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Jäger im Eis – Inuit auf Walfang

Auch wenn der Walfang offiziell nicht verboten ist, halten sich die meisten Staaten an das seit 1986 geltende freiwillige Moratorium und verzichten auf die Jagd.

Zu den indigenen Bevölkerungsgruppen, die von dieser Regelung ausgenommen sind, gehören auch die Inuit. Der Walfang hat über Jahrtausende ihre Kultur geprägt und die Inuit selbst mit lebenswichtigen Nahrungsbestandteilen versorgt – und er tut es noch heute.

Wie die Einwohner von Barrow, der nördlichsten Stadt des amerikanischen Kontinents. 4.000 Menschen leben hier in Alaska am Rande der Beaufortsee. Eine Stadt im ewigen Eis, 500 Kilometer weiter nördlich als der nördlichste bewohnte Flecken Europas, das Nordkap. Die Bewohner sind fast ausschließlich "Inupiat", wie die Eskimo Alaskas sich selbst nennen.

Tradition und Moderne

Ihre Hundegespanne haben sie schon vor Jahren gegen Motorschlitten getauscht, doch andere Traditionen blieben von der Moderne unberührt. Jeden Sommer ziehen die Männer des Ortes an Meer – zur Waljagd.

Sie jagen wie ihre Vorfahren vor 4.000 Jahren: Sechs Mann in einem winzigen Kajak. Die Boote bestehen aus Fellen, Knochen und Treibholz. Handharpunen und Seile sind die einzigen Jagdutensilien. Die Kajaks selbst sind winzige Nussschalen im Vergleich zu den riesigen Walen; die meisten sind nicht einmal halb so lang wie deren Jagd-Beute.

Der Grönlandwal

Die Beute, auf die die Inupiat-Jäger es abgesehen haben, ist der Grönlandwal. Bis zu 18 Meter lang werden die Tiere rund 80 Tonnen schwer. Noch immer sind sie kaum erforscht, denn sie sind äußerst selten – vielleicht 9000 Exemplare gibt es noch weltweit – und sie leben in unwirtlichen und schwer zugänglichen Regionen.

Die Inupiat sehen das Fleisch der Wale als unverzichtbaren Teil ihrer Nahrung an. Anders als Schweine-, Rinder- oder Schaffett ist Walspeck reich an Vitaminen. Die Jäger formulieren es so: "Um in der Arktis zu überleben, brauchst du Nahrung aus der Arktis."

Verräterische Töne aus der Tiefe

Die Waljagd verlangt Geduld. Oft harren die Inupiat über Tage auf dem Eis oder dem Wasser aus, warten, bis ein Wal sich zeigt und nah genug an die Jäger heran schwimmt, dass ein Angriff Erfolg haben könnte.

Um die Wale möglichst frühzeitig zu orten, bedienen sich die Männer eines alten Jagdtricks. Sie nutzen die Paddel ihrer Kajaks als eine Art Hörrohr, lauschen damit auf die weithin zu hörenden Laute der Meeresgiganten.

Bis zu 400 Mal pro Stunde ruft der Grönlandwal, zur Kommunikation mit Artgenossen und zur Navigation. Großen Eismassen etwa weicht er so frühzeitig aus.

Mann gegen Wal

Kommt ein Wal in Reichweite, paddeln die Jäger möglichst leise an. Sie müssen so nah wie möglich an das Tier, bevor es die Jäger bemerkt. Nicht immer gelingt das: Der Grönlandwal verfügt über ein außergewöhnlich gutes Gehör. Fühlt er sich verfolgt, taucht er ab und lässt seine Jäger mit leeren Händen zurück.

Gelingt es den Männern jedoch nah genug an den Wal heran zu kommen, werfen sie ihre Handharpunen auf ihn. An den Harpunen sind mit langen Seilen luftgefüllte Schwimmblasen befestigt. Über Stunden verfolgen die Jäger den Wal, bohren so viele Harpunen wie möglich in seinen Körper - bis das Tier vor Erschöpfung aufgibt, und sie ihm den Todesstoß versetzen können.

Ein Wal für eine Stadt

Wenn die Jäger ihre Beute an Land bringen, wartet fast der gesamte Ort auf sie. Ohne Maschinen, nur mit Muskelkraft und Flaschenzügen muss der tote Wal aus dem Wasser aufs Eis gezogen werden. Knochenarbeit, die sich über bis zu zwölf Stunden zieht.

Dann beginnt das Zerlegen. Jeder in Barrow erhält seinen Anteil; die besten Stücke gehen an die Jäger. Je nach Größe des Wals können das bis zu zwanzig Kilogramm Fleisch und Walspeck pro Nase sein.

Leben von und mit den Walen

Das Teilen ist mehr als nur Tradition, es war früher vor allem eine Lebensnotwendigkeit. Die Gemeinschaft konnte im Eis nur dann überleben, wenn alle mit allen teilten.

Aber die Inupiat begreifen nicht nur sich untereinander als Gemeinschaft, sie schließen die Wale mit ein. In ihren Augen schenkt sich ihnen der getötete Wal.
Die Eskimo brauchen die Wale. Und weil sie das wissen, jagen sie nur so viele, wie sie selbst verzehren können. Alle Eskimo-Gruppen zusammen erlegen nicht mehr als 40 Grönlandwale pro Jahr. Damit auch noch ihre Urenkel von und mit den Giganten der Meere leben können.

Autor: Thomas Wagner

Stand: 11.05.2012 13:08 Uhr

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