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Zur Ader gelassen: Blutegel-Therapie

Mit einer Pinzette wird ein Blutegel "angedockt"
Die moderne Medizin hat den Einsatz von Blutegeln in der Therapie wiederentdeckt. | Bild: NDR

Nicht jeder Blutsauger ist grundsätzlich ein unerwünschter Parasit, der sich gegen deren Willen an seinen Opfern labt. Schon vor Jahrhunderten setzten sich Mensch und Tier absichtlich einem kleinen Saugwurm mit messerscharfen Zähnen aus, dem Blutegel. Wer von ihm gebissen wurde, verspürte Besserung bei den verschiedensten Zipperlein. Seit einigen Jahren erlebt die Egeltherapie eine echte Renaissance und kommt mittlerweile sogar in der modernen Unfall- und Transplantationschirurgie zum Einsatz.

Ein Blutsauger mit Geschichte

Ein Blutegel im Wasser
Blutegel leben in Tümpeln und Bächen | Bild: NDR

Wie genau der Mensch auf den Egel gekommen ist, weiß man nicht. Möglicherweise, so wird gemutmaßt, beobachteten Bauern, dass lahmende Kühe und Pferde freiwillig egelverseuchte Tümpel aufsuchten. Und was dem Vieh nutzte, das konnte man ja auch mal probieren...

Schon Plinius der Ältere (23 bis 79 nach Christus) bekämpfte Gicht und Hämorrhoiden durch das Ansetzen von Blutegeln. Ärzte und Bader des Mittelalters verwendeten Egel zur Behandlung unterschiedlichster Krankheiten. Und bei unseren französischen Nachbarn gab es Mitte des 19. Jahrhunderts gar eine richtige Blutegelmode: Für so gut wie jede Krankheit wurde eine Egeltherapie empfohlen und oft behandelte man weit über die Grenzen der Vernunft hinaus. Da das Hauptziel der Behandlung der Blutentzug war, wurden in manchen Sitzungen bis zu 80 Egel auf einmal angesetzt, üblich sind etwa vier, so dass es zu Todesfällen kam.

Vom Aberglauben zur wissenschaftlichen Erklärung

Die drei Kiefer eines Blutegels
Gut sichtbar durch eine Glasplatte: Ein Blutegel hat drei Kiefer. | Bild: NDR

Warum und wie der Egelbiss auf die menschliche Gesundheit wirkt, wurde erst erforscht, nachdem die Therapie zwischenzeitlich außer Mode gekommen war. Bis dahin war man davon ausgegangen, dass der "Aderlass" quasi eine Reinigung des Körpers mit sich bringe. Erst 1884 entdeckte der britische Physiologe John Berry Haycraft einen der Hauptwirkstoffe im Blutegelspeichel: Hirudin - eine biochemische Verbindung, die die Blutgerinnung hemmt, Gefäßkrämpfe löst und so den Blut- und Lymphfluss verbessert. Die Stoffe Eglin und Bdellin wurden später als schmerzlindernd und entzündungshemmend identifiziert. Doch obwohl inzwischen eine ganze Reihe der Speichelbestandteile bekannt sind, ist nicht wirklich geklärt, wie genau diese Stoffe zusammenwirken.

Der Egel in der modernen Medizin

Der Blutegel findet heute vor allem in zwei Bereichen Anwendung, der plastischen Chirurgie und der Schmerztherapie.

  • Plastische Chirurgie:

Bei Hauttransplantationen werden mittels angesetzter Egel venöse Stauungen abgebaut und Thrombosen verhindert. Dadurch können die Hautlappen optimal miteinander verwachsen. Auch in der Handchirurgie, beim Wiederannähen abgetrennter Finger, nutzt man die Dienste der kleinen Blutsauger.

  • Schmerztherapie:

Insbesondere bei Rheuma, Arthrose und anderen Gelenkserkrankungen hat sich der Einsatz von Egeln bewährt. Auch bei Schmerzen aufgrund von Muskelverspannungen werden Blutegel angesetzt, um eine sogenannte Luxusdurchblutung der betroffenen Stellen zu erreichen. Am Rheumazentrum Mittelhessen wird zurzeit eine Studie zur Behandlung von Patienten mit chronischen Rückenschmerzen durchgeführt.

Blutegelzucht - eine Frage der Hygiene

In einem Sieb befinden sich mehrere Blutegel
Die Aufzucht von Blutegel für die Medizin unterliegt strengen Regeln. | Bild: NDR

Der natürliche Lebensraum des Egels sind Tümpel und Sumpflöcher, nicht direkt Orte, die medizinischen Hygienevorstellungen entsprechen. Egel für den therapeutischen Einsatz werden daher in speziellen Zuchtbetrieben aufgezogen. Der größte Westeuropas liegt im hessischen Biebertal. Etwa eine Million Blutegel tummeln sich hier in 40 Teichen; rund 300.000 werden pro Jahr an human- oder veterinärmedizinische Praxen und Kliniken verschickt.

Die Egel kommen als Importtiere aus Südeuropa (Serbien, Türkei) oder werden direkt in Biebertal nachgezüchtet. Ernährt werden sie zum Beispiel mit Pferdeblut. Bevor sie allerdings auf menschliche oder tierische Patienten losgelassen werden, müssen sie acht Monate lang in einem Quarantäneteich hungern. Das schadet ihnen nicht - sie kommen mit einer einzigen Blutmahlzeit ein Jahr und länger aus. So kann man aber sichergehen, dass sie frei von Krankheitserregern sind, die sie womöglich beim Saugen auf den Patienten übertragen könnten.

Ebenfalls aus hygienischen Gründen kann ein Blutegel nur ein einziges Mal in der Therapie verwendet werden. Die Blutmahlzeit am Patienten ist für den Egel auch die letzte.

Autor: Thomas Wagner (NDR)

Adresse:
Rheumazentrum Mittelhessen
Sebastian-Kneipp-Straße 36
35080 Bad Endbach

Stand: 18.01.2013 15:53 Uhr

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