Zitate zu besonderen Momenten in Willy Brandts Leben

Brandts Zeit als Emigrant in Norwegen

Peter Brandt: Er war in einem sehr jungen Alter nach Norwegen gegangen und hatte die Fähigkeit und auch die Absicht, sich dort zu akklimatisieren. Und das fiel ihm leicht. Er hat sehr leicht die Sprache gelernt. Norweger haben mir immer gesagt, dass absolut kein Unterschied zu hören gewesen sei.

Werner Perger: Im Kampf gegen die Nazidiktatur war er international unterwegs und hat einiges riskiert. Ich muss schon sagen: großer Respekt. Das kommt in seinem Leben gar nicht so zum Vorschein, weil er es nie thematisiert hat.

Brandts Zeit als Regierender Bürgermeister von Berlin

Elizabeth Spanjer-Fisher: Ich habe ihn dann wiedergesehen, nachdem das alles vorbei war, in Berlin, 1946. Ich kam mit meinem damaligen Freund auf eine Party und da stand ein Herr in der Ecke, mit seinem Rücken zu mir, und er drehte sich um. Er hatte die norwegische Presseuniform an und breitete die Arme aus und sagt "Beppi".

Willy Brandt mit US-Präsident John F. Kennedy
Willy Brandt mit US-Präsident John F. Kennedy

Die Zeit des Mauerbaus

Willy Brandt, damals: Der Tag wird kommen, an dem das Brandenburger Tor nicht mehr an der Grenze liegt. An jener Grenzlinie, die mitten durch unsere Familien geht, die das Volk zerreißt, die unser Berlin aufspaltet. Bis jener Tag kommt, bitten wir, rufen wir, fordern wir: Macht das Tor auf, macht Schluss mit der widernatürlichen Spaltung!

Peter Brandt: Der Vater strahlte Ruhe aus und Besonnenheit und Festigkeit. Es klingt etwas phrasenhaft, aber tatsächlich war es so. Man war in Berlin gewohnt, dass es immer irgendwelche Komplikationen gab, dass es auch Krisen gab, aber ich kann mich nicht an irgendeine Art von Furcht erinnern, auch nicht im Zusammenhang mit dem Mauerbau.

John F. Kennedy, damals: All free men, where ever they may live are citizens of Berlin and therefore, as a free man, I take pride in the words "Ich bin ein Berliner."

Willy Brandt und Egon Bahr
Willy Brandt und Egon Bahr | Bild: picture-alliance / Sven Simon

Grundlagenvertrag mit der DDR, erstes deutsch-deutsches Gipfeltreffen in Erfurt 1970

Gerd Ruge: Die Leute in Erfurt waren begeistert und drückten das aus, so gut sie konnten. Für sie war das ein erster Schritt zu einer Art Wiedervereinigung Deutschlands. Dass sie sich an diesem Platz versammeln konnten und dass niemand sie mit Gewalt daran hinderte und nicht daran hindern konnte, auch das war ein Erfolg der Brandtschen Politik für die Leute, die hier standen.

Wolf Dietrich Schilling: Es ging darum, den Frieden zu sichern. Friedenssicherung war das Hauptmotto seiner Politik, damit dieses Gleichgewicht des Schreckens, wie man das mal genannt hat, seinen Schrecken verliert.

Egon Bahr: Wir haben über die Interessen der Staaten gesprochen. Und das bedeutete, dass die Sowjetunion nach schwierigen Verhandlungen innerhalb der Führungsgremien zu dem Ergebnis kam: Es liegt in unserem sowjetischen Interesse, gute Beziehungen zu dem größeren, reicheren Teil Deutschlands zu haben. Den kleineren, die DDR, haben wir sowieso am Bändel. Und Gromyko hat relativ schnell gesagt: "Solange wir uns nicht über die Grenzen geeinigt haben, haben wir uns über nichts geeinigt. Alle Grenzen in Europa, egal wann, wer, wo, wie sie gezogen worden sind, müssen unantastbar, unverrückbar, unangreifbar, unveränderbar sein." Das war alles unannehmbar für mich, denn wir wollten selbstverständlich irgendwann zur deutschen Einheit. Und dann sind wir auf die Formel gekommen, dass Grenzen nur in gegenseitigem Einvernehmen geändert werden können. Das war für die Russen annehmbar, das war für uns annehmbar.

