Interview mit Produzent Ulrich Lenze

»Wir werden uns über die Rolle der Bundeswehr verständigen müssen.«

Wie hat die Bundeswehr auf ihr Vorhaben reagiert, das Bombardement von Kunduz zu verfilmen?

Da wir ja keine Gegenleistung anbieten konnten und wollten, haben wir die Bundeswehr auch nicht um Unterstützung gebeten. Wir mussten, weil es die Dienstverträge so vorsehen, um Genehmigung für Interviews mit beteiligten Soldaten bei den vorgesetzten Dienststellen nachsuchen. Das waren wohlgemerkt Soldaten und auch hohe Offiziere, die zu solchen Gesprächen vor der Kamera selbst bereit waren. Und wir haben nach Filmdokumenten aus dem Bundeswehr- Archiv gefragt, die übrigens aus öffentlichen Mitteln für öffentliche Zwecke finanziert werden. Beides wurde uns verweigert. Die Gründe der Ablehnung wechselten. Eines der wunderlichsten Argumente war, dass man Spielfilme und Dokumentationen unterstütze, aber keine Mischformen aus beidem.

Welche Quellen liegen dem Film zugrunde?

Zum einen haben uns hochrangige, heute nicht mehr aktive Militärs, die keine Genehmigung mehr brauchen, Interviews gegeben. Darunter der damalige, im Zuge der Affäre entlassene Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und der inzwischen pensionierte, seinerzeit ranghöchste Chef des ISAF-Einsatzes General Egon Ramms. Andere Soldaten haben uns vertraulich, also ohne Kameras, Informationen geliefert. Schließlich sind wir an die jeweils geheimen Protokolle des Untersuchungsausschusses und des Funkverkehrs zwischen dem deutschen KSK-Befehlsstand in Kunduz und den US-Piloten der beiden F-15-Bomber gekommen. Wie, kann ich verständlicherweise nicht sagen.

Hat auch das Verteidigungsministerium dicht gemacht?

Wir haben uns bei der Recherche zunächst auf den üblichen Instanzenweg begeben, also Presseoffiziere angeschrieben. Weil wir da ein ums andere Mal strandeten, suchten wir die Führung des Ministeriums direkt auf, namentlich den Sprecher des amtierenden Verteidigungsministers Thomas de Maizière. Ich habe mich bemüht klar zu machen, dass der Film so oder so entsteht, dass die Öffentlichkeit einen Anspruch auf Aufklärung hat und es auch im Interesse der Bundeswehr liegen dürfte, sich nicht einzubunkern. Schauen Sie, meiner Meinung nach ist die Bundeswehr, im Unterschied zu den Armeen der europäischen Nachbarn, bis heute nicht wirklich in unserer Gesellschaft angekommen. Wir werden uns nach Wehrmacht und nach dem Ende des Kalten Krieges über die Rolle der Bundeswehr verständigen müssen, nicht nur anlässlich von Flutkatastrophen, sondern vor allem dann, wenn bei den sogenannten Auslandseinsätzen etwas schief geht. Ich verstehe, dass der Bundesregierung und de Maizière der Bombenabwurf von Kunduz unangenehm ist. Wenn aber legitimerweise reklamiert wird, die Soldaten in der Ferne bräuchten unsere Rückendeckung, muss auch und gerade dann eine offene und kritische Diskussion stattfinden, wenn dort Einsatzregeln verletzt werden oder größeres Unrecht geschieht. Das haben Herr de Maizière und sein Stab aber leider anders gesehen.

Haben Sie die Ex-Verteidigungsminister Jung und zu Guttenberg um ein Interview gebeten? Warum äußert sich Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht?

Unser Film erzählt die Vorgeschichte und den Verlauf der Nacht zum 4. September 2009. Und er endet damit. Den damals zuständigen Minister Jung haben wir interviewt, er hat aber wenig zur Aufklärung beigetragen. Die Rolle, die sein Nachfolger zu Guttenberg beim Umgang mit den Ereignissen gespielt hat und dessen Bauernopfer, sind nicht mehr Gegenstand der Erzählung. Die Bundeskanzlerin hat mit Verweis auf Terminnot abgesagt.

Das Bombardement liegt knapp vier Jahre zurück, die Untersuchung ist längst abgeschlossen, Oberst Georg Klein ist juristisch entlastet. Was trieb Sie an, die Affäre Kunduz wieder aufzurollen?

Erstens ist die Bombardierung der Tanklaster in Kunduz der bislang opfer- und folgenreichste Kriegseinsatz der Bundeswehr. Dann ist der Freispruch des Oberst Klein aus meiner Sicht höchst fragwürdig. Dass Klein zumindest gegen bestehende NATO-Einsatzregeln massiv verstoßen hat, steht für mich außer Zweifel. Trotzdem wird er zum General befördert. Aber er ist zugleich ein Mensch, der im wahrscheinlich wichtigsten Moment seines Lebens allein war, der sich massiv unter Druck fühlte und Angst hatte, etwas Falsches zu tun, und der dabei das Leben Unbeteiligter aufs Spiel setzte. Das macht ihn zu einer beachtlichen dramatischen Figur. Diese inneren Konflikte löst Matthias Brandt durch sein virtuoses Spiel wunderbar ein. Er entkleidet den Oberst gewissermaßen seiner Uniform und macht ihn zu einer Art Kriegsmanager, zu einem greifbaren, nämlich überforderten Menschen. Im Grunde kann sich Klein bei Brandt bedanken.

