Gespräch mit Henriette Buëgger

Sie schrieb das Buch zu "Unterm Radar"

»Irgendwann habe ich mir vorgestellt, dass ich in einem Verhörraum sitze und sage: Ich wollte doch nur ein Drehbuch schreiben …«

Auf der Suche nach ihrer Tochter gerät Elke Seeberg (Christiane Paul) in große Gefahr.
Auf der Suche nach ihrer Tochter gerät Elke Seeberg in große Gefahr. | Bild: WDR / Nik Konietzny

Was stand am Anfang des Projekts "Unterm Radar"?

Die Mutter-Tochter-Geschichte. Ich wollte die Geschichte einer Mutter erzählen, deren Tochter etwas Schreckliches begangen hat, und der dadurch der Boden unter den Füßen weggezogen wird.

Und dann kam die politische Dimension dazu?

Ich habe den Stoff 2008 begonnen, als ich an der National Filmschool Ireland meinen Master im Fach "Drehbuch" gemacht habe. Damals war die Verschärfung der BKA-Gesetze ein großes Thema in Deutschland, und die Terrorgefahr beschäftigte die Menschen seit 2001 ohnehin. Es war dann sehr schnell für mich klar, dass ich von einer Mutter erzählen würde, deren Tochter verdächtigt wird, eine Terroristin zu sein. Und es war fast logisch, dass die Mutter im Rechtssystem arbeiten muss.

Warum?

Weil ich mich auf die Suche nach der wirklich schlimmstmöglichen Kombination für diese Mutter gemacht habe. Ich habe mich nicht hingesetzt und gesagt: So, ich will jetzt etwas über Terrorismus schreiben. Meine Triebfeder war immer diese Mutter. Ich habe ja lange als Dramaturgin gearbeitet, und ich finde, man merkt es meistens, wenn zuerst ein Thema da war – Terrorismus, Drogenabhängigkeit, so etwas – und anschließend Figuren entworfen werden, die dazu passen. Mich interessieren immer die urmenschlichen Konflikte. Sie sind für mich der Ausgangspunkt.

Wie ging es dann weiter?

Ich habe angefangen zu recherchieren. Unter anderem habe ich eine Zeitlang eine Richterin begleitet und viel über Eltern gelesen, deren Kinder ein schweres Verbrechen begangen haben, dazu natürlich auch viel über Terrorismus und Überwachung. Wie gesagt, 2008 gab es wegen der Neufassung der BKA-Gesetze eine intensive Diskussion. Die einen befürchteten, Deutschland würde zum Polizeistaat werden, die anderen sagten: Ja, aber die Terroristen sind so schnell, wir müssen auch schnell werden – damit habe ich mich beschäftigt. In der Tiefe des Netzes habe ich auch vieles gefunden, was in der Öffentlichkeit überhaupt noch nicht Thema war, wie z.B., dass es in Polen ein Geheimgefängnis der Amerikaner gab. Dann kam Snowden, dann kam die NSA – ganz viel, was in dem Film vorkommt, ist mittlerweile mehr oder weniger Allgemeinwissen, deshalb konnten wir in der letzten Drehbuchfassung ganz viele Erklärungen rausnehmen.

2008 waren Sie Ihrer Zeit also voraus?

Da war ganz viel Spekulation, resultierend aus einem unguten Gefühl. Ich habe mich gefragt, was für mich als Bürgerin bei diesem Thema die größte Bedrohung wäre und was eine Figur wie der Ermittler König wohl tun würde, wenn er dermaßen viel Macht bekäme. Letztlich habe ich mir immer das Schlimmste ausgemalt. Es kam dann immer mal wieder eine leichte Nervosität auf, dass uns die Wirklichkeit überholen könnte und der Stoff bei der Ausstrahlung nicht mehr aktuell sein würde. Das ist zum Glück nicht geschehen. Für mich spielt der Film aber nicht in ferner Zukunft, sondern morgen. Die Geschichte geht nur ein wenig über die Wirklichkeit hinaus.

Inwieweit?

Eine Extraordinary rendition zum Beispiel – also das Entführen einer Person und ihre Überführung von einem Staat zum anderen – hat es in Deutschland noch nicht gegeben, zumindest weiß man nichts davon.

Wie präsent das Thema "Terrorismus" ist, zeigte sich unter anderem beim Dreh der Explosionsszene – das hat in Berlin für Aufregung gesorgt ...

Die Furcht ist, dass nach Madrid, London und Paris auch in Deutschland ein großes Attentat geschieht. Da ist so eine Grundangst. Ich kenne das selbst. Mitte der 90er Jahre gab es mehrere Bombenattentate in Paris. Ich war damals dort, und seitdem gehe ich ganz schnell weit weg, wenn ich irgendwo eine herrenlose Plastiktüte oder einen Koffer herumstehen sehe.

Wird angesichts dieser Bedrohung und dieser Furcht die Position des BKA-Beamten König nicht gleich ein gutes Stück nachvollziehbarer?

