"Mein Bild von korrupten Menschen in hohen Positionen hat sich verstärkt"

Edin Hasanovic im Gespräch

Lukas Frau Nadja (Emilia Schüle): sie setzt auf Klaus als Freund und "Aufpasser" für ihren Mann.
Lukas Frau Nadja: sie setzt auf Klaus als Freund und "Aufpasser" für ihren Mann. | Bild: WDR/UFA FICTION GmbH / Jakub Bejnarowicz

Bitte charakterisieren Sie Ihre Figur Luka? Wie nah ist Ihnen die Mentalität von Luka?

Mir fällt es wahnsinnig schwer, meine Rollen zu beschreiben. Zu groß ist die Distanz. Wenn ich sie spiele, dann bin ich sie eben, bewerten und reflektieren tue ich sie nicht. Dann wäre ich der Beobachter. Ich muss aber in Luka völlig eintauchen. Das Charakterisieren würde mich daran hindern. Auch im Nachhinein fällt mir das sehr schwer. Ich kann aber sagen, dass es mich in meiner Einsetzbarkeit und Fähigkeit als Schauspieler nur einschränken würde, wenn ich mich privat mit der Mentalität meiner Rolle identifizieren können müsste, um sie zu spielen. Wenn ich mir meine Projekte danach aussuchen würde, wäre ich arbeitslos. Natürlich sind mir laute Feiern, Volkstänze und der familiäre Zusammenhalt nicht fremd. Ich habe Glück – ich komme aus Bosnien, Luka aus Serbien, das Temperament ist sehr ähnlich. Da musste ich einfach nicht viel tun, um mich auf so eine Partyszene vorzubereiten. Wenn wir aber die Goric-Familie in einem anderen Land verortet hätten, Spanien, Italien oder Russland, dann müsste ich mehr dafür tun, um es leicht aussehen zu lassen, würde der Rolle aber trotzdem Leben einhauchen können.

Wie haben Sie sich diesem Charakter genähert? Haben Sie sich auf diese Rolle speziell vorbereitet?

Auf Luka habe ich mich so intensiv vorbereitet, wie auf keine andere Rolle zuvor. Ich habe gespürt, dass das ein ganz besonderes Projekt wird. Am einfachsten konnte man das an den Menschen vor und hinter der Kamera festmachen. Bei solchen Büchern, Geschichten, Rollen und Kollegen wird bei mir die Ur-Leidenschaft getriggert, die mich hat Schauspieler werden lassen. Die wahrscheinlich wichtigste Zeit, war die, mit meinem Coach Jens Roth. Ich habe mit ihm tagelang meinen Luka unter die Lupe genommen, um ihn mit jeder Pore zu spüren und nachzuvollziehen. Die Vorbereitung ist so wichtig, damit ich mich aus der Rolle heraus (!) am Set auf die Kollegen und die Szene ganz unvorbereitet, spontan und organisch einlassen kann. "Auf kurze Distanz" habe ich mindestens 15 Mal gelesen und mich sehr intensiv mit Philipp Kadelbach über meine Rolle ausgetauscht. Zum ersten Mal in meiner beruflichen Laufbahn durfte ich die Rolle so stark mitbestimmen. Auf Maske, Kostüm, Requisiten, Text und sogar Handlung hatte ich einen großen Einfluss. All das hat mir sehr geholfen, Luka vom Papier in die echte künstliche Welt zu setzen.

Waren Sie vor den Dreharbeiten schon mal in einem Wettbüro oder ähnlichem?

Ja, zur Vorbereitung auf den Film habe ich mich mit Tom Schilling verabredet. Wir haben einen ganzen Tag in einem Wettbüro in Neukölln verbracht, um zu verstehen und ein Gespür für das Wetten zu bekommen. Wir hatten Glück – Tom und ich hatten ja keine Ahnung davon – ein Mann, den wir um Rat baten, hat uns stundenlang alles erklärt. Am Ende ist Tom mit 20 € plus raus. Sonst sind mir solche Lokalitäten, zum Glück, fremd.

Das Herz der Geschichte ist die Freundschaft zwischen Klaus und Luka. Um das so überzeugend zu spielen, bedarf es dazu auch einer gewissen Nähe und Freundschaft zum Gegenüber?

Das darf ich nicht verallgemeinern. Manchmal ist genau das Gegenteil spannend und hilfreich. Trotzdem muss ich sagen, dass es wahnsinnig zuträglich ist, wenn zwei Schauspieler, die so etwas spielen dürfen, die Scham voreinander verlieren und geistige, emotionale und körperliche Nähe zulassen können. Als Zuschauer spürt man nämlich Distanz und Intimität sofort. Emilia Schüle und ich zum Beispiel sind am Set, auch wenn die Kamera nicht lief, Hand in Hand durch die Gegend gelaufen. Das Ergebnis sieht man im Film: Ich küsse ihre Beine und wir wirken sehr selbstverständlich miteinander. Tom und ich sind kurz vor den Dreharbeiten in meinen Geburtstag reingerutscht und haben uns, glaube ich, sowohl privat als auch vor der Kamera sehr gut ergänzt. Ich muss am Set sowieso alle lieben und von allen geliebt werden. Erst dann kann ich gute Arbeit machen. Nähe und positive Energie schafft angstfreie Räume, in denen ich mutig sein und mich künstlerisch besser entfalten kann. Darauf kann man sich natürlich nicht verlassen. Bei diesem Film aber, hatte ich großes Glück. Sowohl vor, als auch hinter der Kamera.

