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Frankreich: Die Heldin von Calais

PlayMadame Lips ist die Heldin von Calais
Frankreich: Die Heldin von Calais | Bild: DasErste

Madame Lips wird schon erwartet. (...)Vor ihrer Garage stehen Menschen, denen sie helfen will. Die Flüchtlinge, die zu ihr kommen sind ohne feste Bleibe, sie haben keinen Strom! Brigitte nimmt ihre Handies entgegen, will sie aufladen. Jedes Gerät bekommt einen Zettel. Dreimal am Tag macht sie das. Denn nur mit einem vollen Akku können sie mit ihren Familien telefonieren.

Brigitte:

»Hast Du Deiner Mutter Bescheid gesagt?“ fragt Madame Lips. „Ruf sie an“. (...) Die Jungs brauchen doch die Handies. Ich seh doch auf den Displays all diese Familienfotos, daran klammern sie sich doch fest!«

Brigitte:

»Heute Nacht träumst Du von mir!«

Madame Lips Haus ist innen eine einzige Ladestation.
Madame Lips Haus ist innen eine einzige Ladestation. | Bild: WDR / WDR

Brigittes Haus – innendrin ist es eine einzige Ladestation: Madame Lips – die Cheflogistikerin. (...) 63 Handies kann sie zu Hause gleichzeitig laden.

Brigitte:

»Deine Steckdose brauch ich auch!«

»Sie ist nicht ganz so glücklich, aber heute Abend gibt´s wieder warmes Wasser.«

Und immer wieder klingeln Flüchtlinge an ihrer Tür.(„Yes, yes, I come“)Brigitte ist gläubige Katholikin. Aber so viel gelebte Nächstenliebe passt nicht allen: Die Nachbarn fühlen sich belästigt. Die Polizei fährt regelmäßig Streife. Brigitte ist eine einsame Heldin:

Brigitte:

»Die Leute sagen zu mir: "Wieso haben die alle Handys?" Dann sag ich: hast Du kein Handy? Wenn Du fliehen würdest aus Deinem Land, würdest Du doch auch Dein Handy mitnehmen? Aber die Leute verstehen das einfach nicht.(macht Tür auf, freistehend:) Yes I come!«

Brigitte kann einfach nicht wegschauen, denn direkt hinter ihrem Haus beginnt der Dschungel. So nennen sie in Calais die wilden Flüchtlingscamps. Kein fliessendes Wasser gibt es hier, keine Toiletten und eben keinen Strom. Monate harren die illegalen Flüchtlinge im Dreck aus, bevor sie es vielleicht auf die Fähre nach England schaffen. („Sit down, Mummy“). „Mama“ oder „Omi“ nennen sie sie hier. („Bonjour, ca va bien?“)

„Mama, komm essen, bitte, trink Tee“. Seine Frau ist schwanger – sie erwarten ihren ersten Sohn. Ein glücklicher Moment in unglücklicher Umgebung.

„Mama, komm setz Dich, bitte“ „nur zwei Minuten“. Brigitte hat viele schwarze Söhne hier. Die Nächte sind so kalt, sagen der 19jährige aus Eritrea. Gemeinsam mit zwei anderen will er es nach England schaffen – mit Brigittes Segen:

Eriträer mit Brigitte:

»Ich will auf einen LKW kommen. Es ist der erste Versuch. Für heute. (...) Inshallah! So Gott will! „ Danke, Mama, ich werde Dich vermissen! Tschüss. Wir sehen uns in England“ (...) „Also wenn ich nach England fahre, würde ich viele viele Bekannte treffen!«

Das Feuer lassen sie brennen – als ob sie ahnen, dass es wieder nicht klappen wird, dass sie am Abend wieder hier sitzen werden - und frieren. Viele Einwohner von Calais wollen dieses Elend nicht sehen. Wenn Brigitte mal in der kleinen Bar vorbeischaut, erlebt sie immer wieder Angst und Mißtrauen gegenüber den Flüchtlingen.

Patron:

»Wir bedienen hier überhaupt keine Migranten, neinneinnein! Wenn ich lese: 30 Migranten überfahren, dann lässt mich das kalt. Ich kümmere mich um meine Leute, meine Familie, der Rest ist mir egal.«

Aber auf ihren Ehemann Pierre kann Brigitte zählen: Gemeinsam schauen sie auf die Stromrechnung des letzten Jahres. (...) Große Überraschung: Der Verbrauch hat sogar leicht abgenommen. Paradoxerweise helfen ausgerechnet die Flüchtlinge und ihre Handies beim Stromsparen:

Brigitte:

»Früher ist der Fernseher den ganzen Tag gelaufen, erzählt sie uns. Jetzt brauchen sie die Steckdosen und haben keine Zeit mehr zum Fernsehen.«

Am nächsten Morgen geht es weiter:

Brigitte:

»Attends – I open the door«

Schon um sieben Uhr warten die nächsten Flüchtlinge. (...)

Brigitte:

»(...) „Die drei Männer, die gestern losgezogen sind, werde ich nie vergessen. Wenn ich bete, dann bete ich auch für sie – und sie für mich. Einmal hat mir einer eine Nachricht hinterlassen, darauf stand: Egal, wo ich hingehe, ich bete für sie und ihre Familie“. (...)«

In ihrem Haus lädt sie täglich bis zu 150 Handys auf
In ihrem Haus lädt sie täglich bis zu 150 Handys auf | Bild: WDR / WDR

Unermüdlich lädt Brigitte Handys auf – und irgendwie auch die Menschen.

Autorinnen: Verena Bünten/Ellis Fröder/ARD Studio Paris

Stand: 26.02.2015 16:14 Uhr

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Produktion

Westdeutscher Rundfunk
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