SENDETERMIN So., 15.07.12 | 17:00 Uhr

Pilze der Unterwelt

Mykorrhizapilze liegen auf einer Hand
Winzig kleine Pflanzen-Helfer: Mykorrhizapilze | Bild: HR

In einem Wald in der Nähe von Göttingen sucht Andrea Polle mit ihrem Mitarbeiter nach Pilzen, aber nicht nach gewöhnlichen Pilzen. Die Professorin für Biologie hat es auf Mykorrhizapilze abgesehen. Mit einem Stechzylinder nimmt sie eine Probe aus dem Erdreich. Denn das Objekt ihrer Begierde wächst unter der Erde an der Baumwurzel. Diese mikroskopisch kleinen Mykorrhizapilze haben ein enormes Potenzial - sie helfen dem Baum beim Wachsen.

Zunächst jedoch hat der Pilz nur ein Ziel: Er will dem Baum Nährstoffe entziehen. Mit seinen kleinen Fäden, den sogenannten Hyphen, dringt der Pilz in das Baum-Wurzelende ein und holt sich Kohlenstoffe, vor allem in Form von Zucker. Doch das schadet dem Baum nicht, ganz im Gegenteil: Denn der Pilz versorgt den Baum mit natürlichem Dünger, vor allem Phosphor und Stickstoff - wichtige Nährstoffe für den Baum. Diese Stoffe entzieht der Pilz dem Bodenumfeld und transportiert sie an die Baumwurzel. Die kann den Dünger dann aufnehmen. Der Pilz entzieht dem Boden mit seinem weitverzweigten Geflecht außerdem Wasser. Auch das transportiert er bis zur Wurzel und der Baum nimmt es auf.

Pilze als Düngerersatz bei Nutzpflanzen

Weizenfeld in der Sonne
Phosphor ist ein wichtiger Dünger für Nutzpflanzen. | Bild: HR

Genau deshalb könnten Mykorrhizapilze in Zukunft noch wichtiger werden. Denn Wasser, aber auch Dünger werden künftig immer knapper: Zum Beispiel geht Phosphor, der für die Düngerherstellung wichtig ist, vorrausichtlich in spätestens 100 Jahren zur Neige und fehlt dann wichtigen Nutzpflanzen. Speziell gezüchtete und in den Boden eingebrachte Mykorrhizapilze könnten helfen, diesen Mangel auszugleichen, indem sie den Phosphor verstärkt aus dem Bodenumfeld der Nutzpflanze ziehen und ihr zur Verfügung stellen. Noch wichtiger werden die Pilze aber in Gebieten mit Wassermangel. Durch den Klimawandel wird sich dort die Situation noch verschärfen. Wissenschaftler prognostizieren, dass die Ernteerträge wichtiger Nutzpflanzen dadurch um bis zu 30 Prozent geringer ausfallen könnten. Doch funktioniert die Allianz mit den Pilzen auch bei Nutzpflanzen?

Versuche mit Weizen

Mykorrhizapilze werden mit Erde gemischt.
Pilze in der Erde sollen der Weizenpflanze helfen, trotz Wassermangels gut zu gedeihen. | Bild: HR

Genau dieser Frage geht Professor Albrecht Serfling nach. In einem großangelegten, mehrjährigen Projekt düngt der Botaniker des Quedlinburger Julius Kühn-Instituts verschiedene Weizenpflanzenarten mit Mykorrhizapilzen. Die Pflanzen sollen dann in einem sehr wasserarmen Boden wachsen. Bei anderen Getreidearten waren diese Versuche schon sehr vielversprechend. "Bei Mais wurde die Mykorrhizierung schon erfolgreich angewendet", erklärt der Nutzpflanzen-Experte. "Besonders unter Phosphor- und Wassermangelbedingungen konnten dort sehr positive Effekte auf das Pflanzenwachstum festgestellt werden. Bei Weizen war das bisher nicht so." Deshalb impft Albrecht Serfling über 100 verschiedene Weizensorten mit Mykorrhizapilzen. Dadurch will er genau die Sorten finden, die mit den Pilzen am besten kooperieren. Solche Weizenarten könnten dann im Zusammenspiel mit dem Mykorrhiza-Dünger und der verbesserten Wasserversorgung die Ernteerträge sichern. Und die ersten Ergebnisse seien durchaus erfolgversprechend, so Serfling.

Jahrtausende altes Zusammenspiel

In Bernstein eingeschlossene Mykorrhizapilze
Mykorrhizapilze finden sich auch in Bernstein-Fossilien.  | Bild: HR/ Uni Göttingen

Die Wurzeln der Pflanzen zu versorgen - diese Aufgabe haben die Pilze schon sehr früh übernommen. Sie haben dafür gesorgt, dass Pflanzen auf der Erde überhaupt wachsen konnten. Denn Pflanzen existierten zunächst nur im Wasser. Wegen ihrer schwachen Wurzeln konnten sie an Land lange Zeit nicht überleben. Die Forscher glauben, dass es die Mykorrhizapilze waren, die den Pflanzen den Weg an Land ermöglichten, indem sie diese mit dem Wasser aus dem Boden und den nötigen Mineralstoffen versorgten. Wissenschaftliche Beweise dafür waren bislang allerdings rar. Doch dann machte Professor Alexander Schmidt in einem New Yorker Naturkunde-Museum durch Zufall eine spektakuläre Entdeckung. Er fand ein Stück Bernstein, und darin eingeschlossen: eine Pflanzenwurzel, die von einem Mykorrhizapilz besiedelt ist. "Das Bernstein-Fossil ist 52 Millionen Jahre alt und zeigt uns, dass Mykorrhizen schon in frühen tropischen Regenwäldern - der Bernstein stammt aus Indien - eine große Bedeutung hatten", erläutert der Göttinger Geologe. Die Forscher gehen mittlerweile sogar davon aus, dass die ersten Mykorrhizapilze in tropischen Gebieten schon vor 400 Millionen Jahren existierten. Also zu jener Zeit, in der die Wasserpflanzen damit begannen, Schritt für Schritt das Festland zu besiedeln.

Viele Funktionen der Mykorrhizapilze noch gar nicht erforscht

Auch heute halten die Mykorrhizapilze noch etliche Überraschungen bereit: Erst kürzlich entdeckten Andrea Polle und ihre Kollegen, dass viele unterschiedliche Arten von Mykorrhizapilzen bei der Versorgung der Wurzeln eine Rolle spielen. Bis zu 100 verschiedene Mykorrhizapilze können zum Beispiel an einer einzigen Buche siedeln. "Schätzungen sagen heutzutage, dass wir bestimmt 25.000 bis 30.000 verschiedene Pilzarten haben, die mit den Bäumen Gesellschaften eingehen können", erklärt uns die Wissenschaftlerin. Sie ist davon überzeugt, dass die zahlreichen Mykorrhizapilze ganz unterschiedliche Funktionen für Pflanzen und Bäume haben. Welche das genau sind, will sie jetzt in einem auf mehrere Jahre angelegten Forschungsprojekt analysieren. Die ausgeklügelte Partnerschaft zwischen Pilzen und Pflanzen hält also noch viele Überraschungen bereit. Je genauer wir diese Symbiose verstehen, desto besser werden wir sie auch für uns nutzen können.

Autor: Stefan Venator (HR)

Stand: 18.02.2013 12:29 Uhr

Sendetermin

So., 15.07.12 | 17:00 Uhr