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Italien: Das Referendum am 4. Dezember – Aus für Renzi?

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Italien: Das Referendum am 4. Dezember - Aus für Renzi? | Bild: BR

Er kämpft: Ministerpräsident Matteo Renzi gestern Abend bei einer Veranstaltung in Rom. Er wirbt für ein "Ja" für seine geplante Verfassungsreform. Er kämpft für sein politisches Überleben: "Wir müssen jetzt mit Ja stimmen. Es wird keine zweite Chance für Italien geben. Ja oder sonst ist es für immer vorbei."

Kein Ping Pong mehr!

Ministerpräsident Matteo Renzi
Ministerpräsident Matteo Renzi | Bild: BR

In Italien gibt es zwei Kammern, die vom Volk gewählt werden und absolut gleichberechtigt sind: Das Parlament und der Senat, der die Regionen repräsentiert. Renzi will die Macht des Senats begrenzen, und dieser soll auch nicht mehr vom Volk gewählt werden. So gäbe es denn kein ewiges Ping Pong mehr bei der Verabschiedung neuer Gesetze. Italien könnte schneller und effizienter regiert werden, so Renzis Credo, wie der Spot seines Partito Democratico zeigen will.

Doch die Stimmung in Italien scheint sich gegen Renzi, gegen das Referendum zu wenden. "No" – "Nein", die Umfragen sehen die Gegner Renzis im Augenblick vorn.

Eine solidarische Verfassung

Stefania Tuzzi
Stefania Tuzzi | Bild: BR

Wir sind daheim bei Stefania Tuzzi. Zusammen mit einigen Freunden, hat die Architekturprofessorin ein Komitee gegründet: "Io voto No", "Ich stimme für Nein". Stefania und ihre Freunde versuchen auf verschiedenen Veranstaltungen der Bevölkerung zu erklären, warum die Verfassungsreform eine Katastrophe wäre: "Im Haus meiner Großmutter wurde ein Teil der Verfassung geschrieben. Die Autoren der Verfassung stammten aus allen politischen Lagern, sie wollten nach dem Faschismus einen Staat, in dem Solidarität und Menschenwürde gelten. Die Verfassungsreform basiert dagegen auf Leistungsprinzip und Wettbewerb: Jeder gegen jeden. Renzi sagt: 'Machen wir eine praktischere Verfassung, die es mir erlaubt schneller zu regieren, auch wenn ich die Einheit des Staates damit gefährde.'“

Ein geschwächter Senat, der nicht mehr vom Volk gewählt werden könnte, wäre keine Kontrollinstanz. So könnte eine populistische Regierung tun, was sie will. Das zumindest befürchten Stefania und ihre Freunde, die auch mittels Onlinevideos die Menschen dazu bewegen möchten, am 4. Dezember für Nein zu stimmen.

Ordnung der Beziehung zwischen Staat und Regionen

Tobia Zevi
Tobia Zevi | Bild: BR

Tobia Zevi will die Wähler zu Fuß erreichen. Der 33-jährige Politiker marschiert schon mehrere Wochen durch das gesamte Land. Er gehört zum Partito Democratico von Ministerpräsident Renzi. Er will die Italiener überzeugen, am nächsten Sonntag mit "Sì", mit Ja zu stimmen. Er sieht keine Gefahr, wenn der Senat nicht mehr vom Volk gewählt wird und auch keinen direkten Einfluss auf die Gesetzgebung mehr hat: "Mit dieser Reform wird eine Kammer die Gesetze machen: das Parlament, wie in Deutschland. Damit wird das Verhältnis zwischen Staat und Regionen geordnet. Das hat in den letzten 15 Jahren nicht gut funktioniert. Alles dauerte zu lange, es gab viele juristische Auseinandersetzungen."

Tobias nächste Station: Città della Pieve, ein kleiner Ort in Umbrien. Zunächst sprechen ein paar Lokalpolitiker zu einem Publikum, das überwiegend aus älteren Menschen besteht. Dann ist Tobia dran und versucht mit Charme und Witz die Wähler auf seine Seite zu ziehen: "Manche Medien haben mich den 'Forrest Gump' des Jas genannt. Das fand ich lustig, denn genau so ist es: Man geht allein auf der Straße los und schafft Gemeinschaft, lernt Leute kennen. Manchmal wird man allerdings auch beschimpft."

Krise der jungen Generation

Eine Demonstrantin
Eine Demonstrantin | Bild: BR

Beschimpft wird die Regierung Renzi vor allem von der Jugend. Die Jugendarbeitslosigkeit im Land liegt bei 37 Prozent. Allein 2015 verließen rund 40.000 junge Italiener ihre Heimat, um im Ausland einen Job zu finden. Viele versprechen sich nichts von einer Verfassungsreform: "Die Probleme, die wir haben, haben nichts mit einer Verfassungsreform zu tun, sondern mit einer Politik, die sich nicht um uns kümmert." "Es braucht keine Verfassungsänderung, um unsere Zukunft zu garantieren, die so oder so in Gefahr ist."

Hier setzt Stefania Tuzzi an: Sie, die Universitätsprofessorin, geht in Schulen, um die Erstwähler zu überzeugen, dass ein Ja für die Verfassungsreform ihre Zukunft vollends zerstören könnte. Sie sieht Chancengleichheit und Gerechtigkeit in Gefahr: "Es ist jetzt schon so, dass die Jugendarbeitslosigkeit im Süden höher ist als im Norden. Nach der Verfassungsreform dürfen die reicheren Regionen ohne Budgetprobleme mehr Geld für sich ausgeben. Damit würde der Senat die Regionen nicht mehr gleichbedeutend repräsentieren."

Genau dem widersprechen die Befürworter. Die Reform garantiere eine gerechtere Umverteilung, so Tobia Zevi: "Mit dieser Reform wird festgelegt, wofür der Staat verantwortlich ist, etwa für Energiestrukturen, Arbeitspolitik, Gesundheitswesen, und was die Aufgaben der Region sind, in denen sie autonom entscheiden können."

Folgen eines "Neins"

Worüber sich die Gegner des Referendums keine Gedanken zu machen scheinen: Die Auswirkungen eines Neins auf den angeschlagenen Wirtschaftsstandort Italien. Die EU und viele Anleger machen sich Sorgen über den Ausgang des Referendums. Die Kurse der italienischen Banken sind in der vergangenen Woche weiter gefallen. Tobia Zevi: "Wenn wir heute diese Möglichkeit zum Verändern aufgreifen und zeigen, dass Italien sich ändern kann, dann leisten wir einen wertvollen Beitrag für unser Land. Natürlich hoffe ich, dass bei einem Nein, die Wirtschafts- oder Eurokrise nicht verstärkt werden. Aber wir würden ein negatives Signal aussenden, auch außerhalb Italiens."

Und so zittert ganz Europa, ob nächsten Sonntag Ministerpräsident Renzi mit einem Sì noch einmal davonkommt und die EU somit nicht ins Wanken gerät.

Autor: Richard C. Schneider, ARD Rom

Stand: 13.07.2019 08:41 Uhr

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