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Ägypten: Gewalt gegen Frauen

Frauen schliessen sich zusammen

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Ägypten: Gewalt gegen Frauen | Bild: Das Erste

Kairo. Die erfolgreiche Revolution hat auf Kosten der Frauen stattgefunden. Wie eine ansteckende Krankheit breitet sich in der ägyptischen Hauptstadt männliche Machogewalt aus, überall in der Stadt - tagsüber, abends und nachts.

Spurensuche…

Bereits während der Revolution kommt es zu den ersten brutalen Übergriffen, eine Aktivistin wird von Dutzenden von Männern sexuell attackiert.

Mädchen

»Die Metros und die Busse sind voller Männer. Wenn wir Frauen einsteigen, werden wir sofort angemacht. Das passiert jeden Tag. Aber was sollen wir machen, wir müssen doch in die Uni.«

Tahrirplatz vor einem Monat: eine Journalistin wird von Männern begrabscht. Sie versuchen, die Französin auszuziehen, vor laufenden Kameras.

Sonia Dridi, Korrespondentin ‚France 24‘

»Sie belästigen nicht nur ausländische Frauen. Frauen generell sind Freiwild für sie. Aber trotzdem: als Ausländerin bist du natürlich ein leichteres Ziel.«

Wie dramatisch die Lage mittlerweile geworden ist, dokumentiert die Frauenorganisation Harass-Map – übersetzt „Die Landkarte der Belästigungen“. Allein in den vier Tagen des islamischen Opferfestes vergangenen Monat wurden in Kairo rund 700 Übergriffe von Männern gezählt. Und die Dunkelziffer dürfte deutlich höher sein.

Rebekka Chiao, “Harass-Map”

»Sie starren mich mit eindeutigen Absichten an, sie machen mich unflätig an, sie berühren mich, sie entblößen ihre Geschlechtsteile, sie verfolgen mich, sie rufen mich zuhause an… Die eine oder andere Form sexueller Belästigung passiert mir persönlich jeden Tag!«

Immer mehr Frauen beginnen, sich gegen die Gewalt zu wehren, und oft können sie dabei auf die Unterstützung von Männern bauen, beileibe nicht jeder Ägypter ist ein Angreifer. Gemeinsame Patrouillen der Gruppe Basma - übersetzt „Der Fingerabdruck“. Sie schützen Passantinnen vor Übergriffen und klären Männer auf. Die Aktivistinnen – allesamt Opfer – fühlten sich früher in ihren Selbsthilfegruppen wie in einer Blase aus Gleichgesinnten, ohne Bezug zur brutalen Realität auf den Straßen. Also nahmen sie sich ein Herz und beschlossen, selbst dorthin zu gehen.

Nihal Zaghloul

»Die Männer sagen immer: das ist der Fehler der Frauen, weil sie sich aufreizend kleiden. Unsinn! 4 von 5 Frauen in Ägypten werden sexuell belästigt, und die meisten von ihnen sind verschleiert.«

Bis in die Nacht stehen die Mitglieder der Gruppe auf dem Platz der Befreiung, sie kämpfen für ihre Menschenrechte. Ihre Befürchtung: die Zivilgesellschaft als solche ist mittlerweile in Gefahr.

Ältere Frau

»Frauen haben mittlerweile Angst, auszugehen. Wir Mütter warten abends auf dem Balkon und halten Ausschau nach unseren Töchtern. Wir haben Angst, dass ihnen etwas passiert ist. In Ägypten gibt es keine Sicherheit mehr.«

Zu wenig Polizisten auf den Straßen seit der Revolution, das staatliche Chaos, die Anarchie im Alltag, das Fehlen moralischer Vorbilder, und die große sexuelle Frustration vieler Männer… Für den Soziologen Ahmed Hamid sind dies einige der Faktoren, die zu immer häufigerer Gewalt gegen Frauen führen.

Doch er hat noch eine weitere, aufsehenerregende Erklärung: das reaktionäre Welt- und Frauenbild der Sieger der ägyptischen Revolution.

Ahmed Yehia Hamid, Soziologe Suez-Universität

»Das Gedankengut der Muslimbrüder ist der eigentliche Grund für die sexuellen Belästigungen. Sie sehen in der Frau ein Wesen, das nur zur Befriedigung der Lust existiert. Das Haar der Frauen, ihr Aussehen, ihre Stimme, ihre Kleidung ist „unrein“ ja, sogar ihre bloße Anwesenheit in der Gesellschaft von Männern. Sie haben die Frauen insgesamt für „unrein“ erklärt.«

Wie stehen die angesehenen Imame in den Moscheen zu diesem Phänomen, das Ägypten innerlich zerfrisst? In seiner Freitagspredigt spricht Scheich Shahin das Thema in der bekannten Omar-Makram-Moschee direkt an, es prasselt Vorwürfe, der Imam ist beinhart mit den Tätern.

Scheich Mazhar Shahin, Omar Makram Moschee

»Jugendliche, die so etwas tun, haben keine Ahnung vom wirklichen Islam. Ich habe gerade in meiner Predigt gesagt, dass der Islam jegliche Form von sexueller Belästigung an Frauen verbietet, und zwar eindeutig!«

Schön zu hören, doch viele Frauen haben ihr Vertrauen in die ägyptischen Männer verloren. Selbstverteidigungskurse boomen, Kick-Boxen, Karateschläge und Beinwürfe – besser als auf männliche Einsicht hoffen.

Auch Maria spielt mit dem Gedanken, sich in Nahkampf ausbilden zu lassen. Selbst hier, im vornehmen Viertel Maadi hatte eine Schar von Jugendlichen sie am helllichten Tag begrabscht! Doch das war nicht einmal das Schlimmste…

Mariya Veleva, Erzieherin

»Schlimmer als die Hände der Jungen an meinem Hintern war, dass vier erwachsene Männer einfach zugeschaut haben und mir nicht zur Hilfe geeilt sind. Sie haben nicht etwa die Jungen aufgehalten, sondern mich, als ich mich zur Wehr gesetzt habe.«

Frauen als Freiwild, sexuelle Belästigung im Alltag. In der ägyptischen Gesellschaft bis vor kurzem ein absolutes Tabu. Zum ersten Mal thematisiert wurden die Missstände im Spielfilm „6,7,8“. Gerade in Bussen und Metros finden die Übergriffe regelmäßig statt, die Frauen in Panik versetzen…

… und genau deshalb haben Frauenrechtlerinnen sich diese öffentliche Bühne für ihre künstlerischen Auftritte ausgesucht. Sie tragen Texte vor von Frauen, denen Männer Gewalt zugefügt haben, wie ihr eigenes Video zeigt. Oft passiert es, wie gerade hier dokumentiert, dass sie von traditionellen, oft verschleierten Frauen für ihre Offenheit beleidigt werden.

Mona El Shimi, Performance-Künstlerin

»Wir spielen das Schicksal von vielen Frauen nach, die Angst haben, darüber zu sprechen, wie sie sexuell attackiert wurden. Alle Frauen haben die gleiche Erfahrung gemacht: man macht ihnen Vorwürfe, wenn sie darüber sprechen. Aber sie sind doch eigentlich die Opfer.«

Frauen-Demo in Kairo, Ende Oktober. Ihre Befürchtung: dass die regierenden Islamisten die Hoffnung auf Demokratie und Rechtsstaat begraben, gerade nach den aktuellen Anordnungen von Muslimbruder Mursi. Die Frauen werden weiter machen, sie haben sich geschworen, nie mehr zu schweigen.

Autor: Thomas Aders

Stand: 25.06.2015 13:45 Uhr

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