"Man muss naiv oder ignorant sein, glaubt man, es ginge alles mit rechten Dingen zu"

Tom Schilling im Gespräch

Klaus Roth (Tom Schilling) wird als verdeckter Ermittler in den Kreis der serbischen Wettmafia eingeschleust.
Klaus Roth wird als verdeckter Ermittler in den Kreis der serbischen Wettmafia eingeschleust.  | Bild: WDR/UFA FICTION GmbH / Jakub Bejnarowicz

Bitte charakterisieren Sie Ihre Figur Klaus? Was an ihm ist Ihnen fremd, was ist Ihnen nah?

Klaus Roth ist ein Polizist Ende zwanzig. Unter den Kollegen gilt er als schwierig. Er hat ein sehr ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden, wodurch er manchmal zur Überreaktion neigt. Er ist sich selbst gegenüber sehr streng und erwartet auch von anderen Perfektionismus. Seine Lebensmaxime lautet: ganz oder gar nicht. Klaus möchte – wie wir alle – wahrgenommen und geliebt werden. Durch seine schwierigen Familienverhältnisse ist dieser Wunsch möglicherweise ungesund übersteigert. Immer zwanghafter sucht er die Bestätigung, stößt infolgedessen auf Ablehnung, was seine Angst zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung macht. Sukzessive isoliert er sich, was ihn zu dem vereinsamten Mann werden lässt, der sich uns im Film zeigt. All dies ist mir nicht unbekannt und dennoch ist die Figur sehr weit von mir entfernt. Seine Nöte und Ängste kann ich aber sehr gut nachempfinden. Ich mag ihn gern, den Klaus Roth.

Wie haben Sie sich diesem Charakter genähert? Haben Sie sich auf diese Rolle speziell vorbereitet?

Einige sehenswerte Dokumentationen haben mir geholfen, komplizierte Wettbetrugsvorgänge zu begreifen. Auch gibt es tolle Filme über verdeckte Ermittler, allen voran Donnie Brasco. Darüber hinaus haben Philipp Kadelbach und ich einen verdeckten Ermittler getroffen, der uns interessante Einblicke in sein Leben gewährt hat. Für die Figur hat mir eine körperliche Annäherung sehr geholfen. Von Anfang an war mir klar, dass Klaus sich selbst nichts schenkt. Er hat eigentlich nur sich selbst und viel Langeweile. Ich stellte mir vor, dass der Sport sein einziges Hobby ist, hier kriegt er seinen Kopf frei, hier hat er Frieden. Ich habe vier Monate vor Drehbeginn mit einem intensiven Kraft- und Ausdauerprogramm begonnen, fünf Tage die Woche, dazu einen strengen Ernährungsplan. Die nötige Disziplin hat mich in den Modus der Figur gebracht, das veränderte Körpergefühl beeinflusst nicht nur den Gang, sondern auch das Denken.

Waren Sie vor den Dreharbeiten schon mal in einem Wettbüro oder ähnlichem?

Vor den Dreharbeiten habe ich zusammen mit Edin ein Wettbüro In Berlin Neukölln besucht. Anfänglich waren wir sehr unsicher, fühlten uns fremd. Die Atmosphäre ist schon recht speziell. Wir spürten, dass man uns ansah, dass wir noch nie ein Wettbüro von innen gesehen hatten ... die diversen Monitore zeigten zahlreiche Tabellen, mit sich ständig ändernden Zahlenreihen. Wir hatten keinen Schimmer, was das alles bedeutet. Wir haben dann einfach einen sehr sympathisch wirkenden Mann angesprochen, wie das alles funktioniert. Er nahm sich dann viel Zeit für uns und beantwortete auch die wirklich dümmsten Fragen. So durchliefen wir unseren Wett-Crashkurs und staunten sehr, auf welch absurde Spiele man setzen kann, und dass man selbst auf die kleinsten Veränderungen innerhalb eines Spiels wetten kann. Der junge Mann war übrigens Philosophie- und Literatur-Student und hat sehr kontrolliert und konservativ gewettet ... er sagte, somit verdiene er sich etwas zum Studium dazu.

Klaus neuer Chef sagt: "Wer sich irgendwann nicht mehr an seine Lügen erinnern kann, ist ein toter Mann." Das dürfte ziemlich nah an der Realität eines verdeckten Ermittlers sein, oder? Warum übernimmt Klaus den Auftrag und wie geht er sein neues Leben als verdeckter Ermittler an?

