Stefan Kolditz (Drehbuchautor) über die Arbeit an "Nackt unter Wölfen"

Vom Unwert der Ideologien

"Nackt unter Wölfen" ist ein zentraler deutscher Roman des 20. Jahrhunderts. In der DDR gehörten er und der Film von Frank Beyer zum Kanon der antifaschistischen Selbstdarstellung, bei der über Nacht 17 Millionen zu unbelasteten Antifaschisten geworden waren. In der BRD, die auf den Fundamenten und mit dem Personal des Nationalsozialismus entstand, war er praktisch unbekannt.

Kann man geschichtliche Erinnerung in eine Erzählung überführen?

Vor allem eine so singuläre, jede menschliche Vorstellung sprengende an ein Konzentrationslager? Andererseits – ist geschichtliche Erinnerung ohne eine narrative Übersetzung überhaupt möglich? Ist ein Narrativ ein Zugang zur Erfahrung oder das Konstrukt seiner eigenen Lüge?

Drehbuchautor Stefan Kolditz
Drehbuchautor Stefan Kolditz | Bild: picture alliance

Apitz' Roman fußte auf seinen persönlichen Erlebnissen im KZ Buchenwald, das ein Narrativ der SS war: die Inszenierung des KZs als Verkörperung ihrer absoluten Macht und rassischen Überlegenheit. Dem entgegen stellte Apitz nach seiner Befreiung sein Narrativ: den Roman von der Standfestigkeit und moralischen Überlegenheit der Kommunisten bei der Rettung eines einzelnen Kindes, der zur Mythenbildung der DDR als dem besseren, weil zutiefst antifaschistischen deutschen Staat unter Führung der SED beitrug.

Hochaktuell und universell

Dafür nahm er in seinem Narrativ erhebliche Änderungen an den Umständen und Ereignissen im KZ Buchenwald vor. Mein Narrativ nach Motiven der Neuauflage des Romans ist eine Neuinterpretation, die den Kern des Romans verteidigt und gleichzeitig, 57 Jahre nach seinem ersten Erscheinen, durch eine Vielzahl von Quellen und neuesten Forschungen korrigiert und differenziert. In unserem Film treffen also drei Narrative aufeinander, die eine Grundkonstellation des 20. Jahrhunderts bilden. Damit wird "Nackt unter Wölfen" (2015) zu einer hochaktuellen unerzählten universellen Geschichte.

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