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Genmücken gegen Tropenkrankheiten

Weltkarte mit Tropenkrankheiten
Tropenkrankheiten bedrohen über die Hälfte der Weltbevölkerung. | Bild: NDR

Tropenkrankheiten wie Malaria, Denguefieber oder die Schlafkrankheit sind weltweit auf dem Vormarsch. Jedes Jahr erkranken laut WHO rund 50 Millionen Menschen an Denguefieber, über 200 Millionen Menschen sind mit Malaria infiziert. Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung ist durch Tropenkrankheiten bedroht. Übertragen werden die Infektionserreger meist durch blutsaugende Insekten. Zu den bedeutendsten gehören der ägyptische Tigermoskito (überträgt das Denguefieber-Virus), die Anopheles-Mücke (überträgt Plasmodium, den Malaria-Erreger) und die Tse-Tse-Fliege (überträgt Trypanosoma brucei, den Erreger der Schlafkrankheit). Wirksame Impfstoffe gibt es gegen keinen der Erreger. Deshalb konzentriert sich die Bekämpfung auf deren Überträger: die blutsaugenden Insekten.

Biologische Kriegsführung

In eine Mücken-DNA wird eine Gen-Sequenz eingebaut
Gentechnik oder Genmanipulation: Eine Lösung im Kampf gegen Tropenkrankheiten? | Bild: NDR

Bislang wurden im Kampf gegen die Überträger vor allem Pestizide eingesetzt. Doch die belasten nicht nur die Umwelt, sie vernichten auch andere Insektenarten und können die Gesundheit von Menschen gefährden. Zudem haben viele Blutsauger bereits Resistenzen gegen verschiedene Pestizide entwickelt.

Die britische Firma Oxitec geht deshalb einen neuen Weg. Sie züchtet Mückenmännchen, die ihre eigene Art ausrotten sollen. Die Forscher manipulieren dafür die Erbinformationen von ägyptischen Tigermoskitos, den Überträgern des Denguefiebers. Per Mikroinjektion wird eine spezielle Gensequenz in Mücken-Eier eingeschleust. Die sorgt dafür, dass das nun "transgene" Insekt große Mengen eines bestimmten Eiweißes produziert. Das setzt einen Selbstzerstörungsmechanismus in Gang. Denn die massenhafte Produktion dieses Proteins zerstört die Zellen, die Mücke vergiftet sich allmählich selbst. Die transgenen Mückenmännchen bekommen zunächst ein "Gegengift"; das Antibiotikum Tetracyclin unterdrückt die Ausschüttung des tödlichen Proteins. Denn bevor sie selbst daran sterben, sollen sie das manipulierte Gen zunächst in die Wildpopulation einschleusen.

"Geburtenkontrolle" für Mücken

Ein Mann trägt einen Behälter mit Mücken
Die ersten Feldversuche mit genmanipulierten Mücken finden bereits statt. | Bild: NDR

Dazu werden Millionen dieser Männchen in der Wildnis ausgesetzt. Dort begatten sie frei lebende Weibchen und übertragen so die zerstörerische Gensequenz auf ihren Nachwuchs. Der stirbt infolgedessen bereits im Larvenstadium ab. Mückenweibchen paaren sich in der Regel nur einmal im Leben. Je mehr transgene Männchen also unterwegs sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie ein Weibchen begatten und dessen Nachwuchs nicht überlebt. Dementsprechend weniger Mücken gibt es in der nächsten Generation. Die Wissenschaftler sprechen daher von "Geburtenkontrolle" für Mücken.

Derzeit testet Oxitec das Verfahren erstmals in einem großangelegten Feldversuch in Brasilien: Im Bundesstaat Bahia im Osten des Landes hat Oxitec Millionen transgene Männchen der ägyptischen Tigermücke freigesetzt. Diese Aktion wurde bislang noch nicht ausgewertet. Doch bei kleineren Versuchen auf den Cayman Islands und in Malaysia war es zuvor gelungen, die dortige Mückenpopulation um etwa 80 Prozent zu reduzieren- und damit auch die Zahl der Neuinfektionen mit Denguefieber.

Gefahr durch transgene Mücken?

