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Licht und Krebs

In jeder Wohnung, an jedem Arbeitsplatz sind wir Nacht für Nacht künstlichen Lichtquellen ausgesetzt. Ein Leben ohne sie ist undenkbar. Doch seit einigen Jahren hat der Krebsforscher Professor Richard Stevens einen schrecklichen Verdacht.

Hell erleuchtetes Bürogebäude
Die Nacht wird heutzutage mit viel Kunstlicht erhellt. | Bild: BR

Das nächtliche Kunstlicht könnte bei Menschen Krebs auslösen, da dadurch unser Hormonhaushalt empfindlich gestört wird, so der Krebsforscher. Es scheint so, dass neben Zapfen und Stäbchen, die in unseren Augen das Sehen ermöglichen, weitere Rezeptoren existieren.

Diese könnten über den Außenreiz Licht einen starken Einfluss auf unsere innere Uhr haben und damit auf die Produktion von Melatonin, so Professor Richard Stevens: "Melatonin ist ein kleines Molekül, das im Gehirn entsteht. Es beeinflusst andere Hormone. Melatonin und Brustkrebs hängen so zusammen: Zum einen verlangsamt Melatonin das Wachstum von Tumoren. Zum anderen hemmt es die Produktion von Östrogenen. Wird weniger Melatonin gebildet, steigt also der Östrogenpegel. Und wir wissen, dass Östrogene eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Brustkrebs spielen."

Blinde Frauen bekommen weniger Brustkrebs

Wenn die Hypothese von Professor Richard Stevens stimmt, müssten blinde Menschen weniger Krebs bekommen. Und tatsächlich fanden Forscher heraus, dass blinde Frauen weniger häufig an Brustkrebs erkranken als Sehende.

An der Medizinischen Hochschule von Harvard stieß Professor Stevens auf weitere Hinweise. Hier lagern Daten von 120.000 Krankenschwestern, die jedes Jahr Fragebögen zu ihrer Gesundheit ausfüllen. Vor allem bei Nachtschichten sind Krankenschwestern viel künstlichem Licht ausgesetzt. Stimmt die Hypothese von Professor Stevens, wäre ein erhöhtes Krebsrisiko die Folge.

Auch hier ein eindeutiges Ergebnis: Je öfter die Krankenschwestern nachts arbeiten, desto häufiger erkranken sie an Brustkrebs. Eine Blutproben-Analyse von Krankenschwestern zeigte: Nachtschwestern haben deutlich weniger Melatonin und mehr Brustkrebs fördernde Östrogene im Blut.

Die WHO warnt vor Kunstlicht

Viel Kunstlicht während der Nacht bedeutet also weniger Melatonin und ein erhöhtes Krebsrisiko. Was lange nur die Hypothese eines amerikanischen Professors war, scheint sich jetzt zu bestätigen. Im Oktober 2007 hat die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC), eine Einrichtung der Weltgesundheitsorganisation (WHO), bestimmte Formen von Schichtarbeit als wahrscheinlich krebserregend eingestuft.

Schichtarbeit kann Krebs fördernd sein

Mann vor einem spärlich ausgeleuchteten Aktenregal
Thomas Erren untersuchte den Zusammenhang zwischen Kunstlicht und Krebsrisiko. | Bild: SWR

Am Institut für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Sozialhygiene der Uniklinik Köln wurden rund 30 weltweite Studien zum Thema Schichtarbeit und Krebs auswertet – mit bemerkenswerten Ergebnissen. Die Kölner Wissenschafter interessieren sich hierbei vor allem für den Zusammenhang zwischen externen Zeitgebern, insbesondere dem Licht, und der Möglichkeit Krebs zu bekommen.

Ein zentrales Ergebnis dieser so genannten Meta-Analysen (Auswertungen von Studienergebnissen zur gleichen Fragestellung) ist, dass sich bei den beiden untersuchten Studiengruppen, nämlich Flugpersonal und Schichtpersonal, eine statistisch signifikante Risikoerhöhung für Krebs zeigt. "Auch wenn", wie Arbeitsmediziner Thomas Erren, Leiter des Instituts für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Sozialhygiene betont, "die Erhöhung des Risikos nicht zu vergleichen ist mit beispielsweise der Risikoerhöhung beim Rauchen."

Flugpersonal besonders betroffen

Bei Flugpersonal stellte sich ein um 70 Prozent höheres Brustkrebsrisiko heraus, für Prostatakrebs stieg das Risiko um 40 Prozent. "Ähnliche Ergebnisse erhielten wir bei Schichtarbeitern", erklärt Privatdozent Thomas Erren. Die Erforschung der Hintergründe für das gestiegene Krebsrisiko bei Schichtarbeit ist relativ neu.

Der Ursache auf der Spur

Die Ursache liegt vermutlich in der Art der Lichtquelle. Amerikanische Wissenschaftler um Professor Stevens fanden nämlich heraus: Vor allem blaues Licht, das in den meisten künstlichen Lichtquellen vorkommt, unterdrückt die Melatoninproduktion. Rot dagegen nicht. Doch ob das Licht allein die Wurzel des Übels ist, können die Wissenschaftler noch nicht endgültig beweisen. Eine Rolle in der Krebsentwicklung kann auch die Art der Nahrung, die der Schichtarbeiter abends zu sich nimmt, spielen.

Innere Uhr besser auf Nachtarbeit umstellen

Doch für Thomas Erren ist das ein ausreichender Grund etwa in der Arbeitswelt bereits heute Änderungen einzuführen: "Das heißt: ungeachtet der gesicherten Ursachenkette, die wir momentan noch nicht kennen, gibt es auf jeden Fall einen Faktor, den wir bereits jetzt beeinflussen können: Licht."

Daher schlägt er vor, die Licht-Dunkel-Verhältnisse für Schichtarbeiter dem natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus anzunähern, um die inneren Uhren schneller auf Nachtarbeit umzustellen. Das könnte einer vermuteten Bildung von Krebs möglicherweise vorbeugen.

Melatonin-Tabletten ungeeignet

Nachttischlampe und Bett
Das richtige Licht für einen gesunden Schlaf. | Bild: SWR

Die nächtliche "Lichtbeschallung" ist ein Risiko für unsere Gesundheit. Doch wer jetzt denkt, er könnte mit Melatonin-Tabletten sein Defizit ausgleichen, sei gewarnt, so Arbeitsmediziner Thomas Erren: "Aus meiner Sicht ist Melatonin mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Schlüsselsubstanz. Aber eben nicht ausschließlich für diese Phänomene. Die Wechselwirkung im Körper mit anderen Substanzen sind viel zu wenig verstanden, aus meiner Sicht, als dass man Melatonin an dieser Stelle womöglich einsetzen kann."
Und für uns alle gilt eine nächtliche Lichthygiene: Einschlafen ohne laufenden Fernseher oder ohne die brennende Lampe auf dem Nachttisch.

Autor: Volker Ide

Stand: 06.11.2015 14:21 Uhr

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