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Nano-Food: Unsichtbar und ungenießbar?

Tomaten, verpackt in Plastikschale
Schöne neue Nano-Welt? | Bild: BR

Weintrauben und Tomaten, die wochenlang haltbar sind, weil sie in einer keimfreien Nano-Verpackung stecken. Salz, das mithilfe von Siliziumdioxid in Nano-Größe rieselfähig bleibt. Milch, die sich rot verfärbt, wenn sie schlecht wird - dank Nano-Teilchen. Die Einsatzmöglichkeiten von Nano-Technologie könnten die Lebensmittel-produktion revolutionieren. Doch die neue Technik birgt auch Risiken. Während Forscher in den Niederlanden an neuen Anwendungen arbeiten, warnt der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) vor Gesundheitsschäden durch die Kleinstpartikel.

Niederlande: Lebensmittel der Zukunft

Forscher blickt auf Nano-Material
Forschung im Nano-Kosmos | Bild: BR

Die Niederlande sind nach den USA und Frankreich der weltweit drittgrößte Exporteur landwirtschaftlicher Produkte - und hoch technologisiert. Kein Wunder also, dass die Niederländer auch im Bereich Nano-Technologie weit vorne liegen. An der Universität Wageningen arbeiten Forscher an den Lebensmitteln der Zukunft. Und diese Zukunft heißt Nano – glaubt Frans Kampers, Forschungsleiter im Bereich Nano- und Biotechnologie. In den Laboren der Universität erkunden Wissenschaftler den Einsatz von Nano-Materialien in Lebensmitteln und Verpackungen. Kein einfaches Forschungsgebiet, denn um in die Welt der Allerkleinsten zu gelangen, müssen sich ihr die Wissenschaftler bis auf einen Nanometer annähern, das entspricht einem Milliardstel Meter. Der Begriff "Nano" kommt übrigens vom griechischen "nanos" – was so viel wie "Zwerg" bedeutet. Sehen können die Forscher in dieser Zwergenwelt nur mithilfe spezieller Mikroskope. Doch Frans Kampers ist sich sicher: Die Reise in den Nano-Kosmos wird sich lohnen. In fünf bis zehn Jahren, so seine Schätzung, könnte sich der weltweite Jahresumsatz mit Nano-Lebensmitteln auf rund 20 Milliarden Dollar belaufen. Zum Vergleich: Das entspricht fast der Hälfte des jährlichen deutschen Nahrungsmittelexports in der EU (rund 42 Milliarden)

Gesündere Limo durch Nano-Kapseln?

Grafik: Zusatzstoffe wie Vitamine oder Konservierungsstoffe werden in Nano-Kapsel eingebaut
Nano-Kapseln | Bild: BR

Besonders die Getränkeindustrie interessiert sich für die Nano-Technik. Möchte man zum Beispiel einer Limonade bestimmte Stoffe beimischen, geht das mithilfe sogenannter Nano-Kapseln. Vitamine, Mineralien, aber auch Konservierungsstoffe werden in die Kapsel eingebaut und in das Getränk gegeben. Der Vorteil für die Hersteller: Weil die Partikel so klein sind, dass wir sie weder sehen noch schmecken können, verändert sich durch die Zusätze auch das Aussehen des Getränks nicht. Es wird zum Beispiel nicht milchig, sondern bleibt frisch und klar. Im Körper öffnen sich die Kapseln erst unter bestimmten Bedingungen. So kann eine Limonade mit Vitaminen angereichert werden, die dann über den Verdauungstrakt in bestimmte Regionen des Körpers befördert werden – dahin, wo sie am besten aufgenommen und verarbeitet werden können. Weiteres Einsatzgebiet: Milchprodukte wie Joghurt und Milchshakes, die durch spezielle Zusätze leichter verträglich oder gesünder gemacht werden können. Allerdings lässt sich durch die Verkapselung auch der unangenehme Geschmack eines Zusatzstoffes kaschieren. Nicht unproblematisch – immerhin ist der Geschmackssinn unser bester Schutz vor schädlichen Stoffen. Auch besteht durch die Nano-Kapseln die Gefahr einer Überdosierung einzelner Wirkstoffe.