Transgene Mücken hinter einem Gitter
Wie problematisch ist der Einsatz von transgenen Mücken? | Bild: NDR

Aber wie gefährlich sind Oxitecs genmanipulierte Mücken? Kann die Gensequenz auf andere Tiere oder gar beim Blutsaugen auf den Menschen übertragen werden? Und was passiert in der Nahrungskette, wenn gezielt eine ganze Spezies ausgelöscht wird? Professor Ernst Wimmer, Biologe an der Universität Göttingen, verfolgt die Forschung an transgenen Insekten seit langem. Er untersucht als Entwicklungsbiologe wie aus einzelnen Zellen komplexe Organismen werden, also etwa welche Gene für das Wachstum von Flügeln verantwortlich sind. Auch das Verfahren von Oxitec ist ihm vertraut. Er sieht darin keine Gefahr für andere Arten: "Eine Übertragung auf andere Tiere oder gar den Menschen ist extrem unwahrscheinlich. Außerdem ist die Gensequenz, die eingebaut wurde, ja ein negatives Merkmal. Und solche negativen Merkmale bringen keine Vorteile für die Art. Sie werden also ausselektioniert, sprich in der Mückenart nicht weitervererbt."

Der Nahrungskette drohen auch keine ernsthaften Konsequenzen, zumal es weltweit mehr als 3.000 Mückenarten gibt. Heimisch sei der ägyptische Tigermoskito, wie der Name schon sagt, in Brasilien sowieso nicht, er wurde dort erst durch den modernen Handel eingeschleppt. Dennoch kritisiert Wimmer das Vorgehen von Oxitec. Er befürchtet, dass die Mücken Resistenzen gegen das "Unfruchtbarkeitsgen" entwickeln. So könnte die Methode langfristig wirkungslos werden. Deshalb fordert der Biologe, bei Freilandversuchen sollte ein weiterer Sterilisationsmechanismus zum Einsatz kommen. Denn gegen zwei voneinander unabhängige Methoden könne ein Insekt praktisch nicht resistent werden.

Sterilisation mit Strahlen

Grafische Darstellung wie Mückenpuppen bestrahlt werden.
Mit Gammastrahlung lassen sich Insekten sterilisieren. | Bild: NDR

Einen solchen Mechanismus hat die Internationale Atomenergiebehörde IAEA in Wien entwickelt. Auch hier züchten die Wissenschaftler unfruchtbare Insektenmännchen. Das Verfahren der IAEA funktioniert zwar anders als das von Oxitec, hat aber einen ähnlichen Effekt: Auch hier werden die männlichen Blutsauger sterilisiert, können sich anschließend zwar fortpflanzen, aber ihr Nachwuchs stirbt spätestens im Larvenstadium ab.

Dazu werden die Puppen männlicher Tse-Tse-Fliegen für kurze Zeit mit radioaktiver Gamma-Strahlung beschossen: Sie werden in einen zylinderförmigen Apparat herabgesenkt, in dem sich kleine Stangen (sogenannte Pencils) aus radioaktivem Kobalt oder Cäsium befinden. Nach außen ist der Behälter mit Blei abgeschirmt. Die Strahlung schädigt die Chromosomen und damit das Erbgut der Samenzellen. Die Tiere überleben die Behandlung, sie können auch weiterhin Weibchen befruchten. Wegen ihrer beschädigten Chromosomen ist aber keine normale Entwicklung zum geschlechtsreifen Insekt möglich.

Dass das Verfahren erfolgreich ist, zeigt ein Versuch auf der Insel Sansibar, die zu Tansania gehört. Dort setzten die Forscher mehr als zehn Millionen unfruchtbare Männchen aus. Sie wurden per Flugzeug großräumig über der ganzen Insel verteilt. So konnte innerhalb weniger Jahre die Tse-Tse-Fliege auf der Insel komplett ausgerottet werden - und mit ihr die Schlafkrankheit und die Rinderseuche Nagana. Seitdem haben sich Fleisch- und Milchproduktion verdoppelt. Für die Insel bedeutete dies einen enormen Fortschritt.

Analyse und Ausblick

Auf Sansibar kam den Forschern die isolierte Lage der Insel zugute. Auf dem Festland, in den Weiten eines Kontinents, ist es ungleich schwerer, Blutsauger zu kontrollieren oder gar auszurotten. Dort müssen ständig neue sterile Tiere ausgebracht werden und das in enormen Mengen. Dennoch könnte die biologische Kriegsführung gegen Blutsauger ein Erfolg versprechender Weg für die Bekämpfung von Tropenkrankheiten sein, meint Ernst Wimmer: "Ob man ganze Krankheiten komplett damit weg bekommt wage ich zu bezweifeln, aber dass man bestimmte Regionen bewohnbarer macht, das glaube ich auf alle Fälle." Denn selbst wenn Erfolge wie auf Sansibar nur schwer zu wiederholen sein dürften: Jeder blutsaugende Überträger weniger verringert das Risiko, an Schlafkrankheit, Denguefieber oder Malaria zu erkranken.

Autor: Alexander Steininger (NDR)

Stand: 17.09.2013 17:01 Uhr