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USA: Durch Schmerzmittel zum Heroin-Junkie

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USA: Durch Schmerzmittel zum Heroin-Junkie | Bild: Das Erste

Wie fast jeden Abend sind sie unterwegs. Straßen-Sperre der Polizei im US-Bundesstaat Kentucky, an einer Brücke, die Drogen-Kuriere oft nutzen. Gleich beim zweiten Wagen: jede Menge Pillen-Dosen. Während Deputy Dave das Fahrzeug weiter untersucht, hält sein Kollege Jason schon das nächste verdächtige an.

Jason:

»„Was ist hier los?“«

»„Ich ruf mal den Sheriff an, sprich du mit ihr hier.“«

»„Zeig mal Deine Arme. Hey, das ist doch eine frische Einstichwunde hier.“«

Und aus ihrer Handtasche rollen nicht nur leere Schmerzmittel-Dosen. Sondern auch zwei eindeutige Hinweise auf Heroin-Konsum. Und wieder hören die beiden Polizisten eine allzu bekannte Geschichte. Die junge Frau, nennen wir sie Chris, begann ihre Drogen-Karriere durch Schmerzmittel nach einer Kaiserschnitt-Geburt.

Heroin-Konsum
Heroin-Konsum

Chris:

»„Meine Einstiegs-Droge waren Tabletten mit Oxycodon drin. Ich hätte mir nie vorstellen können, deswegen eines Tages auf Heroin zu sein, wegen Schmerzmitteln einmal in so ´ner Situation hier zu stecken.“«

»„Jedem Mädchen, das ich kenne, geht´s wie mir. Eine meiner besten Freundinnen hatte sogar einen Magister-Abschluss und eine Stelle als College-Professorin. Jetzt ist sie tot, Überdosis.“«

Weil die Polizisten keinen Stoff finden, lassen sie sie laufen.Chris hat drei Kinder, sie wachsen bei den Großeltern auf.

Auch sie kümmert sich um ihre Enkelin. Wie jeden Morgen bringt Janet Brown die zehnjährige Olivia zur Schule. Olivias Mutter kann das nicht mehr – sie ist tot. Gestorben an einer Überdosis Schmerzmittel. Seitdem wächst Olivia bei der Oma auf.

Janet Brown:

»„Viele Großeltern hier in der Gegend ziehen ihre Enkel groß. Weil die Eltern an Drogen gestorben sind, im Knast sitzen oder in der Entzugs-Klinik. Ich würde sagen, etwa 75% der Kinder hier leben bei den Großeltern. So schlimm ist das hier.“«

Weil auch Olivias Vater drogenabhängig ist, erhielt Janet das Sorgerecht. Die Großmutter weiß nicht, wann es anfing, aber irgendwann kursierten im Freundeskreis ihrer Tochter Becky Schmerzmittel als Party-Pillen. In Kentucky sind diese Opioide die Haupt-Ursache für Drogen-Tote.

Becky war eine der besten Schülerinnen ihrer Klasse. Das letzte gemeinsame Photo, das Janet von Tochter und Enkelin hat, stammt von Olivias drittem Geburtstag.

Janet Brown:

»„Ich verheimliche meiner Enkelin nicht, was mit ihrer Mutter passiert ist. Damit sie sich der Gefahr bewusst ist, wenn ihre Freunde eines Tages sagen, ‚Hey, nimm mal diese Pillen, die machen alles besser.’“«

Der Sheriff von Greenup County ist sich der Gefahr mehr als bewusst. Keith Cooper ist seit 40 Jahren Polizist. Der Kampf gegen Drogen ist zu seinem Lebenswerk geworden. Und nichts vergleicht er mit diesem Problem, das mit der wachsenden Abhängigkeit von – eigentlich rezeptpflichtigen – Schmerzmitteln begann.

Sheriff Keith Cooper:

»„Diese hier haben wir bei einem Drogen-Opfer sichergestellt. Der gängigste Wirkstoff heißt Oxycodone, kurz: Oxy genannt. Die meisten hier sind Oxys. Ich schätze mal, da sind mehr als 4500 Pillen im Beutel. Zur Schmerz-Behandlung von chronisch leidenden Patienten sehr effektiv,  aber das gefährliche daran, du nimmst nur ein paar und wirst abhängig, bevor du´s überhaupt merkst.“«

Zwar verschreiben Ärzte die Mittel nicht mehr so großzügig. Aber, es gibt einen Schwarzmarkt. Und: eine Alternative, die im Gehirn die gleiche Wirkung hat.

Pillenfund bei nächtlicher Razzia
Pillenfund bei nächtlicher Razzia

Sheriff Keith Cooper:

»„Heroin ist zudem viel billiger und leichter zu besorgen.“«

»„Wieviel billiger?“«

»„Etwa ein Drittel billiger. Und hinter jeder Tür hier in Greenup lebt eine Familie, die auf die eine oder andere Art von dem Problem berührt ist. Ohne Zweifel, so schlimm ist es. “«

Doch die Polizei steckt in einer Zwickmühle. Je erfolgreicher Sheriff Cooper und seine Männer gegen illegalen Schmerzmittel-Handel vorgehen, je mehr Dealer sie ins örtliche Gefängnis sperren, je schwerer es also wird, die Pillen auf der Straße zu bekommen – desto rasanter wächst die Zahl der Heroin-Abhängigen.

Nicht nur in Kentucky. In den ganzen USA hat sie sich in wenigen Jahren fast verdoppelt.

Ein Teufelskreis, aus dem es aber doch Auswege gibt. Der Staat Kentucky hat eine ganze Reihe von Entzugs-Einrichtungen gegründet. Viele hier sind Häftlinge auf Bewährung. Andere haben sich freiwillig selbst eingewiesen. So wie Shae Haughaboo.

Er ist seit sieben Monaten clean, mittlerweile leitet er sogar Kurse des Programms. Shae war 20, als er an Hodenkrebs erkrankte. Die Ärzte gaben ihm während der schmerzhaften Behandlung Oxycodon. Den Krebs konnte er besiegen, die Sucht nicht.

Shae Haughaboo:

»„Wie die meisten Ärzte setzten auch meine das Mittel irgendwann ab, sie wollten mich entwöhnen. Aber ich brauchte die Pillen immer noch, körperlich und mental. Hatte Entzugs-Erscheinungen.“«

Weil er kein Rezept mehr bekam, begann Shae, sich Oxy illegal auf der Straße zu besorgen. Fünf Jahre lang, dann wechselte er zu Heroin.

Shae Haughaboo:

»„Das Heroin gab mir das Gleiche wie die Schmerzmittel-Opioide -  für weniger Geld und weniger Aufwand.«

»Ich kam dann an einen Punkt, an dem ich eine Knarre in der einen Hand hatte und ein Handy in der anderen. Und dachte: entweder ich erschieß´ mich jetzt oder ich rufe Hilfe. Zum Glück war ich dann zu feige, mein Leben zu beenden.“«

Und so fahren sie weiterhin raus, Tag für Tag, Nacht für Nacht. Aufzugeben komme nicht in Frage, sagen sie, es stehe zu viel auf dem Spiel.

Ingo Zamperoni, ARD Studio Washington

Stand: 15.04.2014 10:56 Uhr

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