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Unter Beobachtung: das Kitzsteinhorn

Das Kitzsteinhorn in Österreich
Der Gletscher auf dem Kitzsteinhorn schmilzt | Bild: BR

Die Hohen Tauern gehören zu den mächtigsten Gebirgszügen in den Österreichischen Alpen. Hier stehen - scheinbar unzerstörbar - die höchsten Gipfel des Landes. Auch das 3.200 Meter hohe Kitzsteinhorn ragt dort aus dem Eis. Die Gletscher rund um den Gipfel wurden 1965 zum ersten Ganzjahresskigebiet Österreichs gemacht. Hier herrschten lange Zeit beste Bedingungen bis in den August. Doch diese Zeiten sind vorbei. Die Ski-Saison wird kürzer, das "ewige" Eis immer weniger.

Regelmäßig fahren Forscher der Universität Salzburg und des Innsbrucker Zentrums für Klimawandel-Adaptionstechnologien zum Kitzsteinhorn. Denn das Schwinden der Gletscher bringt nicht nur weniger Ski-Spaß in den Bergen, sondern auch zusätzliche Gefahren. "Wir beobachten in den letzten Jahrzehnten im gesamten Alpenraum eine Zunahme an Felsstürzen und Steinschlägen", sagt Markus Keuschnig.

Permafrost - das Eis im Fels schmilzt

Die Steilwand des Kitzsteinhorns
Die Steilwand am Kitzsteinhorn ist mittlerweile weitgehend eisfrei | Bild: BR

Insbesondere in den Hitze-Sommern von 2003 und 2005 hat es viele solche Ereignisse gegeben, berichten die Wissenschaftler. Sie vermuten einen direkten Zusammenhang mit den ansteigenden Temperaturen.Tatsächlich ereignen sich die größten Felsstürze im Hochgebirge. Denn hier schmilzt neben dem sichtbaren Eis der Gletscher auch das Eis in Klüften und Spalten. Bisher hielt dieses Eis die Felspartien wie ein Kitt zusammen. Das Klufteis schmilzt, weil auch der Frost in den Felsen schwindet, der Permafrost.

Markus Keuschnig befürchtet deshalb auch zunehmende Gefahr an der Steilwand des Kitzsteinhorns. Und dafür hat er eindeutige Indizien: Auf historischen Fotos ist zu sehen, dass noch bis in die 1970er-Jahre hinein große Teile der Felswand vereist waren. Ein Zeichen für Permafrost im Fels. Heute ist dieses Eis komplett verschwunden. Die Steilwand liegt blank. Wärme dringt nun ungehindert ein und löst Frost und Eis im Felsen auf.

Deshalb analysieren die Forscher auch die Klüfte und Spalten in der Steilwand. Über sie kann die Wärme sehr schnell sehr tief in den Felsen eindringen, vor allem durch Schmelzwasser und Regen, und sie markieren Brüche im Fels. Im Bereich der Gipfelstation ist der Berg besonders unruhig.

Überwachung per Laserscanner

Zwei Forscher sitzen am Laptop neben einem Laserscanner
Mithilfe eines Laserscanners dokumentieren Forscher kleinste Verändeurngen am Fels | Bild: BR

In mehreren Kampagnen haben die Forscher bis zu 30 Meter tiefe Löcher in den Fels gebohrt. Spezielle Messgeräte in den Bohrlöchern überwachen seitdem die Temperaturen im Fels. Außerdem wollen die Forscher mit einem Laserscanner den Vorboten eines Felssturzes auf die Spur kommen. Regelmäßig tastet der Laserstrahl jeden Quadratzentimeter in der Wand ab. Er erfasst die Lage jedes einzelnen Blocks und jeder Spalte. Bei der nächsten Messung sehen die Forscher dann, wo sich die Felswand verändert hat und in Bewegung ist.

Eine notwendige Überwachung bei steigenden Temperaturen! Denn Laborversuche haben gezeigt, dass bereits bei einer Erwärmung von Klufteis die Stabilität von Felswänden abnehmen kann. Schmilzt das Eis, entsteht zwischen Felsen und Eis eine Gleitschicht, auf der einzelne Felspartien abrutschen können. Falls das Schmelzwasser in einer Kluft aufgestaut wird, entstehen in den Felsflanken hohe Wasserdrücke, die schließlich ganze Gesteinsflanken absprengen können.

Das Magnetköpfl droht zu zerreißen

Das Magnetköpfl
Das Magnetköpfl unterhalb der Gletscherbahn lag vor 150 Jahren komplett unter Eis | Bild: BR

Die Forscher überwachen aber neben der Steilwand noch einen anderen Fels am Kitzsteinhorn: das Magnetköpfl unterhalb der Gletscherbahn. Vor 150 Jahren lag der Felszahn noch komplett unter Eis. Heute ragt seine steile Wand hundert Meter aus dem Gletscher - direkt neben der Piste.

Hier haben die Forscher ein System installiert, mit dem sie quasi in den Felsen hineinschauen können: An verschiedenen Stellen jagen sie Strom durch die Klippe und messen, wie gut er fließt. Je mehr Permafrost, desto schlechter fließt der Strom. So können sie genau berechnen, wo im Fels noch Permafrost ist und wo er schwindet. Dabei entdecken die Forscher, dass schon ein schmaler Spalt die Temperatur im Gestein stark beeinflusst.

Und die Forscher entdecken noch ein Phänomen: Da sich die Eisdecke rings um das Magnetköpfl stark gesenkt hat, verschwindet die Stütze an der Basis. Dadurch verändern sich die Kräfteverhältnisse im Berg. Mit gewaltigen Folgen: Quer durch den ganzen Zahn haben sich mehrere Spalten geöffnet, von Norden nach Süden. Es sieht so aus, als ob das Magnetköpfl auseinanderfällt.

"Was wir hier sehen, ist ein ganz seltenes Beispiel für eine Bergzerreißung", erklärt Markus Keuschnig. "Und durch die großen entstehenden Risse können Wasser und Wärme wesentlich weiter in den Berg eindringen. Und dadurch wird er wesentlich mehr aufgearbeitet."

Ein Überwachungssystem soll helfen

Felsen am Fuß des Magnetköpls
Einzelne Felspartien sind schon auf den Gletscher gefallen | Bild: BR

Tatsächlich lösten sich bereits einzelne Felspartien von den steilen Flanken und stürzten auf den Gletscher. Die Piste neben dem Magnetköpfl wurde deswegen schon um einige Meter verlegt.

Niemand kann zum jetzigen Zeitpunkt sagen, wie dramatisch die Ereignisse am Kitzsteinhorn verlaufen werden. Die Forscher wollen die Prozesse weiter untersuchen. Ein Überwachungssystem soll entstehen, das auch in anderen Skigebieten einsetzbar ist. Schließlich müssen die möglichst sicher bleiben, auch wenn Gletscher und Permafrost schwinden.

Autor: Herbert Hackl (BR)

Stand: 13.11.2015 14:20 Uhr

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