SENDETERMIN So., 18.03.12 | 17:00 Uhr | Das Erste

Papageien – Neubürger im Frühling

Deutschland - Papageienland

Zwei Halsbandsittiche
Kein seltener Anblick in deutschen Städten: Halsbandsittiche. | Bild: BR

Was heute im Rheinland die Spatzen von den Dächern pfeifen, schallt inzwischen lautstark aus exotischen Schnäbeln zurück - Papageien haben sich in deutschen Großstädten einen festen Lebensraum erobert. Seit den 1960er-Jahren haben sich in verschiedenen deutschen Städten stabile Populationen verwilderter Papageienarten gebildet, wie die Gelbkopfamazone oder der Alexandersittich. Sein kleinerer Verwandter, der Halsbandsittich, fühlt sich in Deutschland offenbar ganz besonders wohl: Von ihm gibt es hierzulande inzwischen einen Bestand von bis zu 9.000 Tieren, die sich vor allem in den wintermilden Städten entlang des Rheins zwischen Düsseldorf und Speyer fest in das Stadtbild eingefügt haben. Dieses Phänomen ist nicht allein auf Deutschland beschränkt, allein im Großraum London rechnet man derzeit mit rund 30.000 Halsbandsittichen.

Vor 40 Jahren ausgebüchst

Ein Motorroller volller Vogelkot
Hinterlassenschaften unter einem Schlafbaum. | Bild: BR

Der Biologe Michael Braun erforscht die Heidelberger Papageien seit vielen Jahren, und kann das Rätsel über ihre Herkunft lüften: "Die Halsbandsittiche kommen ursprünglich aus Indien und wurden in den 60er- und 70er-Jahren recht häufig importiert. Die Bestände gehen teilweise zurück auf nur ein oder zwei einzelne Pärchen, die damals vermutlich gut über den Winter durchgefüttert wurden. Keiner hatte damit gerechnet, dass die sich halten werden, aber sie sind jetzt seit mittlerweile fast 40 Jahren hier." Die Papageien sind entflohene Haustiere und das Ergebnis dieses Ausbruchs aus der menschlichen Gefangenschaft vor mehreren Jahrzehnten hat inzwischen beeindruckende Dimensionen angenommen: An einzelnen Schlafbäumen in Deutschland finden sich heute in den Wintermonaten über 1.000 Tiere auf einmal ein. Nur, wie schaffen es diese Exoten, die deutschen Wintermonate einigermaßen unbeschadet zu überstehen?

Durch den Winter im Großstadtdschungel

Papageien im Schnee
Die ursprünglichen Tropenvögel überstehen den deutschen Winter. | Bild: BR

Auffallend ist, dass die Papageien ausschließlich in Städten anzutreffen sind. Hier ist die Durchschnittstemperatur um einige Grade höher als im Umland. Zudem sind sie in Ortschaften besser vor Raubvögeln geschützt - wohl auch deshalb übernachten die Heidelberger Sittiche ausgerechnet an einer der verkehrsreichsten und lautesten Stellen in Heidelberg - direkt am Hauptbahnhof. Michael Braun sieht aber auch in ihrer kulinarischen Experimentierfreude, die sie in Parks und Vorgärten zügellos ausleben, einen wesentlichen Schlüssel zu ihrem Erfolg: "Die Halsbandsittiche haben in ihrer relativ kurzen Siedlungszeit bereits rund 100 verschiedene Pflanzen in ihren Speiseplan aufgenommen. Das Spektrum der Nahrungsquellen ist damit jetzt schon weit größer als bei unseren heimischen Vogelarten." Wirklich angepasst sind die Papageien deswegen allerdings noch nicht. Zwar bietet das Gefieder eine ausgezeichnete Isolation selbst gegen arktische Temperaturen. Doch die sehr dünnen und ungeschützten Zehen der Tropenvögel frieren im Winter oft ab - viele Halsbandsittiche haben deshalb verkrüppelte Füße.

Gefahr für die heimische Vogelwelt oder friedliches Miteinander?

