SENDETERMIN So., 02.10.11 | 17:03 Uhr | Das Erste

Archäologie des Wilden Westens

Barkeeper gibt Mann einen Whiskey
Wurde in den Saloons nur Whiskey ausgeschenkt? | Bild: Leonardo Film GmbH

Cowboys, Goldgräber und Banditen mit locker sitzenden Revolvern - der Wilde Westen ist ein Mythos, der auch von Hollywood geprägt wurde. Doch auf der Leinwand wurden meist nur Legenden erzählt: spannend, effektvoll - aber eben mit viel Phantasie und Dramatik angereichert. Doch wo wurde hinzugedichtet, und was stimmt wirklich?

Kelly Dixon möchte herausfinden, wie es im Wilden Westen wirklich zuging und hat einen ausgefallenen Plan. Die junge Archäologin führt Ausgrabungen durch - und mit Hilfe von gefundenen Überresten wie Flaschen und Geschirr hofft sie, mehr über die Gewohnheiten und Lebensumstände der Menschen zu erfahren. Der ideale Ort für dieses Projekt befindet sich in den Bergen Nevadas auf 2.000 Meter Höhe: Virginia City.

Die Silberstadt mit 100 Saloons

1859 wurden auf diesen kargen Hängen die größten Silbervorkommen der Erde entdeckt. Nach der Stadtgründung boomte Virginia City wenige Jahrzehnte lang und wurde zu einem der wichtigsten Industriestandorte der USA. 25.000 Menschen siedelten sich an und auch eine Eisenbahnlinie wurde in die unfruchtbare Bergregion gebaut. Virginia City bekam eine eigene Zeitung, ein Opernhaus entstand und über 100 Saloons sorgten für das Wohlbefinden der vielen neuen Einwohner.

Kelly Dixon möchte nun insgesamt vier dieser Saloons archäologisch untersuchen und macht sich entlang der Hauptstraße auf eine erste Spurensuche. Ein Großteil der alten Minenstadt ist dem Erdboden gleich gemacht. Nur wenige Ruinen sind übrig geblieben. Aber gerade dort, wo heute Brachland ist, gibt es noch viel zu entdecken.

Mythos Western Saloon

Als Kelly einen Hang mit vertrockneten Büschen entlang läuft, entdeckt sie sofort mehrere Glasscherben, Teile eines Porzellantellers und einen Flaschenhals. Sie nimmt davon jetzt nichts mit, denn sonst würde sie einen potentiellen Ausgrabungsort verfälschen. "Archäologen gehen nicht einfach zu einem Ort und fangen an dort zu graben. Sie machen sich erst einen Plan", sagt Kelly Dixon. Neben der offiziellen Genehmigung ist es wichtig, alle vorhandenen historischen Dokumente zuerst auszuwerten, bevor man mit dem Graben beginnt.

Im Archiv der Stadt trifft sie Ron Davies, den Archivar und Historiker der Stadt. Er zeigt Kelly die alten Katasterbücher, aus denen sie zusammen rekonstruieren können, wo sich die Saloons einst befanden - und sogar, wer die Besitzer waren. Hier erfährt Kelly vom Boston Saloon: ein Lokal, dass 1864 von William Brown eröffnet wurde. Das Besondere: Der Saloonbesitzer war afroamerikanischer Herkunft - und das in einer Zeit, in der in anderen Teilen der USA noch die Sklaverei herrschte.

Scharfes Essen im Boston Saloon

Der Ort des Boston Saloons ist bei Ausgrabungsbeginn noch ein asphaltierter Parkplatz. Doch nachdem die Teerdecke vorsichtig abgetragen ist, kommen die ersten Objekte zu Tage. Zunächst legt Kelly Dixon ein Raster an, damit sie später alle Fundstücken einem genauen Fundort zuweisen kann.

