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Österreich: Rechtsruck in der Alpenrepublik

PlayChristian Kern, Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache
Österreich: Rechtsruck in der Alpenrepublik? | Bild: picture alliance/APA/picturedesk.com / Georg Hochmuth
Eva Dolezal
Eva Dolezal | Bild: BR

Sie schießt scharf, um zu üben: Eva Dolezal. Die FPÖ-Unterstützerin hat einen Waffenschein. In ihrer kleinen Trafik in ihrer Heimatstadt Wien hat sie Angst. Panische Angst, wie sie sagt, machen ihr aggressive Kunden. Deshalb trägt sie hier ganz offen eine geladene Pistole: "Ich will nicht abwarten, bis ich abgestochen werde oder erschossen werde. Ich werde mich zur Wehr setzen."

Kunde Alfred Bausbek hält die Gefahr für real: "Zwei Drittel der Kundschaft hier sind Ausländer. Sie finden keine Österreicher mehr." Eva Dolezal sieht in der EU einen Gegner: "Ich bin überhaupt für Grenzen dicht machen, zu Deutschland, zu allen Ländern. Und überhaupt der Auflassung der EU. Die EU war für mich oder für uns alle eigentlich nur negativ. Es reden auf einmal Leute bei uns mit, die haben mit unserem Land, mit unserer Kultur und Wirtschaft nichts am Hut. Die wissen nichts. Ob das Merkel oder sonst wer ist. Sie haben kein Recht in unserem Land zu bestimmen."

Wahlkampf gegen Flüchtlinge

Sylvana Islam
Sylvana Islam | Bild: BR

In ähnliche Richtung geht dieses FPÖ-Wahlkampfvideo: Ein Ehepaar, aufgeschreckt durch ungebetene und gierige Gäste – eine unverhohlene Metapher für Flüchtlinge in Österreich. Das Video, millionenfach geklickt, war wie ein Schock für Sylvana Islam aus Syrien. Aus Angst vor dem Assad-Regime schlug die 36-Jährige sich vor vier Jahren ganz allein durch bis nach Österreich. Ihre Eltern sind in Damaskus geblieben. Sylvana lebt jetzt auf sieben Quadratmetern, ist froh, dass sie anerkannt wurde als Flüchtling. Gleichzeitig ist sie wütend, vor allem auf FPÖ-Chef Strache. Und sie sagt es ihm direkt: "Herr Strache, bitte stoppen Sie, Angst in die Herzen der Österreicher zu pflanzen, weil Flüchtlinge keine Monster sind. Vielen Dank."

Als Sylvanas Botschaft online ging, meldete sich sofort ihre Mutter aus Damaskus, völlig verängstigt. Sylvana Islam erklärt: "Vielleicht hat sie Angst, dass mir etwas passiert, weil ich über einen Politiker gesprochen habe, nicht über eine normale Person. In Syrien können wir nicht gegen einen Politiker oder gegen den Präsidenten etwas sagen. Das ist nicht erlaubt."

Eine Facebookseite gegen Sebastian Kurz
Eine Facebookseite gegen Sebastian Kurz | Bild: BR

Keine Meinungsfreiheit in Syrien. Nun sieht Sylvana in Österreich einen Angriff auf die Demokratie durch üble Schmutzkampagnen im Wahlkampf. Sie berichtet darüber als Youtuberin: "Hallo, grüß Gott" Wir haben eine Frage. Was ist ihre Meinung zu dirty campaigning?" Eine Frau antwortet: "Ich finde, es sollte abgeschafft werden, auch als strafbare Tat bezeichnet werden, weil gerade jetzt, wo sich das meiste im Internet abspielt, muss man immer vorsichtiger werden."

Vertrauenskrise im Land

Vor allem, weil gefälschte Seiten eine heftige Vertrauenskrise im ganzen Land auslösten. Diese hier sollte den konservativen ÖVP-Kandidaten Sebastian Kurz beschädigen. Es kam heraus, dass ein gewisser Tal Silberstein, Berater der SPÖ, dahintersteckte. Viele offene Fragen: Was wusste SPÖ-Kanzler Christian Kern? Und war ÖVP-Mann Kurz wirklich nur das Opfer? Jetzt beschäftigt der Skandal die Gerichte. Sylvana berichtet darüber auf Arabisch für Flüchtlinge in Österreich. Sie will aufklären, auch über andere Themen wie Integration.

Raus aus Wien

Eva Dolezal auf dem Heimweg
Eva Dolezal auf dem Heimweg | Bild: BR

Die Wiener Trafikbesitzerin Eva hat Feierabend. Ihr reicht’s. Sie will nur noch nach Hause. Mit dem Auto fährt sie 25 Minuten; sie ist weggezogen aus Wien. Ihre Trafik aber hat sie behalten, doch in Wien leben will sie nie mehr: "Es ist laut. Es ist schmutzig. Die Ängste, weil, wo viele laute Leute sind, da passiert sehr viel Gewalt. Es ist einfach Chaos pur gewesen." Jetzt wohnt sie mit ihrer Familie in diesem beschaulichen Vorort – ohne Ausländer.

Studien zeigen: Zweidrittel aller Österreicher lehnen muslimische Zuwanderer ab – vorbei die Zeiten, als Österreich im Habsburgerreich eine Vorreiterrolle in Europa hatte im Umgang mit Muslimen.

Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger
Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger | Bild: BR

Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger sieht Zukunftsängste als Motiv: "Das sind Ängste letztlich vor einer unsicheren Zukunft. Es ist nicht nur Unsicherheit in Bezug auf Gewalt im öffentlichen Raum, sondern auch im Hinblick auf soziale Absicherung, auf Berufsperspektiven, auf Bildungsperspektiven."

Auch nach der Österreich-Wahl will Youtuberin Sylvana unbedingt weitermachen. Mit ihrer Kritik gegen Rechtspopulismus, vor allem so lange sie noch in Wien ist: "Wenn der Krieg vorbei ist, gehe ich zurück in mein Land."

Doch viele Geflüchtete werden auch bleiben. Noch ist nicht absehbar, ob Österreich wieder seine Rolle in Europa zurückgewinnt, als positiver Vorreiter im Umgang mit muslimischen Zuwanderern.

Autoren: Darko Jakovljevic, ARD Wien

Stand: 31.07.2019 05:52 Uhr

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