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Taiwan: Küchenmesser aus Granaten

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Taiwan: Küchenmesser aus Granaten | Bild: WDR
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1000 Grad und mehr: Hier glühen die Überreste eines eiskalten Krieges. Wu Tseng-dong, der Messerschmied aus Kinmen, steht seit über
30 Jahren am Glutofen. Er schmiedet feinste Messer für die Küche. Zum Schnibbeln, Schneiden, Hacken. Messer, die früher einmal als Geschosse auf seiner Heimat-Insel landeten.
Wu Tseng-dong, Messerschmied:
„Der Krieg hat mich mein ganzes Leben begleitet. Er hat begonnen, da war ich 7 Monate alt. Er war zu Ende, da wurde ich 20. Wir sind aufgewachsen mit dem Krieg. Damals hätte ich mir niemals vorstellen können, dass wir einmal Messer aus Granaten herstellen würden. Und das wir die ausgerechnet nach China verkaufen.Es fühlt sich an wie im Traum.“

20 Minuten braucht Meister Wu für ein edles Messer aus rostigem Stahl. Dem Rohstoff, der vom Himmel fiel. Überall in der Werkstatt türmen sich die tonnenschweren Granaten und drängeln sich neugierige Besucher! Es sind Touristen vom chinesischen Festland, Nachfahren derer, die einst die Insel bombardierten. Für sie sind die feinen Messer von Meister Wu ein begehrtes Souvenir. 5000 Stück bringt der Schmied monatlich unter die Leute.
Wu Tseng-dong, Messerschmied:
„Die Chinesen machen manchmal Witze. Die fragen dann nach Rabatt. Weil, sie hätten ja schließlich den Stahl geliefert. Ich sage dann immer: sie zahlen nur für die Arbeit. Das Material kommt frei Haus.“

Kinmen ist ein Kuriosum des chinesischen Buergerkriegs – zur Festung ausgebaut in den 50er Jahren unter Chiang Kai Check. Seine Truppen hatten sich vor Chinas Kommunisten nach Taiwan geflüchtet. Kinmen wurde ihr Vorposten. Die Insel lag strategisch nah am chinesischen Festland. Die folgenden 20 Jahre war Kinmen Schlachtfeld. Eine Million Granaten regneten auf die Insel nieder. Erst mit Sprengstoff gefüllt, später mit Propaganda-Flugblättern. Es war ein Krieg voll Skurrilitäten: An ungeraden Wochentagen rauschten die Granaten vom Festland auf die Insel. An geraden Tagen schossen die Taiwaner zurück. Sonntags machten beide Seiten Pause.

Noch immer vom Militär bewacht, der vielleicht größte Lautsprecher der Welt. Hier treffen wir auch Meister Wu wieder, den Messerschmied. 48 Lautsprecher – unüberhörbar warben sie für die Vorzüge Taiwans. Man schwärmte vom tollen Essen auf Kinmen und forderte die Menschen vom kommunistischen Festland auf, überzulaufen. Und die konnten die Durchsagen am anderen Ufer wirklich hören? Ja, wir kommen bis zu 23 Kilometer weit.
Wu Tseng-dong, Messerschmied:
„Das haben nicht nur wir Taiwaner gemacht. Die Chinesen auf der anderen Seite hatten ja auch Lautsprecher. Die haben berühmte Schlager gespielt und dann diese Geschichten erzählt: Wie gut das Leben drüben ist und wie glücklich die Menschen sind. Die wollten, das wir rüberkommen.“
Grüne und rote Bojen markieren die unsichtbare Grenze. 2,3 Kilometer trennen Kinmen von der chinesischen Provinz Fujian. Bei Ebbe sind es nochmal 500 Meter weniger, erzählt der Soldat. Die Natur hilft nach bei der Annäherung der beiden Chinas. Seit Taiwan eine China-freundliche Regierung hat, sind die Beziehungen so gut wie nie.

Wu Tseng-dong, Messerschmied:
„Ich glaube, Taiwaner und Festlands-Chinesen - wir kommen uns näher und näher. Und wir versuchen uns immer besser zu verstehen. Aber wir sind auch sehr verschieden. Man merkt so häufig wie anders die Menschen sind. Schon alleine am Fahrstil auf der Straße. Die halten sich ja so selten an Verkehrsregeln.“

Zwar sieht China in Taiwan noch immer eine abtrünnige Provinz. Eine gewaltsame Eroberung aber kann sich im Moment kaum jemand vorstellen. Die meisten Schutzbauten auf Kinmen haben ausgedient. Dieser hier ist Werbeträger für Schnapsflaschen. Die einst so bedrohlich gen Festland gerichteten Kanonen – sie sind zur Kulisse geworden. Ein Schauspiel – aufgeführt von Studenten für Touristen. 390.000 Chinesen vom Festland kommen inzwischen jedes Jahr ins ehemalige Feindesland. Sie fühlen sich angezogen vom etwas modrigen Charme der Festungs-Insel und der gemeinsamen Geschichte.
Student:
„Diese Kanone ist ein ziemlich schweres Kaliber. Die Leute drüben dachten, sie würde Atombomben verschießen. Jetzt können sie sich die Kanone ja von nahem angucken als Tourist. Die sind dann immer erstaunt, wie klein die ist, und trotzdem wie gewaltig. Ich glaube, dass die Chinesen von drüben die Kanone zwar hassen, aber irgendwie auch bewundern.“
Heute knallen nur noch Platzpatronen. Es freut alle auf Kinmen – selbst Wu Tseng-dong, für den die echten Geschosse doch ein Geschenk des Himmels sind. Der Messerschmied hat wieder einen Anruf bekommen. Bauarbeiter haben tief in der Erde drei Artillerie-Geschosse gefunden.
Wu Tseng-dong, Messerschmied:
Ich bin schon als Kind so umhergezogen. Man konnte den Stahl ja gut zu Geld machen. Wenn wir bombardiert wurden, meistens in der Nacht, sind alle am nächsten Morgen an den Strand und haben die Geschosse gesucht. Wir sind in die Krater gestiegen und haben versucht, die Dinger auszugraben. Häufig haben wir
sie nicht gefunden. Die Granaten hatten sich zu tief in die Erde gebohrt.

Heutzutage ist das anders. Meister Wu sichert sich die rostigen Granaten. Es wird neuerdings viel gebaut auf Kinmen, investiert mit Geld vom Festland. So befördern die Bagger immer neue Granaten ans Tageslicht. 60 Millionen Messer, so hat Wu Tseng-dong ausgerechnet, kann er noch schmieden, aus dem alten Erbe, das in der Erde liegt. Neue Granaten braucht China also nicht mehr zu schicken nach Kinmen.
Touristen jedoch sehr gerne. Kunden für Meister Wu, die all die Überreste des Krieges wieder mitnehmen nach Hause - als fein polierte Küchen-Messer-Kollektion.
Philipp Abresch, ARD Tokio

Stand: 22.04.2014 14:54 Uhr

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