Willy Brandt beim Kniefall vor dem Mahnmal für die Opfer des Warschauer Ghettos (07.12.1970)
Willy Brandt beim Kniefall in Warschau | Bild: WDR

Der "Kniefall von Warschau" am 7. Dezember 1970 am Mahnmal des Ghettoaufstandes von 1943

Willy Brandt: Vor dem Denkmal für die im Warschauer Ghetto Umgekommenen kniete ich nieder. Ich habe mich, trotz hämischer Kommentare in der Bundesrepublik, dieser Handlung nicht geschämt. Der Kniefall von Warschau, den man in der ganzen Welt zur Kenntnis nahm, war nicht geplant. Unter der Last der jüngsten Geschichte tat ich, was Menschen tun, wenn die Worte versagen. So gedachte ich der Millionen Ermordeter. Wer mich verstehen wollte, konnte mich verstehen und viele in Deutschland und anderswo haben mich verstanden.

Gunter Hofmann: Die Ostpolitik hatte in der Bundesrepublik, besonders auch in der Frage der Anerkennung der polnischen Westgrenze, einen schweren Stand. Viele Deutsche, ich würde sagen, die Mehrheit, hätte das als Verrat empfunden. Die junge Generation, die 68er, aber sahen gerade in der Anerkennung dieser Westgrenze einen Beweis, dass die Deutschen aus ihrer Geschichte lernen können. Und dafür musste Brandt werben.

Adam Krzeminski: Die Anerkennung der Grenze hat die Deutschen verändert, aber auch uns Polen, denn diese Geste hat uns die Angst vor dem deutschen Revisionismus, wenn nicht sofort, aber stufenweise genommen. [….] Ich war damals 25, ein junger Journalist. Ich war hier an der Ecke. Ich bin mit der Straßenbahn gekommen. Ich wollte unbedingt Willy Brandt sehen, den ich aus dem westdeutschen Fernsehen kannte. Und für mich war dieser Deutsche ein europäischer Kennedy. Ein junger, sympathischer Politiker, der mit uns sprechen wollte. Ein Politiker, der den Mut hatte, den Deutschen zu sagen: Der Verlust Ostdeutschlands ist der Preis dieses schrecklichen, von Deutschland ausgegangenen Eroberungskrieges.

Wolf-Dietrich Schilling: Es war, als sei Willy Brandt wie ein Baum gefällt worden. Er ist dort hingegangen mit langsamen Schritten und dann ist er wie zusammengebrochen auf die Knie gefallen. Und ich fand es unerhört und unglaublich und auch unfassbar in diesem Moment.

Willy Brandt wird am 10.12.1971 der Friedens-Nobelpreise in Oslo verliehen.
Willy Brandt wird am 10.12.1971 der Friedens-Nobelpreise in Oslo verliehen. | Bild: dpa

Gewinn des Friedensnobelpreises 1971

Willy Brandt bei der Verleihung: Ich bedanke mich aufrichtig und will alles tun, um in meiner weiteren Arbeit dem nahe zu kommen, was viele von mir erwarten. Wir sind hier in Fridtjof Nansens Land. Auch im übertragenen Sinne gilt seine Mahnung: "Fort dere – før det er for sent å angre": Beeilt euch zu handeln, ehe es zu spät ist zu bereuen.

Willy Brandt und Ehefrau Rut
Willy Brandt mit seiner Ehefrau Rut in ihrem Haus auf dem Bonner Venusberg. | Bild: WDR/dpa

Brandts Frau Rut

Klaus Harpprecht: Sie hat nicht gerne repräsentiert, denn sie war sehr auf die Familie konzentriert, aber wenn sie öffentlich aufgetreten ist, hat sie es mit einer wunderbaren, graziösen Eleganz getan, die ich immer bewundert habe. Außerdem hatte sie ungeheuer viel Humor. Eine sehr, sehr menschliche Frau.

Peter Brandt: Gelegentlich konnte sie sich über ihren Mann lustig machen, in einer Art, die für ihn nicht so angenehm war. Ich will nur sagen, dass sie kein Engel war. Mein Gott, man will ja auch keinen Engel als Ehefrau haben. Sie war aber eine sehr menschenliebende Frau. Also ganz warmherzig, anderen Menschen zugewandt und völlig vorurteilsfrei, sobald sie einen Menschen kennenlernte.

Die Zeit des Wahlkampfs 1972

Heli Ihlefeld: Es sind ja so viele von den jungen Leuten damals auf die Straße gegangen oder haben für ihn gesprochen. Das war sein Charisma. Der brachte die Menschen schon auf die Straße.

Albrecht Müller: "Willy wählen" war das Symbol für die Personalisierung dieses Wahlkampfes. "Willy wählen" stand wahrscheinlich auf keiner einzigen Anzeige und es kam in keinem Fernsehspot vor, aber es stand auf dem Auto als Plakette, es war als Button am Revers. Dieser Slogan stand für eine Volksbewegung und für die Erhaltung dieser Kanzlerschaft.