Wie oft haben Sie sich um Klein bemüht?

Wir haben dem Oberst einen langen Brief geschrieben und ihm nicht nur angeboten, sondern geraten, sich selbst zu stellen, nachdem sich so viele Leute über ihn geäußert hatten. Die Redaktion und der Justitiar des NDR haben sich parallel an ihn gewandt. Er hat bedauerlicherweise abgelehnt. Was er insgeheim befürchtete, entzieht sich meiner Kenntnis. Aber wahrscheinlich hätte er, weil er noch im Dienst der Bundeswehr ist, auch keine Genehmigung bekommen.

Oder er hat befürchtet, als Mörder dargestellt zu werden? Der Titel des Films lässt dies vermuten.

Wir haben über diesen Titel lange und überaus kontrovers diskutiert. Wer den Film sieht, wird bemerken, dass wir Oberst Klein keiner Mordtat im strafrechtlichen Sinne, des unbedingten Vorsatzes oder niederer Beweggründe bezichtigen. Es wurde gegen ihn wegen eines Kriegsverbrechens ermittelt. Er wurde freigesprochen, wenn auch nach meinem Empfinden nicht erster Klasse. Mörderisch war seine Entscheidung im Sinne der Zahl und der Arglosigkeit der meisten ihrer Opfer dennoch.

Wie haben die Sender auf das Projekt reagiert? Sind Sie anfangs abgeblitzt, weil angeblich Krieg nicht gut ist für die Quote?

Nein, der Chef vom Fernsehfilm im NDR, Christian Granderath, hat von der ersten Minute an gesehen, welche Dimension in diesem Stoff steckt. Er hatte noch ein Angebot von anderer Seite, aber die bewährte Konstellation von Regisseur und Produzent, wir hatten ja schon andere gute Filme hervorgebracht, überzeugte ihn offensichtlich am meisten.

Gab es besondere Schwierigkeiten, den Film zu finanzieren?

Schwierig ist es fast immer. In diesem Fall kam hinzu, dass alle Beteiligten mehr wollten als ein Kammerspiel in einem Kommandobunker. Krieg sollte gezeigt werden. Ein geschundenes Land. Überfälle, Anschläge. Der Belagerungszustand des deutschen Camps. Der Terror der Taliban, die drangsalierten afghanischen Dorfbewohner, das Inferno des Bombenabwurfs und so weiter. Viel Stoff für einen deutschen Fernsehfilmetat. Aber ich bin stolz darauf, was wir da mit relativ sehr beschränkten Mitteln auf die Leinwand und den Schirm gebracht haben.

Sie wollten ursprünglich in Jordanien drehen? Warum klappte das nicht?

Von Anfang an waren Jordanien und Marokko im Topf. Von der Topographie und der dörflichen und kleinstädtischen Szenerie her wäre Jordanien sehr reizvoll gewesen. Aber am Ende hat die bessere filmindustrielle Struktur Marokkos entschieden. Auch der Transport des technischen Equipment von Deutschland aus war etwas einfacher.

Ist der Fictionanteil höher als in den vorherigen Filmen, die Sie zusammen mit Raymond Ley realisiert haben?

Nein, der war immer ziemlich hoch. Höher zum Beispiel als bei den Dokudramen von Heinrich Breloer, mit dem ich das „Todesspiel“ gemacht habe.

Warum haben Sie die Geschichte nicht als reines Drama produziert? Als Kriegsthriller, der auf wahren Begebenheiten beruht, so wie „Zero Dark Thirty“ von Kathryn Bigelow. Ist das Dokudrama besonders geeignet, um solche komplexen Stoffe für die Primetime aufzubereiten?

Das würde ich so nicht sehen. Das hat auch nichts mit Eignung, mit Primetime oder sonst was zu tun. Diese Mischform oder diese „offene Form des Fernsehspiels“, wie Horst Königstein und Heinrich Breloer das immer genannt haben, hat seine eigenen Reize. Und es ist zweifellos eine sehr fernsehgemäße Form, weil Sie den Zuschauer quasi hinter die ihm aus „Tagesschau“ oder anderen Quellen vertrauten Bilder führen. Das gibt der Geschichte den unausweichlichen Druck des tatsächlich Geschehenen, bereichert durch die innere Geschichte der Handelnden, ihrer Motive, Gefühle, Psychogramme. Es ist indes auch ein Genre, das vom Zuschauer eine gewisse Konzentration fordert.

Ist Ihnen das Militärische vertraut? Haben Sie gedient?

Nein, zumindest militärisch habe ich nicht gedient. Ich habe aber auch nicht verweigert. Mich hat man irgendwie übersehen – ich wurde erst einberufen, als ich mit dem Studium schon zu weit war.

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