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Vögel voraus!

Vögel auf Kollisionskurs

Die Bilder der heldenhaften Notwasserung eines Airbus 320 Anfang dieses Jahres auf dem Hudson River in New York sind wahrscheinlich allen noch gut im Gedächtnis. Die Ursache des ungewollten Landemanövers: Ein Schwarm Kanadagänse hatte beide Triebwerke der Maschine ausgeschaltet. Dass beide Triebwerke gleichzeitig versagen, ist extrem ungewöhnlich. Aber Luftunglücke durch sogenannten Vogelschlag sind leider keine Seltenheit. Etwa zwei Mal pro Tag gibt es laut offiziellen Statistiken Kollisionen zwischen Flugzeugen und Vögeln. 500 bis 1.000 Meldungen von Crashs dieser Art erreichen die offizielle Meldestelle der DAVVL (Deutscher Ausschuss zur Verhütung von Vogelschlägen im Luftverkehr) im Jahr.

Flug mit einer Turbine möglich

Meistens enden solche Zusammenstöße glimpflich. Selbst wenn ein Triebwerk komplett ausfällt, kann ein Flugzeug zur Not auch mit dem noch funktionierenden Triebwerk landen. Im April 2007 gelang es einem "Planespotter", einen solchen Zusammenstoß zu filmen: Während des Starts gerät ein Vogel in die Turbine einer Boeing 757, das rechte Triebwerk fängt Feuer, der Pilot muss 45 Minuten mit nur einer Turbine über dem Flughafen kreisen, bis er genügend Sprit verbraucht hat, um landen zu dürfen – das Flugzeug kommt unbeschadet nach unten.

Die schwersten Unfälle aufgrund von Vogelschlag

Aber nicht immer verlaufen Zusammenstöße mit Vögeln so harmlos: Im Oktober 1960 starben am Boston Airport in den USA 62 Menschen bei dem Absturz einer Lockheed L 188, danach wurden erstmals Sicherheitsrichtlinien für Flugzeugtriebwerke eingeführt. In Äthiopien gab es 1988 insgesamt 35 Tote beim Absturz einer Boeing 737 in der Nähe von Addis Abeba. Und auch in Europa sind Vogelschlag-Unfälle nicht immer glimpflich verlaufen: 1996 geriet in den Niederlanden bei Eindhoven ein Herkules Transportflugzeug in Brand, als es bei der Landung versuchte einem Vogelschwarm auszuweichen - 34 Menschen starben.

Wo ist die Gefahr am größten?

Besonders gefährdete Bereiche eines Flugzeugs
Besonders gefährdete Bereiche eines Flugzeugs | Bild: WDR

In Flughafennähe ist die Gefahr für fatale Zusammenstöße am größten - 90 Prozent aller Vorfälle finden in der Nähe von Flughäfen statt. In der noch recht geringen Höhe beim Starten und Landen kreuzen die fliegenden Stahlkolosse die Flugbahnen der Vögel. Besonders gefährdete Bereiche bei Flugzeugen sind die Flugzeugschnauze, das Cockpit, die Flügelvorderkanten, sowie der Rumpf, die Fahrwerke und die Triebwerke. Je nachdem wie groß und schwer ein Vogel ist und wie viele Vögel es insgesamt sind, können durch einen Zusammenprall massive Schäden entstehen.

Wie werden Triebwerke sicherer?

Die Gefahr des Vogelschlags vor allem für Triebwerke ist den Flugzeugkonstrukteuren seit Jahrzehnten bekannt. Sie arbeiten intensiv daran, die Turbinen widerstandsfähiger zu bauen, ohne das Gewicht zu vergrößern. Der TÜV hat strenge Sicherheitsauflagen für Flugzeugtriebwerke erlassen. Heute wird jede moderne Turbine auf ihre Widerstandsfähigkeit gegen Vogelschlag geprüft. Dazu wird sie mit toten Vögeln beschossen. Ein modernes Triebwerk verkraftet eine ganze Reihe von Einschlägen, aber eine absolute Sicherheit gibt es nicht. Wird die Belastung zu groß, z.B. durch einen großen Vogelschwarm, können auch die robustesten Triebwerke versagen.

