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Ukraine: Todesflug MH 17 —Die Wut der Hinterbliebenen

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Ukraine: Todesflug MH 17 Die Wut der Hinterbliebenen | Bild: WDR

Laurens. 30 Jahre alt. Der jüngste Sohn von Wim van der Graaff. Gestorben am 17. Juli 2014. Da stürzt Flug MH17 in der Ostukraine ab – mit Laurens an Bord.

Wim van der Graaff, Vater von Laurens van der Graaff (ϯ):

»Wir haben erst gedacht: Er ist doch Sportler. Er hat doch eine sehr gute Kondition. Vielleicht hat er überlebt. Mit diesem Gedanken lebt man dann einige Tage, bis immer wieder Berichte kommen, dass wirklich niemand den Absturz überlebt hat.«

Laurens saß neben seiner Freundin Karleijn. Für die beiden war es der erste gemeinsame Flug in den Urlaub.

Wim van der Graaff, Vater von Laurens van der Graaff (ϯ):

»Das letzte, was die beiden uns vom Flughafen Amsterdam geschickt haben, war ein Foto von ihnen mit der Nachricht: Zusammen fliegen ist viel schöner als alleine. Sie sind vier Stunden zusammen geflogen. Das war’s.«

Wer Schuld hat an der Katastrophe, das weiß Wim van der Graaff bis heute nicht. Das Schicksal seines Sohnes – es ist Teil eines internationalen Kriminalfalls. Undurchsichtig bis heute. Klar ist nur: MH17 wurde abgeschossen. Aber von wem?

Ein halbes Jahr haben wir recherchiert, die gegenseitigen Schuldzuweisungen der Kriegsparteien überprüft. Viele Indizien deuten darauf hin: Eine Buk-Rakete hat MH17 getroffen, nach unseren Recherchen offenbar abgefeuert, neben diesem Checkpoint tief im Separatistengebiet.

Zum Beispiel wollen Anwohner am Tag des Absturzes hier einen ohrenbetäubenden Lärm gehört haben, wie er typisch ist für eine Buk-Rakete. Aus Angst wollen sie nicht erkannt werden.

O-Ton Anwohner:

»Es gab einen Knall, man hat wohl aus der Richtung von Stepánovka geschossen. Dann ein Zischen. Und am Ende eine Explosion.«

Panzerspuren im Asphalt. Fotos und Videos. Auch diese Hinweise deuten darauf hin: Die Rakete war hier im Separatistengebiet.

Doch eine andere Frage ist für die Angehörigen noch wichtiger. Die Ostukraine ist zu dem Zeitpunkt Kriegsgebiet - warum durfte MH17 überhaupt hier fliegen?

Wim van der Graaff, Vater von Laurens van der Graaff (ϯ):

»Wenn das Flugzeug da nicht geflogen wäre, dann wäre die Rakete auch nicht abgeschossen worden. Das Flugzeug ist aber dort geflogen. Es gibt daher zwei Parteien, die aus meiner Sicht unverantwortlich und unmoralisch gehandelt haben.«

Neben den Raketenschützen sind das für Wim van der Graaff alle, die zugelassen haben, dass das Flugzeug dort überhaupt geflogen ist.

Die ukrainische Flugsicherung etwa. Sie ist für den Luftraum verantwortlich. Erst kurz vor dem Abschuss von MH17 waren über der Ostukraine Militärmaschinen abgeschossen worden. Es war also klar, dass Fliegen mindestens in bestimmten Höhen gefährlich ist. Die Flugsicherung ließ den Luftraum trotzdem weiter für Passagiermaschinen geöffnet. Die Ukraine weist alle Vorwürfe von sich.

Pawlo Klimkin (O-Ton), Außenminister Ukraine:

»Man war total sicher in der Zeit, dass die Maschinen auf dieser Höhe überhaupt nicht erreicht werden können, auch theoretisch nicht!«

Ein fataler Fehler, kritisiert der Anwalt deutscher Angehöriger. Er hat die Ukraine deswegen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte auf Schadenersatz verklagt.

Elmar Giemulla (O-Ton), Anwalt der Hinterbliebenen:

»Die ukrainische Regierung hat den Luftraum nicht gesperrt in dem Bereich, um den es hier geht, nämlich die Reiseflughöhe. Die ukrainische Regierung wusste, dass hier eine konkrete Gefährdungslage bestand wegen der Abschüsse, die vorher gelaufen waren. Das heißt, hier muss man der ukrainischen Regierung wirklich vorwerfen, ihr habt sehenden Auges zugelassen, dass in eurem Staatsgebiet Menschenrechte vernichtet worden sind.«

Es droht sogar ein Interessenskonflikt: Dieselbe Behörde, die Lufträume sperrt, kassiert für die Überflüge Gebühren von den Fluggesellschaften. Bei Flugverboten fließt also kein Geld.

Dass hier grundsätzlich ein Problem liegt, weiß auch die Luftfahrtbranche. Sie war sich schnell einig: Sowas wie MH17 soll nie wieder passieren.

Auf einer Konferenz im Februar in Montréal redet die Branche darüber, was sie verbessern kann. Doch die Konferenz bringt keine großen Veränderungen. Jeder Staat entscheidet weiterhin selber, ob sein Luftraum sicher ist oder nicht.

Elmar Giemulla, (O-Ton), Anwalt der Hinterbliebenen:

»Es ist einfach nicht hinnehmbar auch für die Weltgemeinschaft, unabhängig von den konkreten Hinterbliebenen, dass in Krisengebieten Passagiere, Luftfahrtgesellschaften, die sich arglos in diese Gebiete hineinbewegen, sich sicher fühlen, dass die dann Opfer dieser Katastrophen werden.«

Es scheint, als hätte die internationale Luftfahrt aus der Katastrophe über der Ostukraine wenig gelernt. Auch die Aufklärung von MH17 zieht sich hin. Ein internationales Expertenteam hat Wrackteile in den Niederlanden untersucht. Offizielle Ergebnisse haben die Ermittler noch nicht vorgelegt.

Wim van der Graaff, Vater von Laurens van der Graaff (ϯ):

»Sie haben angeblich noch keinen überzeugenden Beweis. Also müssen sie weiter suchen, bis alles ans Tageslicht kommt. Das ist für uns Hinterbliebene kaum auszuhalten! Und das macht mich wütend!«

Ruhe finden, den Verlust verarbeiten. Die vielen offenen Fragen machen das für Angehörige wie Wim van der Graaff noch schwerer.

Autoren: Demian von Osten, Jochen Taßler, Ralph Hötte

Stand: 26.04.2015 20:35 Uhr

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