Gespräch mit Nina Petri

"Lenes Haltung spiegelt ein bestimmtes Anspruchsdenken unserer Gesellschaft wieder"

Architekt Alex Bellheim (Steven Scharf) und Bauherrin Lene Müller zu Waldstetten (Nina Petri)
Nina Petri in ihrer Rolle als Bauherrin Lene Müller zu Waldstetten  | Bild: ARD/Degeto/Aspekt Telefilm / Gordon Timpen

Lene ist Single, sehr gut verdienend, ohne jegliches Verständnis für arbeitende Mütter. Im Grunde der komplette Gegenentwurf zu ihrem eigenen Leben, alleinerziehend mit Zwillingen. Gibt es dennoch Züge an Lene, die Sie bei sich selbst wiederentdecken?

Eine Figur ist ja nicht eindimensional angelegt, sondern hat verschiedene Facetten. Insofern gibt es schon Parallelen. Lene nimmt ihren Beruf sehr ernst und liebt ihn, auch mir ist mein Beruf sehr wichtig. Ich bin leidenschaftlich Schauspielerin, mein Beruf spielt neben meinen Kindern eine zentrale Rolle in meinem Leben. Um etwas zu erreichen, braucht man eine gewisse Zielstrebigkeit – nicht einfach ins Blaue hinein arbeiten, sondern schon zu schauen, wohin man will. Konkret heißt das für mich, was macht man, welche Rollen nimmt man an und mit welchen Menschen will man arbeiten. In diesem Punkt sehe ich durchaus eine Ähnlichkeit mit Lene.

Für Lene stehen Arbeit und Erfolg an oberster Stelle. Kinder sind eine Karrierebremse – das haben Sie auch erfahren müssen, als sie schwanger waren und keine Rollen mehr bekamen. Was muss sich in unserer Gesellschaft ändern?

Als Schauspielerin ist es nun wirklich schwer, schwanger eine Rolle zu bekommen. Die müsste ja quasi extra geschrieben werden. Da war es ganz logisch, dass ich erstmal nicht arbeiten konnte. Das größte Problem als Selbstständige ist es allerdings, dass man keine soziale Absicherung hat. Bezahlter Mutterschutz ist ein Privileg der Festangestellten, die haben es da etwas besser. Allerdings spiegelt Lenes Haltung ein bestimmtes Anspruchsdenken unserer Gesellschaft wieder – da sind Kinder nur ein Aspekt – dass in unserer Berufswelt kein Platz mehr für persönliche Befindlichkeiten ist. Sobald man eine Schwäche zeigt, wenden sich die Menschen abrupt von einem ab. Kinder sind da natürlich ein sichtbarer Störfaktor und zeigen deutlich, dass man nicht ausschließlich für seinen Beruf lebt. Gerade auch in meiner Branche ist diese Haltung sehr ausgeprägt. Wenn Du Dir den Fuß brichst, fragt man nicht als Erstes, was man vielleicht für Dich tun kann, sondern drängt eher darauf, dass es doch irgendwie weitergehen muss und bietet Dir Schmerzmittel an. Dahinter steckt immer ein unterdrückter Befehl: Du musst aber! Am Beispiel von Nina sehen wir im Film, wie sie sich in diesem Modell verrennt.

Ihre Figur Lene zeigt ganz deutlich, dass Solidarität unter Frauen enge Grenzen hat. Entspricht das Gegenüber nicht dem eigenen Lebensentwurf, wird es bekämpft. Haben die Männer den Frauen da etwas voraus?

So exemplarisch habe ich das Gott sei Dank noch nicht erlebt. Allerdings wird man als arbeitende Frau und Mutter ständig gefragt, wo denn die Kinder sind. Früher war ich versucht zu antworten, dass ich sie gerade am Bahnhof mit 'ner Wolldecke abgesetzt hätte und sie jetzt zusehen müssten, wie sie allein durch den Tag kommen. Männer werden nie danach gefragt, wo ihre Kinder sind, wenn sie arbeiten. Im Gegenteil, Männer mit Kindern haben heutzutage quasi das Gütesiegel: doppelt-sexy.

Ist Lene glücklich mit ihrem Leben oder doch eher einsam?

Es gibt ja nie nur die eine Seite der Medaille. Irgendetwas fehlt immer. Hat man Kinder, gibt es da die kinderlosen Freundinnen, die die ganze Welt bereisen und immer das machen können, was sie gerade wollen. Hat man keine Kinder, gibt es die Freundinnen mit Familie und man denkt vielleicht manchmal, das wäre auch schön. Ich kenne Frauen, die sich recht früh entschieden haben, keine Kinder zu bekommen und bis heute mit dieser Entscheidung sehr glücklich sind. Manchmal kann sich so ein Gefühl auch ändern, dass man mit Anfang 20 noch gegen eigene Kinder ist, mit Mitte 30 die Sache aber plötzlich ganz anders aussieht. Das 100 Prozent perfekte Glück gibt es wahrscheinlich nicht. Bei Lene gehe ich davon aus, dass sie sich ganz bewusst für ihre Lebensform entschieden hat. Ich habe einmal eine ähnliche Rolle gespielt und seinerzeit dafür etwas recherchiert. Wenn Du in der Baubranche als Frau groß rauskommen willst, dann musst Du alles andere zurückstellen. Ihre Rücksichtlosigkeit ist sicher ihrem Beruf geschuldet.

Um ihren Job zu behalten und bei Lene nicht in Ungnade zu fallen, verheimlicht Nina sogar ihre Familie. Reine Fiktion oder realistischer als man denkt?

Ich kann mir ganz gut vorstellen, dass es das wirklich gibt. Ich glaube sogar, dass Schwangerschaften öfter verheimlicht werden, um einen bestimmten Auftrag oder Job zu bekommen.

Schließlich zollt Lene gegenüber Ninas fast übermenschlicher Leistung doch großen Respekt. Woher kommt ihr Sinneswandel?

Als Lene merkt, dass Nina sie belogen hat, erkennt sie erst, wie enorm hoch der Druck war, den sie aufgebaut hat und zu welchen Höchstleistungen Nina imstande war. Dass sie als Architektin und Mutter bis an ihre Grenzen und noch darüber hinaus gegangen ist. Was in vielen Branchen, unter anderem auch in meiner, vermittelt wird, ist doch, dass die Welt untergeht, wenn man nicht sofort funktioniert – so sieht es auch Lene. Nina beweist ihr dann, dass die Welt sich durchaus weiterdreht, wenn alle einmal kurz durchatmen.

Die Vereinbarkeit von anspruchsvollem Beruf und Familie, ist das wirklich machbar oder im Grunde immer noch die Quadratur des Kreises?

Es ist die Quadratur des Kreises und verlangt allen Beteiligten, Kindern und Eltern, unheimlich viel ab. Man muss akzeptieren lernen – und ich musste das auch lernen – dass man eben manchmal nicht die Super-Mutter sein kann. Dass es statt Bio eben auch mal Tiefkühlkost sein muss. Das hat viel mit dem eigenen Perfektionsanspruch zu tun. Es gehen nicht immer 100 Prozent, sondern manchmal nur 80 Prozent. Für den Job heißt das dann konkret, dass ich z.B. nicht mehr um 20 Uhr an einer Besprechung teilnehmen konnte. Und man stelle sich vor, der Film wurde trotzdem gedreht.

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