Neue Testverfahren

In dieser Beschussanlage wird ein Vogeldummy getestet
In einer Beschussanlage finden Tests mit Vogeldummys statt | Bild: WDR

Derzeit arbeiten Wissenschaftler am deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Stuttgart daran, Flugzeuge von ihrem Material und ihrer Struktur her so zu verbessern, dass sie möglichst sicher Vogelschlag und anderen Einschlägen standhalten. Ein weiteres Ziel der Forscher ist es dabei, „TÜV-fähige“ Testverfahren ohne tote Vögel zu entwickeln. In einer speziell dafür ausgerichteten Beschussanlage wird ein Vogeldummy aus Gelatine getestet. Er wird als Projektil mit einer Geschwindigkeit von bis zu 300 Stundenkilometern per Gasdruck durch einen 12 Meter langen Kanonenlauf geschossen. Eine Hochgeschwindigkeitskamera im Inneren der Beschussanlage filmt jedes Detail des Aufpralls. Die Forscher untersuchen hinterher das Flugzeugteil und die Überreste des Kunstvogels. Welche Kräfte wurden frei? Welche Aufprallenergie ist entstanden? Hat das Flugzeugstück der Kraft standgehalten, oder ist es beschädigt worden?

Wie hält man Vögel vom Flughafen fern?

Damit es erst gar nicht zur Kollision kommt, gibt es an jedem deutschen Flughafen einen sogenannten Vogelschlagbeauftragten. Mit Biotop-Management versuchen sie Vögel vom Flughafengelände fern zu halten. Manche setzen dazu Hunde ein, andere arbeiten mit abgerichteten Falken und Bussarden. W wie Wissen besucht den Vogelschlagbeauftragten des Stuttgarter Flughafens und begleitet ihn auf seinen Kontrollfahrten durch die Grünflächen des Areals. Hans-Peter Schmid spannt Füchse für seine Zwecke ein: Sie machen Jagd auf Wiesenbrüter wie Rebhühner und Kiebitze. Damit die Füchse sich am Flughafen niederlassen, hat der Vogelschlagbeauftragte ihnen künstliche Fuchsbauten aus Betonröhren angelegt. Neben den tierischen Helfern ist vor allem die Bepflanzung des Flughafens ein wichtiger Aspekt. Hans-Peter Schmid kontrolliert deshalb ständig den Bewuchs des Geländes: so bietet eine hohe Salbei-Glatthaferwiese kaum Nahrungsmöglichkeiten und kein Vogel setzt sich gerne in das dichte Gras.

Ungemütliche Umgebung für Vögel

Auch bei der Pflege der Grünflächen ist Spezialwissen gefragt. Hans-Peter Schmid mäht im Irokesenschnitt Bahnen in die Wiese. Vögel meiden die unübersichtlichen Grasstreifen, denn hier könnten Fressfeinde wie Füchse und Katzen lauern – außerdem verstecken sich die durch die Mäharbeiten exponierten Insekten schnell wieder im noch hohen Gras – schon bleiben die Vögel weg. Damit es noch weniger zu fressen gibt, sammelt der Vogelschlagbeauftragte sogar die Regenwürmer ein, die nach einem Regenguss massenweise aus dem Boden kriechen – mit einer speziellen Kehrmaschine. Auch Brutangebote werden eingeschränkt: die Dachgiebel der Gebäude werden mit Drahtnetzen verhängt, Baumbewuchs wird weitgehend vermieden.
Und schließlich gibt es noch die gute, alte Schreckschuss-Pistole, mit der Hans-Peter Schmid und seine Mitarbeiter Vögel abschrecken – allerdings nur im Notfall. Denn an regelmäßiges Geballere gewöhnen sich die Vögel schnell und lassen sich nicht mehr abschrecken. Die Bilanz der Maßnahmen kann sich sehen lassen: In Stuttgart gibt es nur noch 2,5 Zusammenstöße mit Vögeln pro 10.000 Flüge.

Adressen & Links

Statistik des Deutschen Ausschusses zur Verhütung von Vogelschlägen im Luftverkehr.
www.davvl.de

Autorin: Anke Rau (WDR)

Stand: 26.07.2013 14:58 Uhr

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