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China: Umbau der Natur

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China: Umbau der Natur | Bild: WDR

"Hier war alles Wasser", erinnert sich Frau Qui Muge. Noch vor wenigen Jahren war dies einer der größten Seen nördlich von Peking. Einer von 250 Seen in China, die in den letzten 50 Jahren ausgetrocknet sind. Jetzt ist hier so weit das Auge reicht dürres, versalzenes, ausgetrocknetes Land. Nur ein paar Pfützen sind geblieben.

Qi Muge
"Das Wasser war mehrere Meter tief. Es gab Fische und Schiffe auf dem See. Es war so viel Wasser, dass es bei Wind richtig große Wellen gab. Aber seit fünf Jahren ist hier kein Wasser mehr."

Viele der Bauern und Viehzüchter ziehen weg. Denn Jahr um Jahr regnet es weniger. Doch der Klimawandel ist nur ein Grund für die Versandung. In die Städte ziehen immer mehr Menschen, die immer mehr Wasser brauchen. Der Grundwasserspiegel ist gefährlich gesunken. Der Norden Chinas trocknet aus.

Ma Jun,Wasserexperte
"Im Norden Chinas fallen nur 20% der Niederschläge. Aber hier leben 40% der Bevölkerung und hier sind 60% der landwirtschaftlichen Nutzflächen. Dazu kommen riesige Städte wie Peking oder Tianjin. Es gibt wenig Wasser, aber der Bedarf ist riesig."

Weltspiegel
Weltspiegel | Bild: WDR

Er soll das Problem lösen. Der Han Fluss. Ein mächtiger Strom, der Provinzen in Zentralchina mit Wasser versorgt, bis er dann weiter im Süden in den Jangtse fließt.
Den Han von Süden nach Norden umleiten, davon hat schon Mao geträumt.
Lange galt das als technisch nicht möglich. Jetzt hat sich die Regierung der Herkulesaufgabe angenommen. Dazu wurde der Danjiankou Staudamm auf 170 Meter erhöht. Dahinter stauen sich nun 33 Milliarden Kubikmeter Wasser. Ein Teil davon soll Richtung Peking abgezapft werden. Dann aber wird das kostbare Nass am Unterlauf des Han Flusses fehlen. In einer Region, in der die Wirtschaft immer schneller wächst und die selbst immer mehr Wasser braucht.

Ma Jun, Wasserexperte
„Wenn das Wasser für den Norden abgezapft wird, hat das negative Auswirkungen auf das Ökosystem im Unterlauf des Flusses und auf den Fluss selbst. Die Wasserqualität wird sich verschlechtern. Bislang kann sich der Fluss gut selbst reinigen, aber je weniger Wasser er führt, desto verschmutzter wird er werden.“

Und auch der Bau der Wasserstraße ist ein ungeheurer Eingriff in die Natur. Hunderte von neuen Brücken werden gebaut, Straßen umgelegt Übergänge und Unterführungen geschaffen. Querende Flüsse werden untertunnelt, neue Staudämme errichtet. Kosten: 46 Milliarden Euro. Wo Menschen im Weg sind, müssen sie weg. 300.000 Bauern mussten ihre Häuser und ihr Land aufgeben und wurden umgesiedelt. Das ist ihr neues Zuhause. Eine „Neubausiedlung“, gerade einmal ein Jahr alt, aber schon heruntergekommen. Die Bauqualität ist lausig. Kaum sind wir in der Siedlung angekommen, scharen sich Menschen um uns. Sie sind aufgebracht, denn keiner sonst nimmt sich ihrer Beschwerden an.
„Die Regierung hat uns ordentliche Häuser versprochen, aber überall sind schon jetzt Risse im Mauerwerk,“ schimpfen die Bewohner. Jede Familie hat eines der einfachen Reihenhäuser als Entschädigung erhalten. Statt Wohnkomfort: Garagenflair.

Die früheren Dorfbewohner fühlen sich entwurzelt. Sie sind Bauern, aber jetzt ohne Land. In den kleinen Hinterhöfen bauen sie Gemüse an und stapeln Brennholz. Auf der Straße davor lagern nutzlos die Backsteine ihrer abgerissenen Häuser. Und nutzlos fühlen sich auch die Menschen. Arbeit gibt es hier keine. Die Jungen müssen als Wanderarbeiter in die Städte. Die Alten haben nicht zu tun.

Bauer
„Wir kleinen Bauern haben unsere Lebensgrundlage für das große nationale Wasserprojekt geopfert. Aber die Lokalregierung hat uns in diese erbärmliche Situation gebracht. Jetzt hoffen wir auf die Zentralregierung, damit die Versprechungen wahr werden.“

Seit mehr als einem Jahr warten sie auf die versprochene Entschädigung für ihr enteignetes Land. Das Geld ist in die Taschen korrupter Kader geflossen, vermuten die Umgesiedelten. Und uns hat man hier vergessen. In China wird über die Verlierer des Jahrhundert-Bauwerks nicht berichtet. Vielmehr propagiert die Regierung die herausragenden Ingenieurleistungen der Megabaustellen. Durch diese drei Riesen-Röhren soll das Wasser Richtung Peking fließen. Die Auswirkungen auf die Ökosysteme kennt keiner so genau. Und dauerhaft kann auch der Kanal die Wasserarmut im Norden Chinas nicht lösen.

Ma Jun,Wasserexperte
„Dieses Projekt kann nur eine Notlösung sein, kein großer Wurf. Viele werden sagen: schau mal die Chinesen, da haben sie wieder ein Wunder vollbracht! Ein neuer Weltrekord, ein gigantisches Wasserumleitungsprojekt. Ich sehe das anders. Ich frage mich, wie konnte es geschehen, dass wir uns mit unserem Wasserverbrauch so in die Ecke manövriert haben?“

Zurück im wasserarmen Norden von Peking. Zurück zu Frau Qi Mege. Sie muss jeden Tag einen Kilometer zum Dorfbrunnen laufen. Nur hier sprudelt noch Trinkwasser. Auch wenn der große Süd-Nord-Wasserkanal 2014 fertig ist: bis in Frau Qi’s Dorf wird kein Tropfen kommen. Der Kanal endet in Peking und nördlich davon breitet sich die Wüste weiter aus.

Autorin: Christine Adelhardt

Stand: 22.04.2014 14:53 Uhr

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