Im Gegensatz zu seiner Familie vertraut Luka seinem neuen Kumpel Klaus sehr schnell. Was verbindet die Beiden? Was bedeutet Klaus für Luka?

In Klaus sieht Luka eine Chance. Er kann ihm helfen, in seiner Familie endlich als vollwertiges Mitglied und als fähiger Mann ernstgenommen zu werden. Als es dann auch langsam klappt, schätzt ihn Luka immer mehr. Dass Klaus ihm aus der Patsche hilft und generell sehr souverän, unabhängig und fähig ist, findet Luka toll. Geschäftlicher Erfolg und die damit verbundene Loyalität, lässt Luka nicht das nötige Feingespür haben, was die Männer seiner Familie ja sehr früh zweifeln lässt. Er bleibt lange Zeit blind und naiv und will die Hoffnung bis zum Schluss nicht aufgeben, in Klaus einen Freund, Bruder und Paten seines Sohnes gefunden zu haben.

Es gibt eine spektakuläre Stunt-Szene, in der Klaus Luka bei der Flucht vor der Polizei hilft. Was ist das Besondere an dieser Szene? Wie haben Sie die Dreharbeiten hierzu erlebt?

Das Besondere an dieser Szene ist, dass sie so aussehen soll, als wäre sie in einem einzigen Take gedreht worden. Die 10 Sekunden, die man im Film sieht, sind in drei Tagen entstanden. Die Schnitte sind versteckt und nicht mehr zu sehen, Anschlussfehler darf es noch weniger geben als sonst. Die Kamera war zwar mit uns im Auto, wurde aber von draußen ferngesteuert. Das bedarf einer guten, logistischen Vorbereitung und hoher Konzentration am Set. Unsere Arbeit glich einer Choreografie. So etwas habe ich im deutschen Fernsehen bisher noch nicht gesehen.

Hat sich nach den Dreharbeiten zu diesem Film Ihr Blick auf den Sport verändert?

Mein Bild von korrupten Menschen in hohen Positionen hat sich verstärkt. So etwas passiert tagtäglich. Ansonsten nehmen mich die Geschichten und Schicksale meiner Rollen allgemein selten mit, weil mein Fokus woanders liegen muss. Ich reflektiere, bewerte und verurteile die Handlungen nicht, sonst distanziere ich mich von Luka. Ich muss ihn aber nachvollziehen und hinter allem stehen, was er tut. Deswegen kann ich da meine privaten Prinzipien, ethischen und moralischen Vorstellungen ganz gut zurückstellen.

Wie haben Sie die Zusammenarbeit mit Regisseur Philipp Kadelbach erlebt?

Philipp Kadelbach ist, das kann ich reinen Gewissens und gut überlegt sagen, der beste Regisseur, mit dem ich jemals arbeiten durfte. Das habe ich bei den Vorbereitungen gespürt und genau das hat sich bei der Arbeit am Set auch bestätigt. Als Schauspieler ist man bei ihm frei wie ein Vogel und gleichzeitig führt er einen sehr konsequent und fein. Bis in die kleinste Rolle. Er ist einer der leidenschaftlichsten, ambitioniertesten und klügsten Regisseure. Ich habe mich bei ihm immer sicher, geschützt und in jedem Gedanken ernstgenommen gefühlt. Es hat wahnsinnig Spaß gemacht, Philipp beim Arbeiten zuzuschauen, weil er selber Spaß hatte. Aber vor allem mit ihm zu arbeiten. Er steckt an, verkauft den Zuschauer nicht für dumm und holt alles aus einem raus. Er hat mich und meine Art zu arbeiten nachhaltig geprägt. Mein Anspruch steigt. Diesen können aber leider – manchmal auch den Umständen und Bedingungen geschuldet – die wenigsten Produktionen und Regisseure erfüllen. Philipp Kadelbach wünsche ich jedem meiner Kollegen, aber vor allem mir noch mal.

Wo verorten Sie den Film "Auf kurze Distanz" in Ihrem beruflichen Schaffen?

Eine große Rolle spielen zu dürfen, mit jugoslawischen Wurzeln, Hochkarätern vor und gleichzeitig hinter der Kamera, einer spannenden, dreckigen Geschichte und so stark im Entstehungsprozess involviert zu sein, ist ein seltenes und gigantisches Geschenk. Noch nie habe ich mich auf den nächsten Drehtag so gefreut, wie bei diesem Film. Mit Tom Schilling, Lazar Ristovski, Aleksandar Jovanovic und Sascha Geršak zu spielen, ist wie auf einem Kinderspielplatz zu sein, auf dem man sich richtig austoben kann. Mit diesem Regisseur, dem Kostüm, dieser Maske, dem Szenenbild, diesem Licht und vor allem dieser herausragenden Kamera von Jakub Bejnarowicz, ist es leicht einen besonderen und auffallenden 90-Minüter zu machen. Ich habe tolle Filme drehen dürfen, die auch meinem persönlichen Qualitätsanspruch entsprachen. "Auf kurze Distanz" aber, ist eines der zwei großen Herzensprojekte meiner letzten 10 Jahre.