Ich finde, sie ist sehr nachvollziehbar. Diese Position wird ja auch von Teilen der Politik vertreten: Wir müssen die Möglichkeit haben, bestimmte Maßnahmen zu ergreifen, um die Bevölkerung schützen zu können. Wann immer es eine vermeintliche oder tatsächliche Bedrohung gibt, melden sich Menschen und sagen: Wir müssen schneller zugreifen können, wir können nicht immer zum Richter für irgendwelche Genehmigungen gehen, die Terrorabwehr muss über allem stehen. König war für mich eine Figur, die zeigt, dass daraus eine Willkür werden kann. Die geheime Einsatzgruppe, die König leitet, ist übrigens auch vollkommen illegal. Ob so eine Truppe in der Wirklichkeit existiert – keine Ahnung.

Was ist dieser König für ein Mensch?

Er ist nicht das Böse an sich. Was er mit der Tochter der Richterin macht, geschieht nicht zuletzt aus einer Überforderung. Das Mädchen studiert Islamwissenschaft, sie war in Pakistan, sie ist in das Raster "Islamismus" geraten. Dann explodiert diese Bombe, was ja der Horror schlechthin für so einen Top-Beamten ist – der Super- GAU, den er unbedingt verhindern wollte. Und dann steht da dieses Mädchen, das schon vorher in das Raster geraten ist ...

Landet man Ihrer Meinung nach schnell in so einem Raster?

Ja, und das ist ein Problem. Klar, man will die Bevölkerung schützen. Aber man stellt auch einen Teil der Bevölkerung unter Generalverdacht: Drei Bücher im Internet bestellt, Glycerin im Baumarkt gekauft und die falsche Website besucht, und es ist nicht ausgeschlossen, dass man verdächtigt wird, einen Anschlag zu planen. Ich bin bei meiner Internet-Recherche ja selber auf die unglaublichsten Sachen gestoßen und habe mir irgendwann vorgestellt, dass ich in einem Verhörraum sitze und sage: Ich wollte doch nur ein Drehbuch schreiben ... (lacht) Aber im Ernst: Angesichts der Spuren, die man hinterlässt und was durch die unterschiedlichen Anbieter alles über einen gespeichert wird, bin ich mit der Zeit vorsichtiger geworden; nicht paranoid, ich bewege mich schon noch frei in dieser Welt. Aber einige Sachen mache ich nicht mehr. Die Datenspeicherung birgt große Gefahren.

Was machen Sie denn nicht mehr?

Während meiner Recherche haben ich mit Journalisten, Aktivisten und anderen Menschen gesprochen, die viel über Geheimdienste wissen. Das sind dann so die Leute, mit denen man keine Emails austauscht.

Sie erwähnten die Problematik der Datenspeicherung. Das betrifft ja mittlerweile die unterschiedlichsten Lebensbereiche, Stichwort Gesundheits-Apps ... Da geht es doch auch um die Abwägung Sicherheit vs. Freiheit, oder?

Wenn mein Kind Diabetes hat und eine App signalisiert mir: Alles ist in Ordnung, dann geht es mir natürlich gleich besser. Tatsache ist aber auch, dass wir Menschen komplett vermessen werden und man nicht überblicken kann, wer alles Zugriff auf die Daten hat und wer sie wie verwendet. Darüber muss man in einer Demokratie reden und die Grenzen des Zulässigen immer wieder neu verhandeln.

Dessen ungeachtet – am Anfang von "Unterm Radar" stand die Mutter-Tochter-Geschichte. Was hat Sie daran so interessiert?

Ich bin nun mal selber Mutter. Und ich sehe in Filmen gerne interessante Frauenfiguren, die in Konflikte geraten, denen ich selber gegenüberstehe oder denen ich potenziell gegenüberstehen könnte.

Mit König/Buch gibt es zusätzlich auch noch eine Art Vater/Sohn-Geschichte.

Es war mir klar, dass es auf der BKA-Ebene zwei Figuren geben muss, die mit entgegengesetzten Positionen zum Thema "Terrorabwehr" in den Ring steigen. Und ich finde, so etwas ist für den Zuschauer immer dann am interessantesten, wenn da etwas Persönliches mitreinspielt. Um eine Konstruktion Mutter/Tochter – Vater/Sohn ging es mir dabei nicht.

"Unterm Radar" ist Ihr erstes Drehbuch. Was war davor?

Ich bin seit 1991 beim Film und habe lange als Dramaturgin in der Projektentwicklung gearbeitet. 2008 hatte ich eben die Möglichkeit, einen Master im Fach "Drehbuch" zu machen. Wenn man lange in der Projektentwicklung arbeitet, hat man ja doch schon mal so eine Idee für eine Geschichte, aber man kann eine sehr gute Dramaturgin sein und gleichzeitig eine schlechte Autorin. Es sind doch zwei sehr unterschiedliche Arten zu arbeiten. Ich habe es deshalb nicht an die große Glocke gehängt, dass ich ein Buch schreibe, und als der Stoff dann fertig war, habe ich das Buch drei Leuten in Deutschland gegeben und ihnen gesagt: Okay, guckt es Euch an. Wenn es totaler Quatsch ist, dann ab in die Schublade und wir sprechen nie wieder darüber. Eine von ihnen war Nicole Swidler – die Produzentin des Films.

Und was kommt danach?

Im Moment schreibe ich für das "Unterm Radar" Team an einem neuen Stoff. Außerdem würde es mich sehr reizen, für eine Serie oder Reihe (wie z.B. Tatort) zu schreiben oder aber auch eine literarische Vorlage adaptieren.