Klaus Harpprecht: Er hat niemals von oben nach unten geredet. Sondern eher von unten ein bisschen rauf. Sodass sich die Zuhörer von ihm ganz leise auf eine anderen Ebene gehoben fühlten. Und das war seine indirekte Form, den Bürgern mehr Selbstbewusstsein zu vermitteln.

Wibke Bruhns: Mit 10.000 Zuhörern in der Dortmunder Westfalenhalle konnte er umgehen und das machte er hervorragend. Er hatte diese Stimme, die immer wieder suggeriert, er denkt jetzt tatsächlich erst nach über das, was er jetzt sagen will. Und er redete so, dass immer jeder dachte, er meint dich.

Egon Bahr: Das Ergebnis 72 war der Gipfel und auf dem Gipfel kann man nicht ausruhen. Wann immer sie vom Gipfel weitergehen, geht’s bergab.

Günter Guillaume
Willy Brandt und Günter Guillaume (rechts) | Bild: dpa

Der Fall Günter Guillaume und Brandts Rücktritt

Bernd Rother: 1973 wird der Bundeskanzler davon informiert, dass es gegen Günter Guillaume den Verdacht gebe, dass er Spion der DDR sei. Man habe noch keine letzten Beweise. Und was wird ihm vorgeschlagen? Dass man Guillaume, damit der nicht Verdacht schöpft, an der Stelle belässt, an der er ist, und dann beobachtet, was er macht, ob er wirklich ein Spion ist.

Klaus Harpprecht: Das bleibt ein dunkler Flecken in der Geschichte der Bundesrepublik. Wer hätte zurücktreten müssen, wegen formaler Fehler in der Beobachtung von Guillaume und anderen, wäre Innenminister Genscher gewesen.

Egon Bahr: Und der Brandt hat sich ein Rindvieh genannt, dass er es zugelassen hat, dass er als Regierungschef zum Lockvogel für die Enttarnung eines Spions benutzt wurde. Das hat er sich vorgeworfen. Mit Recht.

Willy Brandt: Mein Rücktritt geschah aus Respekt vor den ungeschriebenen Regeln der Demokratie und auch, um meine persönliche und politische Integrität nicht zerstören zu lassen. Was immer mir an Ratschlägen gegeben worden war: Ich hätte nicht zulassen dürfen, dass während meines Urlaubs in Norwegen im Sommer vergangenen Jahres, auch geheime Papiere durch die Hände des Agenten gegangen sind. Es gab Anhaltspunkte, dass mein Privatleben in Spekulationen über den Spionagefall gezerrt werden sollte. Was immer noch darüber geschrieben werden mag, es ist und bleibt grotesk, einen deutschen Bundeskanzler für erpressbar zu halten. Ich bin es jedenfalls nicht.

Klaus Harpprecht: Ich glaube einfach, Depressionen gehören bis zu einem gewissen Grade zu schöpferischen Menschen. Ich hab ihn aber später mal gefragt: Wenn an jenen Tagen gutes Wetter gewesen wäre, die Sonne geschienen hätte, in Bonn, wärst du auch dann zurückgetreten? Sagt er: Das ist eine gute Frage.

Franz Müntefering: Ob er wirklich darunter gelitten hat, dass er nicht mehr Kanzler war, weiß ich gar nicht. Ich habe nicht den Eindruck gehabt, dass er irgendwo an Inhalt, an Überzeugungskraft verloren hatte, sondern er war ganz wichtig für die Partei.

Die Zeit des Mauerfalls

Franz Müntefering: Ich hab‘ Brandt erlebt an dem Abend, an dem die Mauer fiel, im deutschen Bundestag. Wir saßen in Bonn, im Wasserwerk, in diesem Behelfsbundestag und debattierten über die Rente. Und dann wurden wir unterbrochen. In Berlin sei irgendwas, das man sich noch nicht erklären könne. Ein paar Menschen dürften ausreisen, aber so richtig wisse man es noch nicht. Willy Brandt hat sofort als Einziger kapiert, was dort in Berlin geschehen ist.

Werner Perger: Ein anderes Jahrhundertwort hat er im Auto fahrend in einen vorbereiteten Redetext hinein geschrieben, nämlich: "Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört!" Das ist kein Redenschreiber gewesen – das war er! Und das passt so zu seiner ganzen Biografie. Auch er wuchs wieder zusammen mit Deutschland, das ihm einiges oder vieles angetan hat. Er hat dem Land viel mehr gegeben, als das Land ihm gegeben hat. Ein großartiger Mann. Ich muss aufpassen, dass ich nicht hingerissen werde, aber ich finde, es gibt so wenige.

Willy Brandt, damals: Wir können wieder zueinander kommen. Wir können auch aus der Bundesrepublik demnächst wieder ohne Visum kommen. Und füreinander Einstehen ist jetzt der Deutschen erste Bürgerpflicht.