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Tunesien: Terror im Urlaubsland

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Tunesien: Terror im Urlaubsland | Bild: ARD

Auch am Wochenende stehen sie noch am Tatort, tunesische Bürger, die nach Antworten suchen und doch ratlos bleiben.

Das Nationalmuseum Bardo – wie konnte der Terror hier so ungehindert wüten, fragen sich viele. Klar ist: die tunesischen Attentäter waren bestens vorbereitet, in Libyen sind sie in einem Terrorcamp ausgebildet worden.

Die Spuren verlaufen ins Nachbarland, das stellt auch Tunesiens Innenminister beim Besuch im Museum fest. Und er gibt sich selbstsicher.

Mohamed Najem Gharsalli, Innenminister Tunesien:

»Wir werden es nicht zulassen, dass sie Tunesien von Libyen aus angreifen. Seien Sie versichert, Tunesien hat die militärische Kompetenz, die Grenze zu sichern.«

Wir haben da so unsere Zweifel, denn wir waren erst vor zwei Wochen im Grenzgebiet, rund um den Ort Ben Guerdane auf tunesischer Seite.

Der Grenzposten - jenseits des Schlagbaums liegt Libyen, ein Land, das im Chaos versinkt. Manchmal wird der Übergang vorübergehend geschlossen, wenn die Lage auf der anderen Seite zu kritisch erscheint.

Die tunesische Armee demonstriert vor der Kamera Stärke an der tunesisch-libyschen Grenze.
Die tunesische Armee demonstriert vor der Kamera Stärke an der tunesisch-libyschen Grenze.

Wir haben alles im Griff, haben uns die Militärs von Ben Guerdane versichert, und eine martialische Patrouille für unsere Kamera organisiert.

Die Truppen hier müssen die offene Grenze in der Wüste kontrollieren.

Auf der anderen Seite in Libyen sollen die Terroristen vom Islamischen Staat mehrere Ausbildungscamps eigens für Tunesier unterhalten, eines sogar in Grenznähe, nur 50 Kilometer entfernt.

Mourad El Mahjoubi, Tun. Armee:

»Natürlich besorgt uns die Präsenz der Terroristen, aber wir sind darauf sehr gut vorbereitet, um ihr Eindringen auf unser Gebiet unter allen Umständen zu verhindern.«

Im Grenzort Ben Guerdane wird uns schnell klar, wovon viele Menschen hier leben – es wird geschmuggelt, was das Zeug hält.

Mit versteckter Kamera drehen wir in den Straßen, wie dort ganz offen mit Benzin aus Libyen gehandelt wird, oder auch massenhaft mit Elektrogeräten wie etwa Fernsehern.

Der Umsatz aus der Schmuggelware soll in Tunesien jährlich mehrere Milliarden Euro betragen – und: auch Terrorgruppen finanzieren sich wohl damit in großem Stil, gerade über den illegalen Verkauf von Zigaretten.

Viele Tunesier sehen in den Terroranschlägen einen Angriff auf die junge Demokratie.
Viele Tunesier sehen in den Terroranschlägen einen Angriff auf die junge Demokratie.

Wir sind mit einem tunesischen Schmuggler aus Ben Guerdane unterwegs, der nicht erkannt werden möchte. Seine bevorzugten Waren sind Benzin und Lebensmittel. Er will uns zeigen, wie einfach es ist, auf die andere Seite zu kommen.

»Ich treffe mich mit den Libyern auf halber Strecke, irgendwo dort hinten. Aber wir müssen aufpassen, weil es dort drüben Milizen gibt.«

Wir sind jetzt in der Gegend, wo wir noch am Vortag mit der Militärpatrouille unterwegs waren. Die Schmuggler haben ihre Schleichwege und kennen die Routen der Militärs. Mit den Terrorgruppen auf der anderen Seite wollen sie nichts zu tun haben, ihr Geschäft ist aus der Not geboren.

»Sehen Sie, wir haben keine Arbeit, mit dem Verkauf von Benzin und anderen kleinen Sachen können wir für unsere Familien zumindest etwas Geld verdienen. Sonst gibt es hier doch nichts.«

Hier in der Wüste, erzählen sie uns dann noch, sei gerade, im Boden vergraben, ein großes Waffendepot gefunden worden.

Zum Arsenal gehörten 30 Flugabwehr-Raketen, Handgranaten und eine große Anzahl von Kalaschnikows. Immer mehr Waffen gelangen nach Tunesien – die Wüste bei Ben Guerdane ist zu durchlässig.

Mourad El Mahjoubi, Tun. Armee:

»Die Tatsache, dass wir diese Waffendepots entdeckt haben, ist doch ein schwerer Schlag für die Terroristen, widerspricht der Oberst der Armee. Das ist unserer Aufmerksamkeit zu verdanken.«

Mit den Waffen kommen auch die Militanten nach Tunesien. Irgendwo in der Grenzregion treffen wir einen jungen Mann, der für den Islamischen Staat im Irak gekämpft hat. Er möchte unerkannt bleiben. Angewidert von der Brutalität des IS hat er sich abgesetzt. Er warnt: die Gewaltbereitschaft der Terroristen nehme weiter zu. Gerade viele junge tunesische Männer fühlten sich von der Terrorgruppe angezogen – und die werden für ihre Heimat zur Gefahr.

»Als ich mit dem IS unterwegs war, habe ich an einem Ort 17 Tunesier gesehen, die ich aus meinem Stadtteil hier in Tunesien kenne. Manche waren richtige Freunde von mir. Das ist schon eine sehr große Zahl.«

Schmuggel, Waffen, Jihadisten – die Spur verläuft von Libyen direkt zum Museum Bardo in Tunis.

Trauer in Tunis vor dem Museum Bardo, wo Touristen getötet wurden.
Trauer in Tunis vor dem Museum Bardo, wo Touristen getötet wurden.

Die Terroristen wollten das moderne Tunesien treffen. Das soll ihnen nicht gelingen. Schon morgen wird das Museum wieder seine Tore öffnen, auch wenn noch nicht alle Spuren des Anschlags beseitigt sind.

Moncef Ben Moussa, Direktor « Museum Bardo » :

»Wir sind mitten ins Herz getroffen worden, aber wir leben noch, wir machen weiter.«

Und so setzen sie die Kunst gegen den Terror - das weltoffene Tunesien will nicht aufgeben.

ARD Studio Madrid/Autor: Stefan Schaaf

Stand: 23.03.2015 11:34 Uhr

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