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Testpiloten und ein Weltraumsprung

Im freien Fall
Im freien Fall. | Bild: WDR

Ein Mann im Raumanzug steht am Rand einer offenen Gondel, 30 Kilometer unter ihm die Erde. Er lehnt sich nach vorn, stößt sich ab und springt. Zunächst scheint er zu schweben, doch er fällt und fällt und fällt. Nach scheinbar endlosen Minuten nähern sich die Wolken mit rasender Geschwindigkeit. Den Namen des todesmutigen Springers kennt heute kaum jemand. Dabei war Joe Kittinger einer der ersten Menschen im All.

Mit einem Ballon in den Weltraum

Im Juni 1957, noch vor dem Start des ersten Satelliten Sputnik I, der das Raumfahrtzeitalter offiziell eröffnete, waren ein paar mutige Männer bereits am Ziel: Sie waren bis an den Rand der Atmosphäre vorgedrungen. Ihr Leben hing, am Übergang zum Weltraum, buchstäblich an einer dünnen Folie aus Plastik – denn daraus waren die riesigen Gasballons gefertigt, die sie in bis dahin unerreichte Höhen trugen. Sie waren die ersten Raumfahrer.
„Raumfahrt“ war für Regierungen und Militärs Anfang der 50er Jahre noch ein Unwort – ein Fall für Science-Fiction-Romane und wissenschaftliche Spinner. Doch eine kleine Gruppe von Militärärzten und –piloten war überzeugt, dass der Schritt in den Weltraum nur eine Frage der Zeit war. Ausgangspunkt dieser visionären Forschung war die kleine Luftwaffenbasis Holloman in der Wüste von New Mexico, USA. Dort beschloss Anfang der 1950er eine Handvoll Mediziner und Testpiloten auf eigene Faust die technischen, medizinischen und psychologischen Anforderungen der bemannten Raumfahrt zu testen. Sie konstruierten eine Raumkapsel, die unter einem riesigen aber fragilen Heliumballon am 2. Juni 1957 bis auf 30 Kilometer Höhe bis an die Schwelle zu Weltraum aufstieg. Es folgten zwei weitere Ballonflüge in diesem Programm, dass den Codenamen „Man High“ trug.

Notausstieg für Astronauten

Ballon kurz vor dem Start
Ballon kurz vor dem Start. | Bild: WDR

Der Start von Sputnik I am 4. November 1957 änderte alles. Die amerikanische Öffentlichkeit war schockiert – mitten im Kalten Krieg fühlten sich die USA durch den Satelliten bedroht. Jetzt bewilligte die amerikanische Regierung Milliarden von Dollars für die Raketenforschung. Die NASA wurde gegründet, um den Vorsprung der Russen einzuholen. Das Projekt „Man High“ wurde jedoch eingestellt.
Doch in der Air Force ging die Forschung weiter. Die Männer um Joe Kittinger interessierte vor allem, ob und wie die zukünftigen Raumfahrer einen Notausstieg in extremer Höhe überleben könnten. Sie entwickelten einen mehrstufigen Fallschirm. Er sollte den Astronauten stabilisieren, bis ihn die Luftreibung genug verlangsamt hat, um den Hauptschirm zu öffnen. Da es kein Flugzeug gibt, das bis auf 30 Kilometer Höhe aufsteigen kann, mussten die Air Force Männer wieder Ballons für ihre Tests einsetzen. Nach etlichen Dummyabwürfen ist 1960 das System reif genug, um es mit einem Menschen zu versuchen. Projektleiter Joe Kittinger erklärte sich bereit, selbst den waghalsigen Sprung aus der Stratosphäre zu unternehmen. Er entschied sich für ein einfacheres System als bei den ersten Flügen: für eine offenen Gondel.

Der große Sprung

Durch Druckverlust im All angeschwollene Hand
Durch Druckverlust im All angeschwollene Hand. | Bild: WDR

Am frühen Morgen des 16. August 1960 stieg der riesige Plastikballon in den Himmel über der Wüste Neu Mexikos. In 12 Kilometern Höhe bemerkte Joe Kittinger, dass der rechte Handschuh seines Raumanzuges den Druck verloren hatte. Seine Hand sollte in der nächsten Stunde durch den fehlenden Druck schmerzhaft anschwellen – er musste alle Handgriffe mit der Linken bewältigen. In 30 Kilometern Höhe machte sich Joe Kittinger dann bereit für den Absprung. Nach einem kurzen Gebet stand er auf, hielt den Atem an – und sprang.
Der Stabilisierungsschirm funktionierte perfekt. In viereinhalb Minuten freiem Fall bis zur Wolkendecke beschleunigte Joe auf bis zu 988 Stundenkilometer. Schneller ist bis heute kein anderer Mensch im freien Fall gewesen. 14 Minuten nach seinem Absprung am Rande der Atmosphäre war er wieder auf der Erde. Die Medien feierten den Sprung als heroische Tat und Joe als Helden einer ganzen Nation.

Die NASA ignoriert wichtige Erkenntnisse

Doch wieder nahmen Raketen dem Ballonraumfahrer seinen Ruhm. Am 12. April 1961 – nur wenige Monate nach Joe Kittingers Sprung – umkreiste Juri Gagarin als erster Mensch die Erde. Von einigen Erkenntnissen der mutigen Ballonfahrer profitierten auch die ersten Missionen der NASA, die erst 1958 als Reaktion auf den Sputnik-Schock gegründet wurde. Doch viel Know-How der Ballon-Pioniere blieb aus Rivalität zwischen NASA und Air Force auf der Strecke. Joe Kittinger glaubt, dass die Crew der explodierten Raumfähre Challenger mit seinem Fallschirm eine Chance gehabt hätte zu überleben. Keiner der Ballon-Piloten bekam ein Angebot, seine Erfahrung als Astronaut einzusetzen. Ihre Namen und ihre Missionen ins All wurden vergessen.

Autor: Daniel Münter (WDR)

Stand: 18.09.2015 14:11 Uhr

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