Für die eigentliche Ausgrabung ist Kelly auf Hilfe von vielen Freiwilligen angewiesen. Die Ausgrabungen allein am Boston Saloon dauern fünf Wochen. 65 Freiwillige packen mit an, um insgesamt 72 Quadratmeter staubigen Boden zu durchforsten. 30.000 Objekte nehmen Kelly Dixon und ihr Team dabei auf. Sie geben ihnen Nummern und kleben viele Scherben in kleinster Puzzlearbeit zusammen. Es entsteht ein Bild, dass Kelly überrascht: Hochwertige Kristallgläser und feinstes chinesisches Porzellangeschirr wurden in dem Saloon verwendet.

Aufgrund bestimmter Tierknochen, die bei den Ausgrabungen am Boston Saloon gefunden wurden, geht Kelly Dixon auch davon aus, dass in diesem Saloon hochwertiges Essen serviert wurde. Aus einem Glasscherbenhaufen fügt das Archäologenteam außerdem die älteste Tabascoflasche der Welt wieder zusammen. Offensichtlich wurde im Boston Saloon gern scharf gegessen.

Versteckte Schätze unter der Opernbühne

Der Historiker Ron Davies aus dem Stadtarchiv kennt einen zweiten spannenden Ausgrabungsort: das Opernhaus von Virginia City. Im unteren Geschoss des Opernhauses befand sich einst ein Saloon, der 1875 zusammen mit dem ersten Gebäude der Oper in Flammen aufging. Auf den Trümmern wurde anschließend ein neues Opernhaus gebaut, und im Keller befinden sich heute die archäologische Spuren der legendären Piper’s Old Corner Bar.

Kelly ist begeistert, denn dieser Ausgrabungsort unter dem Opernhaus ist nicht dem harschen Wetter und der Erosion ausgesetzt gewesen. Im Erdboden unter der Bühne müssten sich daher viele Objekte aus dem Saloon befinden. Und ihr Optimismus soll ihr Recht geben.

Bei den Ausgrabungen der Piper’s Old Corner Bar entdeckt Kelly Dixon beispielsweise einen großen und dekorativen Wasserfilter mit einer englischen Inschrift. Kein Historiker hatte je herausgefunden, dass diese Art von Wasserfilter auch in einer Minenstadt im Wilden Westen benutzt wurde. Die Silberminen haben nämlich das Grundwasser in Virginia City verseucht, und dieser Fund zeigt, wie die Menschen versucht haben, das Problem zu lösen. Nur die Ausgrabungen haben zu dieser Erkenntnis geführt.

Wasser statt Whiskey

Bei Ihren Ausgrabungen in John Piper’s Old Corner Bar entdeckt Kelly Dixon einen kleinen Keller, in dem sich 80 Tonflaschen befinden. Es sind allesamt antike Mineralwasserflaschen, die eine Prägung mit den Worten SELTERS/NASSAU am Flaschenhals aufweisen. Mineralwasser aus der deutschen Selters Quelle wurde demnach um 1865 nach Nevada importiert.

Der Chef-Historiker aus Virginia City ist begeistert von den vielen Erkenntnissen, die Kelly Dixon aus ihren Ausgrabungen gewonnen hat. "Die Legenden vom Wilden Westen sind ja ganz nett", gibt er zu. "Die historischen Dokumente haben die Legenden schon etwas zurechtgerückt, aber erst die Archäologie hat das Bild des Wilden Westens und besonders des Western Saloons nachhaltig verändert."

Adressen

Virginia City Convention and Tourism Authority
86 South C Street,
Virginia City, NV 89440, USA
Tel.: (Vorwahl) Nummer: +1 800 718 7587
E-Mail: info(at)visitvirginiacitynv.com

Literatur

Boomtown Saloons - Archaeology and History in Virginia City (englisch)

Kelly Dixon
University of Nevada Press
219 Seiten, 28,99 Euro

Autor: Elmar Bartlmae (WDR)

Stand: 29.07.2015 11:02 Uhr

Sendetermin

So., 02.10.11 | 17:03 Uhr
Das Erste

Sprungmarken zur Textstelle