Klaus ist geradezu prädestiniert für die gefährliche Aufgabe eines verdeckten Ermittlers. Er ist das Gegenteil eines braven Streifenpolizisten. Er liebt die Herausforderung und Gefahr, hat beinahe Züge eines Hasardeurs. Das macht ihn im Milieu in gewisser Hinsicht glaubwürdig. Er geht voll und ganz in seiner Aufgabe auf. Für seinen Vorgesetzten, Dudek, ist das Vor- und Nachteil zugleich.

Der Film erzählt vor allem auch die Geschichte einer Freundschaft, die zwischen Klaus und Luka. Allerdings sind die Beweggründe der beiden sehr unterschiedlich. Wie entwickelt sich die Freundschaft aus der Sicht von Klaus? Schafft er es die nötige professionelle Distanz zu Luka einzuhalten?

Ich denke, Luka und Klaus sind sich von Anfang an grundsymphatisch. Vielleicht gelingt es Klaus gerade, weil er sich verstellt und Luka gegenüber vorgibt ein anderer zu sein, eine derart enge Bindung in kürzester Zeit aufzubauen. Das ist Klaus selbst wahrscheinlich gar nicht bewusst, weil er darüber nicht reflektiert. Er ist vielmehr überrascht, wie sehr ihm seine "Zielperson" ans Herz gewachsen ist. Ich denke, am Ende der Geschichte fühlt sich Klaus Luka viel näher als seinen Kollegen bei der Polizei.

Es gibt eine spektakuläre Stunt-Szene, in der Klaus Luka bei der Flucht vor der Polizei hilft. Was ist das Besondere an dieser Szene? Wie haben Sie die Dreharbeiten hierzu erlebt?

Solche Szenen sind für alle Beteiligten eine große Herausforderung. Alles muss perfekt zusammen spielen, die Stunt-Technik, die Kamera und die Schauspieler. Da ich das Auto tatsächlich gefahren habe, war meine Aufgabe natürlich nicht unwesentlich. Ich musste mich sowohl auf das Auto, die Kamera und mein Spiel konzentrieren. In solchen Momenten bin ich voller Adrenalin, meine Sinne sind vollkommen geschärft, denn bei Filmen im unteren Budgetbereich kann man solche Szenen teilweise nur ein einziges Mal drehen. Ich persönlich mag solche Drehtage unglaublich gern.

Hat sich nach den Dreharbeiten zu diesem Film Ihr Blick auf den Sport verändert?

Ich denke, der Profisport ist in jeglichem Bereich hinüber. Die enormen Erlöse, die durch Sportvermarktung zu erzielen sind, haben den Sport kaputt gemacht. Zum flächendeckenden Doping (in beinahe jeder Sportart), der Korruption, kommt nun noch der Wettbetrug im großen Stil dazu. Man muss naiv oder ignorant sein, glaubt man, es ginge alles mit rechten Dingen zu.

Sie haben mit Regisseur Philipp Kadelbach zuvor bereits zusammengearbeitet. Was schätzen Sie an der Arbeit mit ihm?

Philipp ist definitiv einer meiner Lieblingsregisseure. Sein Perfektionismus, sein ewiges – immer ergebnisorientiertes – Suchen, seine Liebe zur Wahrheit, sein genauer Blick, aber auch sein Humor, das alles ist mir sehr nah. Ich bewundere ihn für seine Gabe, Geschichten zu erzählen, Schauspieler zu führen und zu begeistern. Sein Enthusiasmus ist für mich extrem inspirierend. Mit ihm als Regisseur habe ich immer das Gefühl, körperlich und geistig über mich hinauszuwachsen. Zudem fühle ich mich bei ihm aufgehoben wie selten sonst. Am Set sind wir uns sehr nah.

Wo verorten Sie den Film "Auf kurze Distanz" in Ihrem beruflichen Schaffen?

Jeder Film mit Philipp ist für mich ein ganz besonderer. Auch bin ich dankbar, Edin kennengelernt zu haben. Mit ihm zu spielen, ist für einen Schauspieler ein unglaubliches Glück. Er ist unfassbar talentiert, er überrascht mich ständig, was mir sehr hilft, weil ich viel Energie für mein eigenes Spiel von meinen Kollegen ziehe. Ob der Film bleibt, wird Publikum und Kritik entscheiden müssen. Dazu kann ich als Beteiligter keine Prognose machen. Aber wie auch immer er aufgenommen wird, mir gefällt er sehr und ich bin dankbar und stolz, dabei gewesen zu sein.