren des schwunghaften Grenzverkehrs, vor allem gebrauchte Klamotten aus Europa. Sie werden in großen Mengen verkauft, und von hier aus beginnt ihre Reise quer durch Afrika. Aber über dieses lukrative Geschäft will hier keiner mit uns reden.

In diesem Haus lebt Hakima - ihr Ehemann  ist erst vor kurzem gestorben, man spürt noch die Trauer. Wie sie schuftet auch ihre Freundin Maria an der Grenze, beide kümmern sich alleine um ihre Kinder. Aber alleinstehende Frauen werden in Marokko gnadenlos ausgegrenzt. Und als wir Hakima nach ihrer Zukunft fragen, bricht sie in Tränen aus. „Ich bekomme sonst keine andere Arbeit, nur so können mein kleiner Sohn und ich überleben. Um uns kümmert sich keiner.“ Die Arbeit an der Grenze ist ihre einzige Chance.

Nur so kann Hakima überleben
Nur so kann Hakima überleben

 Zurück auf die spanische Seite, nach Melilla – weltweit ist die Stadt zu zweifelhaftem Ruhm gelangt, aber nicht wegen der Lastenträger. Hier verläuft die Grenze zwischen Europa und Afrika. Fast jede Woche versuchen verzweifelte Menschen, den hohen Zaun in Richtung Europa zu überwinden. Und gleichzeitig geht es jeden Morgen in die andere Richtung. Um sieben Uhr früh machen sich die Lastenträger an die Arbeit. Bis zu achttausend Menschen schleppen täglich die schwere Fracht über die Grenze. Die Händler, die von dieser Maloche profitieren, haben kein schlechtes Gewissen. "Sehen Sie, wir geben tausenden von Menschen auf marokkanischer Seite Arbeit, wir sind ja nicht für die Verhältnisse hier verantwortlich."

Die Behörden in Marokko und Spanien wollten keine Stellungnahme dazu abgeben, warum sie nichts gegen dieses Chaos unternehmen.´Wir treffen Jesús Barranco von der spanischen Polizeigewerkschaft. Er erklärt uns, dass der Handel für beide Seiten zu lukrativ sei – deswegen ändere sich nichts. "Wir finden diese Arbeit unmenschlich, die Träger haben oft mehr als 50 Kilo auf dem Rücken, keine Arbeitsverträge und bekommen vielleicht fünf Euro pro Tag. Das ist inhuman."

Im Hafen von Melilla legen jeden Tag Schiffe und Fähren an, beladen mit den Waren für die Lastenträger: Kleidung aus Europa und China, Reifen, Autozubehör, Nahrungsmittel - mehr als 500 Millionen Euro setzt dieser Handel jährlich um. In großen Lagerhallen in Melilla wird alles gestapelt, bis die Träger aus Marokko sie abholen. Dieser Handel ist zum wichtigsten Wirtschaftsfaktor für die spanische Stadt geworden. Und Hakima wird weiter ihre schweren Lasten entlang der hoch gesicherten Grenze schleppen – sie hat keine andere Wahl. „Eine andere Zukunft sehe ich nicht, flüstert die junge Frau, das hier wird nun mein Leben sein.“

Der hochgesicherte Grenzzaun
Der hochgesicherte Grenzzaun

Nur vier Stunden ist der Grenzüberübergang jeden Morgen offen, auch deswegen gibt es dieses Gedränge. Die Schwachen bekommen doch im Leben nie Respekt, sagt uns Hakima noch. Dann geht sie gebeugt über die Grenze.

Autor: Stefan Schaaf/ARD Studio Madrid

Stand: 22.09.2014 09:21 Uhr

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