Ein Papagei in einem Vogelfutterhaus
Futterplätze besetzen die Papageien nur kurz. | Bild: BR

Stellen die Neuankömmlinge nicht eine Bedrohung für unsere heimische Vogelwelt dar, falls sie sich weiterhin vermehren? Das vermuten zumindest viele Bewohner der "Papageienstädte" wie Köln, Wiesbaden oder Heidelberg. Hans-Günther Bauer vom Max-Planck-Institut für Ornithologie kann beruhigen: "Es gibt derzeit keine Hinweise darauf, dass die Papageien heimische Arten verdrängen oder gefährden. Gerade die Halsbandsittiche haben sich stark auf die ebenfalls in unser Ökosystem eingebrachte Platane als Nahrungspflanze beziehungsweise Brutplatz spezialisiert, die von endemischen Vogelarten kaum genutzt wird." Dort ist ihr sonst recht stürmisches Verhalten gegenüber alteingesessenen Vogelarten eher zurückhaltend. Man arrangiert sich mit den deutschen Höhlenbrütern wie den Dohlen, die ebenfalls die ebenfalls gerne in den Platanen nisten. An den Vogelhäuschen halten zwar die kleineren heimischen Vögel schon mal Respektabstand zu den großen Sittichen, die aber bleiben kaum länger als einige Minuten an einem Futterplatz - hier kommt auch jeder zum Zuge.

Randale in der Fassade

Ein Papagei vor der "Bruthöhle" in einer Fassade
Fassaden bieten ideale Bedingungen zum Brüten. | Bild: BR

Aus ökologischer Sicht dürften die buntgefiederten Gesellen mit Migrationshintergrund also keine Probleme bereiten. Eher stellt sich die Frage, wie die Bevölkerung auf die Neuzugänge in unserer Vogelwelt reagiert. Denn an einigen Orten haben die Papageien wärmegedämmte Hausfassaden als Brut- und Überwinterungsmöglichkeit für sich entdeckt. Dort bauen sie die ursprünglich von Spechten geschaffenen Wohnhöhlen weiter aus, und richten dabei nicht unerhebliche Schäden an. Michael Braun sieht hierin jedoch kein dauerhaftes Problem: "Die Papageien nehmen normalerweise Brutkästen als Alternative gerne an, wenn man sie ihnen an den betroffenen Stellen anbietet". So lassen sich Schäden vermeiden. Gut so, denn die Papageien werden wohl noch lange bei uns bleiben: In diesem Winter wird für den Alexandersittich seine fünfundzwanzigste nachgewiesene Brutsaison in Deutschland beginnen. Damit gilt diese Art - nach dem Halsbandsittich, der bereits 2006 "eingebürgert" wurde - nun auch für die Wissenschaft offiziell als heimisch.

Heidelberger Papageien-Babys

Halsbandsittiche sind mit zwei bis drei Jahren geschlechtsreif. Als Höhlenbrüter nutzen sie gerne Nistkästen, um darin ihr Nest zu bauen. Um die Brut kümmert sich das Weibchen allein, das Männchen ist für die Nahrungsbeschaffung zuständig. Nach vier Wochen schlüpfen die Küken, um dann im Nest heranzuwachsen. Die Jungen werden nackt und blind geboren. Nach etwa zehn Tagen öffnen sie die Augen und nach drei bis vier Wochen kann man die Gefiederfarbe erkennen.

Während dieser Zeit versorgt sie der Papageien-Papa mit allem, was der Frühlingstisch hergibt: Blüten, Samen und Knospen, aber auch Früchte – bis zu hundert verschiedene Nahrungspflanzen stehen je nach Region zur Verfügung. Nach rund sieben Wochen sind die kleinen Halsbandsittiche flügge und verlassen das elterliche Nest.

Zum Video: Ein Halsbandsittich-Weibchen mit fünf Küken, ca. 2-10 Tage alt - gefilmt von Michael Braun, Diplom-Biologe

Autor: Frank Bäumer (BR)

Stand: 29.10.2015 14:33 Uhr

Sendetermin

So., 18.03.12 | 17:00 Uhr
Das Erste

Sprungmarken zur Textstelle