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El Hierro - ein Vulkan wird geboren

Tauchparadies wird erschüttert

Mann taucht und filmt Fische
Der Deutsche Günter Baumgartel betreibt auf der Kanareninsel El Hierro eine Tauchschule. | Bild: WDR/Neudreh

Seit 15 Jahren leben die Deutschen Günter und Jutta Baumgartel auf El Hierro, der südlichsten und kleinsten der Kanarischen Inseln. Ihre Tauchbasis im Dorf La Restinga profitierte lange von dem Meeresnationalpark, der quasi direkt vor ihrer Haustür liegt. Große Schwärme der verschiedensten Fische konnte Günter Baumgartel hier jeden Tag sehen: Barrakudas, Mönchsfische, Thunfische, einmal schauten sogar Grindwale vorbei. Der Nationalpark war ein wahres Unterwasserparadies und ein Traumziel für viele Taucher.

Doch im Juli 2011 begann eine Entwicklung, die das Leben der Baumgartels im wahrsten Sinne des Wortes erschütterte. Unter der Insel, in etwa 20 Kilometern Tiefe, setzte eine Serie von Erdbeben ein. Wissenschaftler, die die Beben beobachteten, wussten sofort: Dort unten steigt Magma auf und bahnt sich einen Weg durch die Erdkruste.

Explodiert die "Insel der 1000 Vulkane"?

Ein Dorf mit Hafen, vom Berghang aus gesehen
In La Restigna bebte die Erde 500 Mal am Tag. | Bild: WDR/Neudreh

Im Oktober 2011 wurde die Situation brenzlig. "Anfangs waren es 20 bis 30 Erdbeben pro Tag", berichtet Carmen Lòpez, die Leiterin des eigens eingerichteten wissenschaftlichen Vulkan-Beobachtungszentrums in La Restinga. "Im Oktober bebte die Erde an manchen Tagen 500 Mal und viele der Beben konnten die Menschen auch spüren. Außerdem stiegen verstärkt Gase aus der Erde auf. Und die ganze Insel wölbte sich um bis zu fünf Zentimeter."

Der Grund: Aufsteigendes Magma blähte die Insel auf. Unter El Hierro entstand eine riesige Magmakammer. Bald war klar: In der Gegend um La Restinga wird bald ein Vulkan ausbrechen. Die bange Frage war nur: Wo wird es geschehen? Wird vielleicht einer der vielen erloschenen Vulkane auf der Insel wieder aktiv? Entsteht ein neuer Vulkan, vielleicht sogar mitten im Dorf? Die Behörden entschieden: La Restinga muss evakuiert werden. Doch die Menschen hatten Glück: Es entstand zwar tatsächlich ein neuer Vulkan, aber nicht auf der Insel, sondern im Meer. Ein submariner Vulkan, der rund einen Kilometer vor La Restinga schäumte und brodelte.

Das Rätsel der "Schwimmenden Steine"

Schwarze, dampfende Steine schwimmen auf dem Meer
Spektakuläre Lavabrocken, die einen eigenen Namen bekommen: Restingolitos. | Bild: WDR/Neudreh

Mit einem Netz von Messstationen zeichneten die Wissenschaftler Erdbeben und "Tremor" auf, das tieffrequente Grollen, das von der fließenden Lava verursacht wird. Es schien nur eine Frage weniger Wochen zu sein, bis sich eine neue Vulkaninsel aus dem Meer erheben würde - eine gefährliche Situation, denn eine explosive Eruption, die giftige Gase, Aschewolken und Lavabomben spuckt, hätte La Restinga unter Umständen unbewohnbar gemacht. Sonarmessungen, die an Bord eines Forschungsschiffes durchgeführt wurden, zeigten jedoch: Der neue Vulkan war an einem sehr steilen Abhang entstanden. Der Großteil der austretenden Lava türmte sich nicht zu einem Berg auf, sondern floss in ungefährliche Tiefen ab.

Im November 2011 beobachteten die Wissenschaftler etwas Spektakuläres, von dem sie zwar schon gehört, das sie aber noch nie mit eigenen Augen gesehen hatten: Dampfend heiße Lavasteine trieben zischend an der Wasseroberfläche, hohle Blasen aus erstarrter Lava, mit heißem, in der Dunkelheit glühendem Gas gefüllt. In waghalsigen Aktionen fingen die Forscher von einem Boot der Küstenwache aus mit Keschern einige dieser schwimmenden Lavasteine ein, bevor die meisten davon sich mit Wasser vollsogen und untergingen.

In der erstarrten Lava eingeschlossen war ein helles, poröses und sehr leichtes Material, das anfangs für alle ein großes Rätsel war. Es stellte sich heraus, dass dieses Material ehemaliger Meeresboden und Reste verendeter Meerestiere waren. Die Steine waren so ungewöhnlich, dass sie einen eigenen Namen bekamen: Restingolitos.

Aufatmen über und unter Wasser

Fische unter Wasser
Es wird einige Zeit dauern, bis alle Meerestiere wieder zurückgekehrt sind. | Bild: WDR/Neudreh

Monatelang war das Meer vor La Restinga von der riesigen Aschewolke grau-grün gefärbt - und inmitten dieses Flecks zeigte eine Art schäumender Whirlpool an, das hier in großen Mengen vulkanische Gase aufstiegen. Bis zu zwei Jahre, so prognostizierten manche Experten, könne die Eruption dauern. Doch im Februar 2012 war der Spuk vorbei. Der Aschefleck verschwand, das Gas hörte auf zu sprudeln und die Behörden erklärten die Eruption offiziell für beendet.

Während der Eruptionsphase beobachtete Günter Baumgartel immer wieder das Leben im Wasser. Anfangs waren tonnenweise tote Fische ans Ufer gespült worden und es gab die Befürchtung, dass der komplette Meeresnationalpark zerstört sein könnte. Die meisten pflanzenfressenden Fische waren verschwunden und so konnten sich Algen ungehindert ausbreiten. Jetzt schlug die Stunde einer besonderen Unterwasserspezies: Ganze Hundertschaften von "Seehasen" - bis 30 Zentimeter lange Nacktschnecken - weideten mit ihren Raspelzungen die Algenteppiche ab. Mit jedem Tauchgang entdeckte Baumgartel mehr Fische. Einige Tintenfische hatten die Eruption offenbar überlebt. Zwischen den riesigen Betonblöcken der Hafenmauer suchten zahllose Jungfische Schutz. Und mit den Jungfischen kamen Jäger wie der Zackenbarsch zurück. Offenbar erholt sich das Meer schneller als manche Pessimisten befürchtet hatten.

Obwohl noch immer kleine Mengen Gase und sogar etwas Lava aus der Erde quillt, deutet nichts darauf hin, dass der Vulkan noch einmal richtig erwacht. Viel wahrscheinlicher ist es, dass die Kanarischen Inseln jetzt etwa 40 Jahre Ruhe vor dem nächsten Vulkanausbruch haben - jedenfalls laut Statistik.

Autor: Ulf Marquardt (WDR)

Stand: 03.11.2015 13:57 Uhr

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