Schädigungen bei Mäusen

Mäuse im Laborkäfig
Schäden am Nervensystem durch Nanopartikel | Bild: BR

Bisher ist unerforscht, wie sich die Verwendung von Nano-Technologie bei Lebensmitteln auf die menschliche Gesundheit auswirkt. Aus Tierversuchen mit Mäusen weiß man jedoch: Wegen ihrer geringen Größe sind Nano-Partikel in der Lage, in Organe und Körperzellen einzudringen, dort die Zellfunktionen zu schädigen oder das Immunsystem anzugreifen. Auch die von der Evolution entwickelten Schutzbarrieren wie die Blut-Hirn- oder die Plazenta-Schranke können von den Nano-Teilchen überwunden werden. So wurde etwa schwangeren Mäusen in einer Untersuchung über die Plazenta-Schranke Titandioxid in Nano-Größe verabreicht. Das Ergebnis: Die männlichen Nachkommen zeigten Schädigungen am Nervensystem und an den Geschlechtsorganen. Ein Problem vieler Zusatzstoffe: In üblicher Größe sind sie ungefährlich. In Nano-Größe eingesetzt, können sie jedoch ihre Eigenschaften verändern und toxisch werden.

Unsichtbares Risiko im Supermarkt

Einkaufswagen mit verschiedenen Lebensmitteln
Der BUND warnt vor Nano-Lebensmitteln im Supermarkt | Bild: BR

Jurek Vengels vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) in Berlin hält Nano-Materialien in Nahrungsmitteln deshalb für eine Gefahr. Während die Hersteller bei Produkten wie Reinigungsmitteln mit Nano-Zusätzen werben, sind sie bei Lebensmitteln sehr zurückhaltend. Der Nano-Experte geht allerdings davon aus, dass bei rund 100 Lebensmittelprodukten in deutschen Supermärkten bereits Nano-Teilchen verwendet werden. Zum Beispiel in Fertigsuppen, Puderzucker, Obstverpackungen oder PET-Flaschen. Ebenso bei Salz, wo kleinste Partikel in Nano-Größe als Rieselhilfen eingesetzt werden. Da es jedoch weder Zulassungs- und Kennzeichnungspflicht für Nano-Zusätze gibt, hat der Verbraucher keine Chance, solche Produkte zu erkennen. Auf europäischer Eben soll der Einsatz von Nano-Technologie in Lebensmitteln deshalb neu geregelt werden. Allerdings gibt es erst wenige Prüfverfahren, mit denen sich Nano-Partikel aufspüren lassen – die Voraussetzung für eine Kennzeichnung. Es besteht also großer Forschungsbedarf – denn die Nano-Welt steckt noch voller Rätsel.

Adressen & Links

Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Am Köllnischen Park 1
10179 Berlin
Tel.: (030) 275 86 4 - 0
Fax: -40
E-Mail: bund(at)bund.net

Forschungsarbeiten im Bereich Nano-Technologie in Lebensmitteln:
Wageningen Bionanotechnology centre (BioNT)
P.O.Box 8026
6700 EG  Wageningen
The Netherlands
E-Mail: info(at)biont.nl
www.biont.wur.nl

Literatur

Plastic Planet: Die dunkle Seite der Kunststoffe
Gerhard Pretting, Werner Boote
Orange Press, 1. Auflage, 2010

In vielen Lebensmittelverpackungen stecken auch Weichmacher. Im Buch
"Plastic Planet" gibt es weitere Informationen über die Auswirkungen
unseres hohen Plastikkonsums.

Autor: Boris Geiger (BR)

Stand: 12.08.2015 13:26 Uhr

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