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Weißwale am St. Lorenzstrom

Die südlichste Weißwalpopulation der Erde

Ein Beluga taucht auf
Vom Aussterben bedroht: Belugas | Bild: BR

Die Ureinwohner Kanadas verehren ihn seit Jahrtausenden als mythisches Tier, als Retter in der Gefahr oder als Richter derer, die Böses tun: Den Beluga. Der Weißwal gilt als ein Tier, das tausend Sprachen spricht. Heute ist er dem Menschen und seinen Machenschaften hilflos ausgeliefert - die weißen Wale am St. Lorenzstrom sind vom Aussterben bedroht.

Gefahr durch Gift

Ein toter Beluga schwimmt auf der Wasseroberfläche
Ein totes Beluga Weibchen | Bild: BR

Die Rangerin Manuela Conversano vom Saguenay-Sankt Lorenz Marine Nationalpark hat einen toten Beluga gesichtet. Sie kämpft mit den Tränen, denn die Weißwale sind ihr Leben. "Ich bin einfach nur traurig. Das ist mein erster toter Beluga. In sieben Jahren als Beluga-Beobachterin beim Park habe ich nur quicklebendige Wale gesehen. Ein Tier jetzt vor mir tot zu sehen, ist einfach nur schrecklich für mich." Die Tiere an der franco-kanadischen Küste sind einer besonderen Gefahr ausgesetzt. Aus einem Einzugsbereich größer als Frankreich trägt der St. Lorenzstrom mit den Abwässers der großen Städte wie Montreal oder Quebec viele Zivilisationsgifte heran. Die Giftstoffe reichern sich im Fettgewebe der Tiere an. Das ist inzwischen bekannt und führte zum Verbot vieler Stoffe.

Doch die Biologin weiß aus vielen Untersuchungen: Krebs und Infektionskrankheiten sind die häufigsten Todesursachen der Belugas. Manuela ist vom Ergebnis ihrer neuesten Gewebeproben nicht überrascht: "Unter den Chemikalien sind echte Langzeithämmer. Bis vor 30 Jahren wurde DDT verwendet. Doch bis heute finden wir Spuren im Fett und in der Haut der Tiere. Die Mütter geben die Belastung über das Blut und die Milch über Generationen weiter."

Ständig kommen neue Substanzen auf den Markt. Laut einer kanadischen Umweltschutzorganisation verdoppelt sich alle vier Jahre die Belastung mit bromhaltigen organischen Chemikalien, die als Flammschutzmittel in vielen Kunststoffen und Textilien eingesetzt werden. Trotz aller Bemühungen des Nationalparks - es wird dauern, bis Gesetze greifen. Die Rettung der Belugas ist ein Wettlauf gegen die Zeit.

Historische Isolation

Ein Beluga Weibchen im St. Lorenz
Belugas werden bis zu 40 Jahre alt. | Bild: Flowmotion Film

Die Beluga-Population im Mündungsgebiet von Saguenay und St. Lorenz ist die südlichste auf unserem Planeten. Rund 80.000 Tiere leben noch in den Meeren rund um den Nordpol. Dabei haben sie eine einzigartige Geschichte: Bevor der gewaltige St. Lorenz Strom an der kanadischen Ostküste in den Atlantik mündet, trifft er auf einen anderen Fluss, den eher unscheinbaren Saguenay.

Hier begann vor fast 100.000 Jahren eine Katastrophe, in deren Zentrum eine Gruppe von Weißwalen stand. Riesige Herden der bis zu fünf Meter langen Wale lebten und jagten dort, wo heute die beiden Flüsse zusammenfließen. Doch dann brach die Wisconsin-Eiszeit an und für die Belugas änderte sich ihr Lebensraum völlig. Riesige Gletscher verriegelten ihren Lebensraum mit gewaltigen Eisbarrieren. Die Rückkehr ins offene Meer war unmöglich. Die Belugas waren für Tausende von Jahren gefangen und von ihren Verwandten im Norden abgeschnitten. Einige Belugas überlebten die eisige Falle, weil sie perfekt an die Kälte angepasst waren. Bis zu 15 Zentimeter dick ist die Haut der Weißwale. Darunter befindet sich bis zu 20 Zentimeter isolierender Speck.

Als die Temperaturen stiegen und die Eiswände aufbrachen, waren die überlebenden Belugas frei. Doch sie zogen nicht zurück nach Norden zu den anderen Belugas, die heute noch an den Eisrändern rund um den Nordpol leben - sie blieben.

Ursache: Vergiftete Beutetiere

Fischschwarm
Belugas fressen alle Arten von Fischen. | Bild: Flowmotion Film

An der Mündung des Saguenay in den St. Lorenz-Strom ist das Wasser nur 25 Meter tief. An diesem Hindernis stauen sich Massen von Kleinstlebewesen. Genau dort ist Manuela mit Ivan Simard, einem der bekanntesten Belugaexperten, unterwegs. Sie wollen das Fressverhalten der Weißwale verstehen. Bei Flut sammeln sich hier riesige Krill- und Fischschwärme. Das lockt 13 verschiedene Wal- und Delphinarten an, die aus Tausenden Kilometern Entfernung aus dem Atlantik in das Gebiet kommen.

Doch während diese Finnwale oder Schnabelwale wieder verschwinden, wenn sie satt sind, leben die Belugas ständig hier. Dabei vergiften sich die Weißwale langsam. Die Forscher glauben: Die Ortstreue ist das Problem der weißen Wale. 1866 wurden am St. Lorenz noch 7.800 Tiere gezählt. Heute sind es noch 1.100 und ihre Zahl steigt trotz aller Schutzmaßnahmen nicht an.

Den Ursachen auf der Spur

iologin Manuela Conversano
Die Biologin Manuela Conversano erforscht seit sieben Jahren die Belugas. | Bild: BR

Um herauszufinden, welches Futter die Tiere aufnehmen, arbeiten die Biologen mit einem High-Tech-Echolot. Mit diesem Gerät können sie Fischschwärme aber auch Kleinstlebewesen wie Plankton präzise aufspüren. Auch die Belugas spüren ihre Beute mit einem körpereigenen Echolotsystem auf, der so genannten 'Melone' – das gibt ihrem Kopf die auffallende runde Form.

Im heißen Sommer vor zwei Jahren stieg die Wassertemperatur durch die Klimaerwärmung kurzzeitig an. Die Folge: Eine giftige Algenart vermehrte sich explosionsartig, wurde von Fischen gefressen und vergiftete wohl dadurch zahllose der fischfressenden Belugas. In ihrem Fett fanden Wissenschaftler hohe Konzentrationen des Algengiftes. Manuela und Ivan wollen diese Zusammenhänge verstehen.

Weißwale können bis zu vierzig Jahre alt werden - vielleicht schaffen es die Forscher dafür zu sorgen, dass einige Wale am St. Lorenzstrom dieses Alter auch wirklich erreichen.

Autor: Florian Guthknecht (BR)

Stand: 13.11.2015 14:20 Uhr

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